flip-Joker_2022-11
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THEATER KULTUR JOKER 5<br />
Rüschen statt Rausch<br />
Herbert Fritsch inszeniert Richard Strauss‘ Einakter „Salome“ am Theater Basel<br />
Heather Engebretson als Salome<br />
Foto: Thomas Aurin<br />
Der Kopf des Jochanaan. Er<br />
ist Lustobjekt und Trophäe für<br />
Salome. Dass dieser Kopf des<br />
Propheten auf dem Höhepunkt<br />
von Richard Strauss‘ Drama in<br />
einem Aufzuge auf dem Silbertablett<br />
präsentiert wird, gehört<br />
zu den größten Schockszenen<br />
der Operngeschichte. Und<br />
führte dazu, dass das skandalumwitterte,<br />
1905 entstandene<br />
Werk, mit dem der Komponist<br />
die Tür zur Moderne weit aufstieß,<br />
auf enormen Widerstand<br />
beim Klerus traf und in Wien<br />
erst 1918 aufgeführt werden<br />
konnte.<br />
Am Theater Basel ist Jochanaans<br />
Kopf schon von Beginn<br />
an zu sehen. Er schaut aus dem<br />
in Blau getauchten Boden heraus,<br />
der in seiner Spiegelung<br />
an eine Wasserfläche erinnert.<br />
Mit dem Mond am Theaterhimmel<br />
und Schattenrissen<br />
der beiden Soldaten entsteht<br />
ein ästhetisches, aber auch gespenstisches<br />
Nachtbild (Licht:<br />
Roland Edrich/David Hedinger),<br />
das diese „Salome“ in<br />
der Regie von Herbert Fritsch,<br />
die bereits 2019 am koproduzierenden<br />
Theater Luzern zu<br />
sehen war, zu Beginn unter<br />
Spannung setzt (szenische Einstudierung:<br />
Caterina Cianfarini).<br />
Dieser Idylle ist nicht zu<br />
trauen. Der verstörende Kopf in<br />
der Bühnenmitte antizipiert die<br />
Abgründe, die sich noch auftun<br />
werden. Auch das Sinfonieorchester<br />
Basel entfaltet beides:<br />
Schönheit und Schaudern. Dirigent<br />
Clemens Heil gibt den<br />
Holzbläsern Raum für ihre Girlanden<br />
und entwickelt mit dem<br />
Orchester einen edlen, runden<br />
Streicherklang, der ganz in der<br />
Spätromantik verwurzelt ist.<br />
Vor allem wahrt Heil immer die<br />
Balance und lässt das Orchester<br />
nie zu massiv werden, so dass<br />
die Solisten wie Ronan Caillet<br />
als hell timbrierter Narraboth<br />
nicht forcieren müssen.<br />
Jason Cox verleiht Jochanaan<br />
Ausstrahlung und Würde. Mit<br />
seinem über große Reserven<br />
verfügenden Bariton macht er<br />
aus den Anklagen des Propheten<br />
keine Hetzreden, sondern<br />
kantable Botschaften. Ein Asket<br />
ohne Fehl und Tadel. Das<br />
Herrscherpaar überzeichnet die<br />
Regie als Knallchargen. Peter<br />
Tantsits ist ein bacchantischer<br />
Herodes mit Stummelflügel und<br />
Goldketten (Kostüme: Victoria<br />
Behr), Jasmin Etezadzadeh gibt<br />
Herodias als zeternde Drama<br />
Queen. Wie immer setzt Herbert<br />
Fritsch auf Künstlichkeit<br />
und Karikatur. Die bis auf zwei<br />
goldene Throne leere Bühne<br />
wird zur Spielfläche, die raffinierten<br />
Farbwechsel gliedern<br />
die vier Szenen. Näher kommen<br />
die Figuren allerdings nicht.<br />
Die Juden bleiben in ihren<br />
Pelzhüten und langen Bärten<br />
genauso illustrativ und unnahbar<br />
wie die augenverdrehenden<br />
Soldaten oder das durchgeknallte<br />
Königspaar. Das nimmt<br />
diesem immer weiter eskalierenden<br />
Drama die Wucht und<br />
die Glaubwürdigkeit. Das zieht<br />
dem verstörenden Werk den<br />
Stachel.<br />
Vor allem die Titelfigur bleibt<br />
seltsam undefiniert. Salome ist<br />
hier keine sinnliche Femme<br />
fatale, sondern mit ihrem rosa<br />
Rüschenkleid und dem Pagenschnitt<br />
ein trotziges Mädchen,<br />
das auch mal mit den Füßen<br />
aufstampft und an den elterlichen<br />
Thronen herumturnt.<br />
Die dunkle, abnorme, perverse<br />
Seite dieser Frau kommt in der<br />
Rollenzeichnung abhanden.<br />
Heather Engebretson verstärkt<br />
mit ihrem klaren, leuchtenden<br />
Sopran diese ungewöhnliche<br />
Sicht auf Salome. In der Tiefe<br />
fehlt es der Sängerin aber an<br />
dunklen Farben und Durchschlagskraft.<br />
Ihr Tanz der sieben<br />
Schleier, mit dem sie den<br />
geilen Stiefvater befriedigt,<br />
wird in Basel immer wieder<br />
ironisch gebrochen. Mal streckt<br />
diese Salome ihrer Mutter die<br />
Zunge heraus, mal liegt sie auf<br />
dem Rücken und strampelt mit<br />
den Füßen, mal werden ihre<br />
Bewegungen eine Spur aufreizender.<br />
Dass sie auch für Jochanaan<br />
tanzt, dessen Kopf mal<br />
wieder durch den Bühnenboden<br />
lugt, bleibt eine Randnotiz. Ihr<br />
angedeutetes sexuelles Erwachen<br />
wirkt konstruiert.<br />
Die sinnliche, orientalisch<br />
gefärbte Musik aus dem Orchestergraben<br />
– die Schlagzeuger<br />
sind exponierter platziert – erzählt<br />
eine andere Geschichte:<br />
von Rausch und Entgrenzung,<br />
von Kontrollverlust und Tabubruch.<br />
Das ist alles nur musikalisch<br />
zu erfahren wie auch<br />
die enorme Spannung, wenn<br />
Salome auf den Preis ihres<br />
Tanzes, den Kopf Jochanaans,<br />
wartet. Hier erzielt das Sinfonieorchester<br />
Basel auf dem bedrohlichen<br />
Wirbel der großen<br />
Trommel eine beängstigende<br />
Plastizität. „Warum schreit er<br />
nicht, der Mann?“, fragt Salome<br />
– die akzentuierten Achtel<br />
der hohen Kontrabässe, die<br />
verschreckenden Fanfaren von<br />
Kontrafagott, Fagott und Tuba<br />
und die harten Paukenschläge<br />
lassen Schlimmstes befürchten.<br />
Am Ende bekommt Salome<br />
den abgetrennten Kopf<br />
und liebkost ihn zu wohligen<br />
Orchesterklängen. „Doch es<br />
schmeckt vielleicht nach Liebe“,<br />
singt Heather Engebretson<br />
im schönsten Legato, ehe nach<br />
JAZZ’N’MORE...<br />
Julian & Roman Wasserfuhr<br />
feat. Jörg Brinkmann<br />
Alma Naidu<br />
Håkon Kornstad Trio<br />
Herodes‘ Ruf „Man töte dieses<br />
Weib“ das Sinfonieorchester<br />
Basel eine letzte Panikattacke<br />
aus dem Graben schleudert.<br />
Weitere Vorstellungen:<br />
6./12./14. November, 8./<strong>11</strong>./13.<br />
Dezember <strong>2022</strong>, 26. März 2023,<br />
Tickets: 0041 61 295<strong>11</strong>33 oder<br />
www.theater-basel.ch<br />
Georg Rudiger<br />
ZEHN.<br />
2012 -<strong>2022</strong><br />
18 -19 NOV <strong>2022</strong><br />
10 JAHRE FORUM MERZHAUSEN<br />
DIE JUBILÄUMS-GALA<br />
F O R U M<br />
Gemeinde<br />
Merzhausen<br />
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