09.11.2022 Aufrufe

Büchereiperspektiven 2/19: Lesen – Erlesen. Wissen aneignen und Welten erweitern

Egal aus welcher Perspektive man es betrachtet: Lesen bietet ungeheures Potenzial. Ob man nun durch Lektüre Wissen erlangt oder unbekannte Erfahrungen fassbar werden – die eigene Welt wird erweitert. In dieser Ausgabe der Büchereiperspektiven finden Sie Lektüreanregungen und Beispiele, wie Sie NutzerInnen zum Lesen animieren können!

Egal aus welcher Perspektive man es betrachtet: Lesen bietet ungeheures Potenzial. Ob man nun durch Lektüre Wissen erlangt oder unbekannte Erfahrungen fassbar werden – die eigene Welt wird erweitert. In dieser Ausgabe der Büchereiperspektiven finden Sie Lektüreanregungen und Beispiele, wie Sie NutzerInnen zum Lesen animieren können!

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

LESEN – ERLESEN I LEKTÜREANREGUNGEN

Medienbox

FOTO: BVÖ/LUKAS BECK

Graphic Novels

bieten das

Potenzial, sich

mit (Zeit-)

Geschichte

auseinanderzusetzen

konnten. Um diese schwerwiegenden sowie komplexen

Ereignisse und Zusammenhänge in eine nachvollziehbare

Erzählung bringen zu können, wählen Spottorno und Abril

eine Form, die man durchaus als zeitgenössischen Trend am

Comicmarkt bezeichnen darf: die dokumentarische Graphic

Novel, die einen hohen Authentizitätsanspruch verfolgt.

Ausdeutung: Von innen heraus

Einen dieser Herangehensweise diametral gegenüberstehenden

Ansatz verfolgten im selben Jahr David Polonsky

und Ari Folman, die durch ihren preisgekrönten und Oskar

nominierten Animationsfilm „Waltz with Bashir“ bekannt

wurden. Sie adaptieren „Das Tagebuch der Anne Frank“

und lassen mit einer mit Filmtechnik gespickten Graphic

Novel (Fischer 2017) ein originäres Kunstwerk entstehen,

das nicht dokumentarisch arbeitet, sondern Anne Franks

psychische Innenwelt grafisch auszudeuten versucht.

Obwohl auf der Textebene ein gewissenhaftes Naheverhältnis

zum Original angestrebt wird, werden Annes intimste

Erfahrungen bildästhetisch interpretiert. Ihre emotionale

Verfasstheit wird dadurch ebenso eindrücklich umgesetzt

wie eine informative Außenperspektive, die zum Beispiel die

Wohnraumaufteilung im Querschnitt veranschaulicht. Die

Vielschichtigkeit, die Anne Franks Tagebuch zugrunde liegt,

wird mit einem ebenso vielschichtigen Bildprogramm auf

außergewöhnlich harmonische Weise erweitert und zu einer

neuen Form transferiert, die die Künstler passenderweise

mit „Graphic Diary“ benennen.

An das Tagebuchformat erinnert auch Julia Zejns Erzählweise,

die letztes Jahr in „Drei Wege“ (avant-verlag) drei

lose aneinander geknüpfte Narrative parallel führt und im

Abstand von je fünfzig Jahren Einblicke in das Leben dreier

junger Frauen im Berlin der Jahre 1918, 1968 und 2018

gibt. Ida, Marlies und Selins Lebenssituationen könnten

nicht unterschiedlicher angelegt sein und repräsentieren

zugleich den Zeitgeist ihrer jeweiligen Generation: Während

Ab Jänner 2020 bietet der BVÖ eine Medienbox mit Graphic

Novels zum Verleih an. Informationen unter:

www.bvoe.at/bestellservice

Ida als Hausmädchen die schwierige und von Entbehrungen

geprägte Zeit während des Ersten Weltkriegs miterlebt,

erfährt Marlies fünfzig Jahre später, was es heißt, sich

persönlich sowie gesellschaftlich zu emanzipieren. Obwohl

Selins gegenwärtige Probleme der Überforderung bei gleichzeitiger

Antriebslosigkeit relativ unbedeutend erscheinen,

ist auch ihr Leben sehr genau auf die heutigen Umstände

kalibriert und wird in der feinen Illustration alltäglicher Situationen

zu einer Art Familienalbum. Werden zu Beginn noch

einzelne, ausgedehnte Kapitel entworfen, um die Lebensumstände

zu schildern, beschleunigt sich die Parallelschaltung

in der Mitte zu einer höchst spannenden Gegenüberstellung

von je drei Bildern, die die jeweils aktuellen Formen

von Freizeitgestaltung, Mediengebrauch, Arbeit, Mode oder

Fortbewegungsmittel nebeneinanderstellen und so einen

einfachen wie komplexen Überblick eines 150-jährigen Kosmos

konstruieren.

Spieglung: Vom Einzelnen zum Ganzen

Abschließend sei noch Daria Bogdanskas ´ Graphic Novel

„Von unten“ (avant-verlag 2019) erwähnt, die sich „nur“ auf

ihr eigenes Leben fokussiert und in einem an den klassisch

französischen Comic erinnernden Stil davon erzählt, wie

es ihr vor sechs Jahren dabei erging, als emigrierte Polin

in Malmö Fuß zu fassen und dabei beinahe an korrupten

Arbeitsverhältnissen sowie einem abstrusen Bürokratiesystem

zu scheitern, um sich dann politisch zu engagieren.

Der Titel reiht sich in eine reiche Tradition autobiografischer

Comics, mit ihrem spezifischen Augenmerk auf ihr nächstes

Umfeld geht Bogdanska ´ jedoch einen Schritt weiter und

könnte die Renaissance einer nicht mehr allzu oft anzutreffenden

Form einläuten: die Milieustudie.

Peter Rinnerthaler ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der STUBE –

Studien- und Beratungsstelle für Kinder- und Jugendliteratur.

Büchereiperspektiven 2/19

19

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!