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8 KULTUR JOKER Theater<br />

Eine nächtliche Fahrt auf der<br />

Landstraße. Die Scheinwerfer<br />

erhellen die Straße, eine Kurve<br />

folgt auf die andere. Zum<br />

Schwarz-Weiß-Video, das auf<br />

den Vorhang des Freiburger<br />

Theaters projiziert wird, spielt<br />

das Philharmonische Orchester<br />

ganz plastisch die Ouvertüre<br />

des „Freischütz“ mit ihrem bedrohlichen<br />

Unisonobeginn, dem<br />

romantischen Hörnergesang und<br />

den plötzlichen Stimmungswechseln.<br />

Die Oper von Carl Maria<br />

von Weber nimmt richtig Fahrt<br />

auf, ehe am Ende der Vorhang<br />

fällt und der Blick frei wird auf<br />

einen in die Jahre gekommenen<br />

Reisebus mit qualmendem Motor,<br />

der offensichtlich mit einer<br />

Panne mitten im Wald gestrandet<br />

ist (Bühne: Antonia Kamp,<br />

René Fußhöller). Im Bus: der<br />

Chor eines freien Ensembles, das<br />

gerade auf Tournee ist mit der<br />

bekannten Oper. Man entscheidet,<br />

den „Freischütz“ im Wald<br />

zu spielen, um den Vertrag zu<br />

erfüllen und bezahlt zu werden –<br />

nur die Solopartien müssen vom<br />

Chor besetzt werden, weil die<br />

Solisten mit dem Flugzeug reisen<br />

durften. Der Busfahrer (Martin<br />

Müller-Reisinger), dem zuvor der<br />

Opernstoff erklärt wird, verteilt<br />

Unterhose im Unterholz<br />

Der „Freischütz“ trifft am Freiburger Theater nur musikalisch ins Schwarze<br />

Caroline Melzer und<br />

Katharina Ruckgaber<br />

Foto: Laura Nickel<br />

die Rollen. Soweit die Rahmenhandlung,<br />

die das vierköpfige<br />

Künstlerkollektiv Showcase<br />

Beat Le Mot für die Freiburger<br />

Inszenierung der vielgespielten<br />

romantischen Oper installiert<br />

(besuchte Vorstellung: 6.10.22).<br />

Das funktioniert zunächst relativ<br />

gut, weil die neu geschriebenen<br />

Dialoge Tempo, Witz und<br />

auch eine gewisse Distanz zur hanebüchenen,<br />

mit Gespensterromantik<br />

aufgeladenen Geschichte<br />

hineinbringen. Statt eines Steinadlers<br />

schießt Roberto Gionfriddo<br />

als Max einen Scheinwerfer<br />

ab. Agathe (Caroline Melzer)<br />

und Ännchen (Janina Staub) regen<br />

sich über Friedrich Kinds<br />

Libretto auf, in dem Frauen nur<br />

als Trophäen vorkommen. Und<br />

wenn Agathe sich vor ihrer Arie<br />

„Wie naht mir der Schlummer“<br />

eine Zigarette anzündet, dann<br />

hat das etwas schön Subversives.<br />

Caroline Melzer gestaltet große<br />

Melodiebögen und schenkt der<br />

Arie emotionale Tiefe. Das Philharmonische<br />

Orchester Freiburg<br />

zaubert dazu einen intensiven<br />

Streicherklang. Wie überhaupt<br />

das Orchester unter der Leitung<br />

vom ersten Kapellmeister<br />

Ektoras Tartanis dem szenisch<br />

grobschlächtigen Abend viele<br />

Zwischentöne verleiht, aber auch<br />

Dramatisches in voller Pracht<br />

entfaltet wie in der packend musizierten<br />

Wolfsschlucht-Szene.<br />

Roberto Gionfriddo ist ein zumindest<br />

stimmlich viriler Max,<br />

Jin Seok Lee ein bassmächtiger<br />

Kaspar mit Akzent, Janina Staub<br />

ein charmant-glockenhelles Ännchen.<br />

Je länger der Abend allerdings<br />

andauert, desto weniger verfängt<br />

die Regie. Dass die Männer<br />

beim Jägerchor und auch sonst<br />

Frauenkleider tragen (Kostüme:<br />

Clemens Leander), sorgt für einen<br />

schnellen Lacher, kann aber<br />

keine echte Reibung erzeugen.<br />

Das Spielerische wird zum platten<br />

Klamauk. Auch die Rolle<br />

von Martin Müller-Reisinger als<br />

Busfahrer und Samiel im Jogginganzug<br />

gerät immer rätselhafter<br />

– sein entblößter Hintern am<br />

Ende trägt da nicht weiter zur<br />

Aufklärung bei. Zum Chor „Wir<br />

winden dir den Jungfern-Kranz“<br />

wird Agathe gefesselt, aber das<br />

von der Regie mehr behauptete<br />

als inszenierte Umschlagen in<br />

Gewalt bleibt seltsam blutleer<br />

und vor allem auch unglaubwürdig.<br />

Am Ende verrenkt sich Samiel<br />

in Unterhose auf dem Busdach<br />

mit Kreuz auf der nackten<br />

Brust, während Max und Agathe<br />

Schlingen um den Hals gelegt bekommen.<br />

Nur Ännchen hat günstigerweise<br />

eine Pistole zur Hand<br />

und trifft mit erstaunlicher Präzision<br />

beide Stricke, so dass am<br />

Ende die beiden doch nochmals<br />

mit dem Leben davonkommen.<br />

Alles klar?<br />

Weitere Vorstellungen: 4./12.<br />

November, 8./22. Dezember<br />

<strong>2022</strong>, 26. Februar, 4. März 2023.<br />

Georg Rudiger

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