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BETEILIGEN I PARTIZIPATION IN BIBLIOTHEKEN

ken statt abzubauen. Heute wissen wir, es kann und muss

andere Lösungen geben: zum Beispiel ein Sprachcafé, bei

dem die Menschen miteinander ins Gespräch kommen.

Hier können Hemmschwellen abgebaut und Fähigkeiten

eingebracht werden.

Offensichtlich hatten wir nur individuelle Wünsche und

keine Bedürfnisse erfasst. Zwar verwenden wir im Alltag

die Begriffe „Wünsche“ und „Bedürfnisse“ oft synonym. Im

Rahmen unserer Auseinandersetzung mit Design Thinking

lernten wir, dass es wichtig ist, den Unterschied zu kennen

und mittels richtiger Fragen zu berücksichtigen. Wünsche

sind meist bewusst, da sie sich auf konkrete materielle

Gegenstände (zum Beispiel Medien), Fähigkeiten (zum Beispiel

Kreativität) oder Gestaltungselemente (zum Beispiel

Farben) richten.

Bedürfnisse verbergen sich hinter den konkreten Wünschen

und beziehen sich nicht auf Objekte oder Fähigkeiten,

sondern auf emotionale Faktoren wie Wertschätzung, Vertrauen

oder Sicherheit. In der Psychologie ist ein Bedürfnis

laut Brockhaus „ein Verlangen, das aus dem Empfinden

eines Mangels herrührt“.

Wird also ein Angebot entwickelt, das nur auf die Wünsche

der NutzerInnen ausgerichtet ist, muss es nicht unbedingt

deren Problem lösen oder die Ist-Situation verbessern. Menschen

können sich Dinge wünschen, weil sie praktisch oder

begehrenswert sind. Im Gegensatz dazu sind Bedürfnisse

eher unspezifisch: Ein und dasselbe Bedürfnis kann durch

unterschiedliche Lösungen befriedigt werden.

Interesse und Haltung

Der bedürfnisorientierte Design-Thinking-Ansatz funktioniert

für unsere Ziele ausgezeichnet: Im Rahmen eines systematischen

Vorgehens führt der Prozess mittels intensiver Interaktion

mit BürgerInnen vom Anhören und Verstehen ihrer

Perspektive über die Analyse ihrer Bedürfnisse zu neuen und

kreativen Lösungen. Durch Bauen dreidimensionaler Prototypen

– zum Beispiel aus Pappe oder Lego – werden verschiedene

Lösungsansätze verdeutlicht und zur Diskussion

gestellt. Diese Feedbackschleifen begünstigen ein gründliches

Durchdenken möglicher Lösungen – um sie dann zu

verwerfen oder zu optimieren, bevor man sie realisiert.

Wir haben außerdem gelernt, dass der eigentliche Kern

des Erfolgs in der Haltung liegt, die das Bibliotheksteam

entwickeln muss. Nur wenn man an den Bedürfnissen der

Menschen interessiert ist und diese wirklich adressieren

will, findet man die besten Lösungen. Auch dann, wenn

das (vermeintlich) bedeutet, die Interessen der Bibliothek

hintanzustellen. Die Überzeugung, dass die Menschen nicht

netterweise von uns beteiligt werden, sondern dass die

BürgerInnen dazu das Recht haben, ist eine gute Basis für

Design Thinking. Diese Haltung muss eventuell erst eingeübt

werden – stellt sie sich dann aber ein, spendet sie den MitarbeiterInnen

Spaß, Motivation und Sinn.

Im Mai 2019 haben wir unser Ziel erreicht, unter Beteiligung

der anvisierten Zielgruppen eine neue, in Deutschland

etwas andere Stadtteilbücherei zu realisieren. Sie soll ein

„Dritter Ort“ werden, der für alle offen ist und an dem die

Menschen sich wohl und willkommen fühlen können. Ein Ort,

der Kommunikation und Kreativität unterstützen kann. Wir

sind zuversichtlich, dass die neue Bücherei die Identifikation

mit dem neuen Stadtteil fördern wird. Und dass dies zum Entstehen

und Gelingen einer lebendigen Stadtteilgesellschaft

beitragen kann.

Anja Flicker ist Leiterin der Stadtbibliothek Würzburg.

Büchereiperspektiven 1/19

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