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THEATER KULTUR JOKER 5<br />

Rüschen statt Rausch<br />

Herbert Fritsch inszeniert Richard Strauss‘ Einakter „Salome“ am Theater Basel<br />

Heather Engebretson als Salome<br />

Foto: Thomas Aurin<br />

Der Kopf des Jochanaan. Er<br />

ist Lustobjekt und Trophäe für<br />

Salome. Dass dieser Kopf des<br />

Propheten auf dem Höhepunkt<br />

von Richard Strauss‘ Drama in<br />

einem Aufzuge auf dem Silbertablett<br />

präsentiert wird, gehört<br />

zu den größten Schockszenen<br />

der Operngeschichte. Und<br />

führte dazu, dass das skandalumwitterte,<br />

1905 entstandene<br />

Werk, mit dem der Komponist<br />

die Tür zur Moderne weit aufstieß,<br />

auf enormen Widerstand<br />

beim Klerus traf und in Wien<br />

erst 1918 aufgeführt werden<br />

konnte.<br />

Am Theater Basel ist Jochanaans<br />

Kopf schon von Beginn<br />

an zu sehen. Er schaut aus dem<br />

in Blau getauchten Boden heraus,<br />

der in seiner Spiegelung<br />

an eine Wasserfläche erinnert.<br />

Mit dem Mond am Theaterhimmel<br />

und Schattenrissen<br />

der beiden Soldaten entsteht<br />

ein ästhetisches, aber auch gespenstisches<br />

Nachtbild (Licht:<br />

Roland Edrich/David Hedinger),<br />

das diese „Salome“ in<br />

der Regie von Herbert Fritsch,<br />

die bereits 2019 am koproduzierenden<br />

Theater Luzern zu<br />

sehen war, zu Beginn unter<br />

Spannung setzt (szenische Einstudierung:<br />

Caterina Cianfarini).<br />

Dieser Idylle ist nicht zu<br />

trauen. Der verstörende Kopf in<br />

der Bühnenmitte antizipiert die<br />

Abgründe, die sich noch auftun<br />

werden. Auch das Sinfonieorchester<br />

Basel entfaltet beides:<br />

Schönheit und Schaudern. Dirigent<br />

Clemens Heil gibt den<br />

Holzbläsern Raum für ihre Girlanden<br />

und entwickelt mit dem<br />

Orchester einen edlen, runden<br />

Streicherklang, der ganz in der<br />

Spätromantik verwurzelt ist.<br />

Vor allem wahrt Heil immer die<br />

Balance und lässt das Orchester<br />

nie zu massiv werden, so dass<br />

die Solisten wie Ronan Caillet<br />

als hell timbrierter Narraboth<br />

nicht forcieren müssen.<br />

Jason Cox verleiht Jochanaan<br />

Ausstrahlung und Würde. Mit<br />

seinem über große Reserven<br />

verfügenden Bariton macht er<br />

aus den Anklagen des Propheten<br />

keine Hetzreden, sondern<br />

kantable Botschaften. Ein Asket<br />

ohne Fehl und Tadel. Das<br />

Herrscherpaar überzeichnet die<br />

Regie als Knallchargen. Peter<br />

Tantsits ist ein bacchantischer<br />

Herodes mit Stummelflügel und<br />

Goldketten (Kostüme: Victoria<br />

Behr), Jasmin Etezadzadeh gibt<br />

Herodias als zeternde Drama<br />

Queen. Wie immer setzt Herbert<br />

Fritsch auf Künstlichkeit<br />

und Karikatur. Die bis auf zwei<br />

goldene Throne leere Bühne<br />

wird zur Spielfläche, die raffinierten<br />

Farbwechsel gliedern<br />

die vier Szenen. Näher kommen<br />

die Figuren allerdings nicht.<br />

Die Juden bleiben in ihren<br />

Pelzhüten und langen Bärten<br />

genauso illustrativ und unnahbar<br />

wie die augenverdrehenden<br />

Soldaten oder das durchgeknallte<br />

Königspaar. Das nimmt<br />

diesem immer weiter eskalierenden<br />

Drama die Wucht und<br />

die Glaubwürdigkeit. Das zieht<br />

dem verstörenden Werk den<br />

Stachel.<br />

Vor allem die Titelfigur bleibt<br />

seltsam undefiniert. Salome ist<br />

hier keine sinnliche Femme<br />

fatale, sondern mit ihrem rosa<br />

Rüschenkleid und dem Pagenschnitt<br />

ein trotziges Mädchen,<br />

das auch mal mit den Füßen<br />

aufstampft und an den elterlichen<br />

Thronen herumturnt.<br />

Die dunkle, abnorme, perverse<br />

Seite dieser Frau kommt in der<br />

Rollenzeichnung abhanden.<br />

Heather Engebretson verstärkt<br />

mit ihrem klaren, leuchtenden<br />

Sopran diese ungewöhnliche<br />

Sicht auf Salome. In der Tiefe<br />

fehlt es der Sängerin aber an<br />

dunklen Farben und Durchschlagskraft.<br />

Ihr Tanz der sieben<br />

Schleier, mit dem sie den<br />

geilen Stiefvater befriedigt,<br />

wird in Basel immer wieder<br />

ironisch gebrochen. Mal streckt<br />

diese Salome ihrer Mutter die<br />

Zunge heraus, mal liegt sie auf<br />

dem Rücken und strampelt mit<br />

den Füßen, mal werden ihre<br />

Bewegungen eine Spur aufreizender.<br />

Dass sie auch für Jochanaan<br />

tanzt, dessen Kopf mal<br />

wieder durch den Bühnenboden<br />

lugt, bleibt eine Randnotiz. Ihr<br />

angedeutetes sexuelles Erwachen<br />

wirkt konstruiert.<br />

Die sinnliche, orientalisch<br />

gefärbte Musik aus dem Orchestergraben<br />

– die Schlagzeuger<br />

sind exponierter platziert – erzählt<br />

eine andere Geschichte:<br />

von Rausch und Entgrenzung,<br />

von Kontrollverlust und Tabubruch.<br />

Das ist alles nur musikalisch<br />

zu erfahren wie auch<br />

die enorme Spannung, wenn<br />

Salome auf den Preis ihres<br />

Tanzes, den Kopf Jochanaans,<br />

wartet. Hier erzielt das Sinfonieorchester<br />

Basel auf dem bedrohlichen<br />

Wirbel der großen<br />

Trommel eine beängstigende<br />

Plastizität. „Warum schreit er<br />

nicht, der Mann?“, fragt Salome<br />

– die akzentuierten Achtel<br />

der hohen Kontrabässe, die<br />

verschreckenden Fanfaren von<br />

Kontrafagott, Fagott und Tuba<br />

und die harten Paukenschläge<br />

lassen Schlimmstes befürchten.<br />

Am Ende bekommt Salome<br />

den abgetrennten Kopf<br />

und liebkost ihn zu wohligen<br />

Orchesterklängen. „Doch es<br />

schmeckt vielleicht nach Liebe“,<br />

singt Heather Engebretson<br />

im schönsten Legato, ehe nach<br />

JAZZ’N’MORE...<br />

Julian & Roman Wasserfuhr<br />

feat. Jörg Brinkmann<br />

Alma Naidu<br />

Håkon Kornstad Trio<br />

Herodes‘ Ruf „Man töte dieses<br />

Weib“ das Sinfonieorchester<br />

Basel eine letzte Panikattacke<br />

aus dem Graben schleudert.<br />

Weitere Vorstellungen:<br />

6./12./14. November, 8./<strong>11</strong>./13.<br />

Dezember <strong>2022</strong>, 26. März 2023,<br />

Tickets: 0041 61 295<strong>11</strong>33 oder<br />

www.theater-basel.ch<br />

Georg Rudiger<br />

ZEHN.<br />

2012 -<strong>2022</strong><br />

18 -19 NOV <strong>2022</strong><br />

10 JAHRE FORUM MERZHAUSEN<br />

DIE JUBILÄUMS-GALA<br />

F O R U M<br />

Gemeinde<br />

Merzhausen<br />

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