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Theater theater KULTUR JOKER 7<br />

Lisa Bräuniger in<br />

„What the body?!“<br />

Foto: MiNZ&KUNST Photography<br />

Wenn das Vertraute fremd wird<br />

„What the body?!“ sucht im Theater im Marienbad nach Körperbildern jenseits der Schubladen<br />

Pst, falls Sie frieren, da wäre<br />

etwas für Sie. Die zehn Leuchtstäbe,<br />

die im Kesselhaus des<br />

Theater im Marienbad an der<br />

Decke hängen, wärmen und<br />

Lisa Bräuninger wird Sie eine<br />

gute Stunde lang in Bewegung<br />

halten. Die Schauspielerin,<br />

die auf bemerkenswert hohen<br />

Plateauschnürstiefeln steht<br />

und eine enge grün-schwarze<br />

Pepitahose zum Bowler trägt,<br />

deutet die Richtung an, sie teilt<br />

das Publikum wie Moses das<br />

Meer. Und am Ende wird sogar<br />

getanzt. Denn, wer gerne<br />

tanzt, weiß, so gut kann sich<br />

ein Körper im Sitzen gar nicht<br />

anfühlen.<br />

„What the body?!“ hält sich<br />

mit der Trennung von Zuschauern<br />

und Theater, Stück<br />

und Recherche nicht auf. Die<br />

Tribüne ist abgebaut, das Publikum<br />

versammelt sich zu<br />

Beginn von Bräuningers Solo<br />

in Grüppchen im Theaterraum<br />

und wird sich während der<br />

gut einstündigen Vorstellung<br />

immer wieder neu verteilen,<br />

mal bildet sich eine Schlange,<br />

dann ein Kreis. Die Musik<br />

(Siri Thiermann) pumpt<br />

ordentlich. „What the body?!“<br />

gehört zu jenen Stücken, die<br />

das Theater seinem Ensemble<br />

überantwortet hatte und<br />

die auch für Klassenzimmer<br />

konzipiert sind. Die Monologe<br />

befassten sich mit dem<br />

Klimawandel, was sonst noch<br />

auf den Nägeln brannte oder<br />

was die Schauspielerinnen<br />

und Schauspieler immer schon<br />

einmal machen wollten. Mit<br />

dem gemeinsamen Stück von<br />

Lisa Bräuninger, Anne Wittmiß<br />

und Anna Fritsch, das<br />

kaum mehr als ein Mikro und<br />

einen Lautsprecher braucht,<br />

schließt die Reihe. „What the<br />

body?!“ ist nicht allein das übliche<br />

Pubertätsdrama, bei dem<br />

der eigene Körper fremd wird,<br />

sich verändert, weiblicher oder<br />

männlicher wird, es beruht auf<br />

Interviews, die die drei Frauen<br />

mit Schülerinnen und Schülern<br />

geführt haben. Es scheint als<br />

ob der Pubertätshormoncocktail<br />

auf fluide Identitäten trifft.<br />

Da werden mathematische<br />

Formeln zur Volumenberechnung<br />

von Brüsten zitiert, dann<br />

wiederum probiert die Protagonistin<br />

einen Sport-BH an,<br />

aus dem sie eigentlich herausgewachsen<br />

ist, um ihre Oberweite<br />

abzubinden. Bräuninger<br />

fordert einzelne Zuschauer<br />

zur direkten Interaktion auf:<br />

Guck‘ mal, guck‘ weg. Teenager<br />

brauchen einfach viel Aufmerksamkeit.<br />

Die Kommentare der Heranwachsenden<br />

und Jugendlichen<br />

werden immer wieder unterbrochen<br />

von Betrachtungen<br />

aus dem Tierreich, genauer<br />

von Delphinen. Delphine heißt<br />

es da einmal stoßen alle zwei<br />

Stunden ihre äußeren Hautzellen<br />

ab oder Delphine bekommen<br />

in Gefangenschaft<br />

Depressionen. Das ist ein<br />

bisschen so als schaute man<br />

zwischendurch ein Tiervideo,<br />

das – wenig überraschend –<br />

die eigenen Befindlichkeiten<br />

spiegelt. Und auf diese Spiegelungen<br />

zielt „What the body?!“<br />

ja ab. Dass es keine Distanz<br />

zwischen Bühne und Publikum<br />

gibt, ist programmatisch.<br />

Wir sollen den eigenen Körper<br />

erfahren, doch was wichtiger<br />

ist, wer durch den Raum läuft<br />

und tanzt, wird zum Komplizen<br />

des Textes. Ist man jenseits<br />

der Pubertät – wie das Premierenpublikum<br />

im Marienbad<br />

‒ kann das schnell etwas Unangemessenes<br />

bekommen. Sie<br />

erwarten an dieser Stelle ja<br />

auch keine Tipps, wie wir den<br />

Winter überstehen können.<br />

Oder?!<br />

Annette Hoffmann<br />

Von Sehnsucht und Aufbruch<br />

Standing Ovations für „LOVETRAIN2020“ des israelischen Choreografen Emanuel Gat im Theater Freiburg<br />

Bombastisch-berührendbezaubernde<br />

Bilderflut, tolle<br />

Musik ausschließlich von der<br />

britischen New-Wave-Band<br />

Tears For Fears und vierzehn<br />

fantastische Tänzer*innen<br />

– am Ende von LOVE-<br />

TRAIN2020 des israelischen<br />

Choreografen Emanuel Gat<br />

gab es im Großen Haus des<br />

Theater Freiburgs Standing<br />

Ovations. - Vielleicht auch,<br />

weil es genau diese prallbunte<br />

Poesie und mitreißende<br />

Lebensfreude ist, die so fehlt<br />

in diesen Tagen, Monaten,<br />

Jahren der schlechten Nachrichten…<br />

Meterhohe Lichtsäulen<br />

öffnen sich auf der Bühne,<br />

Theaternebel wabert, Beat<br />

wummert und aus dem Off<br />

tönt das eingängige „Say<br />

what you want“ aus „The<br />

Hurting“ – noch irritierend<br />

leise und dumpf – offensichtlich<br />

geht es dem 1969 geborenen<br />

Emanuel Gat bei allem<br />

Wiedererkennungswert<br />

von „Shout“, „Mad-World“,<br />

„Every wants to Rule The<br />

World oder „Sowing The<br />

Seeds of Love“ nicht um Musik-Bebilderung.<br />

Vielmehr<br />

triggern diese siebzig Minuten<br />

ein Lebensgefühl, das<br />

von Sehnsucht und Aufbruch<br />

erzählt. Dynamik und Ausdruck<br />

changieren zwischen<br />

hymnisch und zart, wild und<br />

verspielt, sind so divers wie<br />

die Compagnie, die in den<br />

Arbeiten von Emanuel Gat<br />

auch Raum und Freiheit für<br />

individuelle Interpretationen<br />

hat. Das ist spürbar: Selten<br />

wirkt ein Ensemble so lebendig<br />

und spontan.<br />

Auf der Bühne im Großen<br />

Haus tragen Männer wie<br />

Frauen voluminöse Kleider<br />

und Röcke in bauschigraffinierter,<br />

schillernder<br />

Vielschichtigkeit, mal als<br />

kostbar-aufwendige Roben<br />

und Togen, dann wieder in<br />

wilder Schürzen-Manier<br />

wie nach einer Explosion im<br />

Altkleider-Container (Kostümdesign<br />

Thomas Bradley).<br />

Gold und Blau, Dunkelrot<br />

und Grün – alles wogt, ist<br />

Augenschmaus. So wie das<br />

Licht-Design (Emanuel Gat),<br />

das den Raum nach oben öffnet,<br />

immer wieder biblische<br />

Gemälde-Settings schafft<br />

mit scharfen Schatten, steingrauen<br />

Wolkenformationen,<br />

geheimnisvollen Pyramiden-<br />

Perspektiven. Konventionell<br />

inszenierter Ästhetizismus<br />

also? Dazu gibt es zu viele<br />

Stile und Brüche, schälen<br />

sich aus den kraftvollen,<br />

komplexen Gruppenchoreografien<br />

immer wieder ganz<br />

unterschiedliche Soli heraus,<br />

am Ende hat man alle<br />

vierzehn Tanzenden gesehen<br />

und erlebt. Ein magisches<br />

Erlebnis – und damit eine<br />

tolle Spielzeit-Eröffnung für<br />

den Tanz.<br />

Marion Klötzer<br />

DIE SCHÖNEN<br />

MUSIKTHEATER IM E-WERK<br />

Das wahre Leben der<br />

FLORENCE FOSTER JENKINS<br />

SOUVENIR<br />

18.NOV - 17. DEZ<br />

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