flip-Joker_2022-11
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8 KULTUR JOKER Theater<br />
Eine nächtliche Fahrt auf der<br />
Landstraße. Die Scheinwerfer<br />
erhellen die Straße, eine Kurve<br />
folgt auf die andere. Zum<br />
Schwarz-Weiß-Video, das auf<br />
den Vorhang des Freiburger<br />
Theaters projiziert wird, spielt<br />
das Philharmonische Orchester<br />
ganz plastisch die Ouvertüre<br />
des „Freischütz“ mit ihrem bedrohlichen<br />
Unisonobeginn, dem<br />
romantischen Hörnergesang und<br />
den plötzlichen Stimmungswechseln.<br />
Die Oper von Carl Maria<br />
von Weber nimmt richtig Fahrt<br />
auf, ehe am Ende der Vorhang<br />
fällt und der Blick frei wird auf<br />
einen in die Jahre gekommenen<br />
Reisebus mit qualmendem Motor,<br />
der offensichtlich mit einer<br />
Panne mitten im Wald gestrandet<br />
ist (Bühne: Antonia Kamp,<br />
René Fußhöller). Im Bus: der<br />
Chor eines freien Ensembles, das<br />
gerade auf Tournee ist mit der<br />
bekannten Oper. Man entscheidet,<br />
den „Freischütz“ im Wald<br />
zu spielen, um den Vertrag zu<br />
erfüllen und bezahlt zu werden –<br />
nur die Solopartien müssen vom<br />
Chor besetzt werden, weil die<br />
Solisten mit dem Flugzeug reisen<br />
durften. Der Busfahrer (Martin<br />
Müller-Reisinger), dem zuvor der<br />
Opernstoff erklärt wird, verteilt<br />
Unterhose im Unterholz<br />
Der „Freischütz“ trifft am Freiburger Theater nur musikalisch ins Schwarze<br />
Caroline Melzer und<br />
Katharina Ruckgaber<br />
Foto: Laura Nickel<br />
die Rollen. Soweit die Rahmenhandlung,<br />
die das vierköpfige<br />
Künstlerkollektiv Showcase<br />
Beat Le Mot für die Freiburger<br />
Inszenierung der vielgespielten<br />
romantischen Oper installiert<br />
(besuchte Vorstellung: 6.10.22).<br />
Das funktioniert zunächst relativ<br />
gut, weil die neu geschriebenen<br />
Dialoge Tempo, Witz und<br />
auch eine gewisse Distanz zur hanebüchenen,<br />
mit Gespensterromantik<br />
aufgeladenen Geschichte<br />
hineinbringen. Statt eines Steinadlers<br />
schießt Roberto Gionfriddo<br />
als Max einen Scheinwerfer<br />
ab. Agathe (Caroline Melzer)<br />
und Ännchen (Janina Staub) regen<br />
sich über Friedrich Kinds<br />
Libretto auf, in dem Frauen nur<br />
als Trophäen vorkommen. Und<br />
wenn Agathe sich vor ihrer Arie<br />
„Wie naht mir der Schlummer“<br />
eine Zigarette anzündet, dann<br />
hat das etwas schön Subversives.<br />
Caroline Melzer gestaltet große<br />
Melodiebögen und schenkt der<br />
Arie emotionale Tiefe. Das Philharmonische<br />
Orchester Freiburg<br />
zaubert dazu einen intensiven<br />
Streicherklang. Wie überhaupt<br />
das Orchester unter der Leitung<br />
vom ersten Kapellmeister<br />
Ektoras Tartanis dem szenisch<br />
grobschlächtigen Abend viele<br />
Zwischentöne verleiht, aber auch<br />
Dramatisches in voller Pracht<br />
entfaltet wie in der packend musizierten<br />
Wolfsschlucht-Szene.<br />
Roberto Gionfriddo ist ein zumindest<br />
stimmlich viriler Max,<br />
Jin Seok Lee ein bassmächtiger<br />
Kaspar mit Akzent, Janina Staub<br />
ein charmant-glockenhelles Ännchen.<br />
Je länger der Abend allerdings<br />
andauert, desto weniger verfängt<br />
die Regie. Dass die Männer<br />
beim Jägerchor und auch sonst<br />
Frauenkleider tragen (Kostüme:<br />
Clemens Leander), sorgt für einen<br />
schnellen Lacher, kann aber<br />
keine echte Reibung erzeugen.<br />
Das Spielerische wird zum platten<br />
Klamauk. Auch die Rolle<br />
von Martin Müller-Reisinger als<br />
Busfahrer und Samiel im Jogginganzug<br />
gerät immer rätselhafter<br />
– sein entblößter Hintern am<br />
Ende trägt da nicht weiter zur<br />
Aufklärung bei. Zum Chor „Wir<br />
winden dir den Jungfern-Kranz“<br />
wird Agathe gefesselt, aber das<br />
von der Regie mehr behauptete<br />
als inszenierte Umschlagen in<br />
Gewalt bleibt seltsam blutleer<br />
und vor allem auch unglaubwürdig.<br />
Am Ende verrenkt sich Samiel<br />
in Unterhose auf dem Busdach<br />
mit Kreuz auf der nackten<br />
Brust, während Max und Agathe<br />
Schlingen um den Hals gelegt bekommen.<br />
Nur Ännchen hat günstigerweise<br />
eine Pistole zur Hand<br />
und trifft mit erstaunlicher Präzision<br />
beide Stricke, so dass am<br />
Ende die beiden doch nochmals<br />
mit dem Leben davonkommen.<br />
Alles klar?<br />
Weitere Vorstellungen: 4./12.<br />
November, 8./22. Dezember<br />
<strong>2022</strong>, 26. Februar, 4. März 2023.<br />
Georg Rudiger