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4 KULTUR JOKER THEATER Theater<br />

Kaleidoskop einer Spurensuche<br />

„Gottlos“ – Natalja Althausers Regiedebüt feierte im E-Werk Premiere mit dem neu gegründeten Theater Explosiv<br />

Sonja (Natalja Althauser), Michail (Christian Packbier) und Antons Eltern Bea (Sybille Denker)<br />

und Helmut (Georg Blumreiter)<br />

Foto: Alexandre Goebel<br />

Ein Kammerspiel mit zwei<br />

Paaren, ein emotionaler Flächenbrand<br />

befeuert von Alkohol,<br />

Müdigkeit, Frust und<br />

Trauer – das erste Stück der<br />

in Freiburg lebenden Autorin,<br />

Schauspielerin und Regisseurin<br />

Natalja Althauser ist<br />

mehr als ein Psychodrama à<br />

la „Wer hat Angst vor Virginia<br />

Woolf“. Denn hier stellt<br />

das neugegründete Theater<br />

Explosiv vor allem die Frage:<br />

Gibt es einen sinnvollen und<br />

damit gerechten Krieg? Das<br />

ist erschreckend aktuell…<br />

„Gottlos“, so der Titel der rund<br />

80-minütigen, sehr fesselnden<br />

und dichten Inszenierung (Regie<br />

Christian Theil, gefördert<br />

vom Kulturamt und Regierungspräsidium<br />

Freiburg), die<br />

im Kammertheater des E-Werk<br />

Premiere feierte.<br />

Dabei sind die politischen<br />

Ereignisse der Stückentwicklung<br />

nicht erst mit dem Ukraine-Krieg<br />

davon galoppiert:<br />

Althausers Geschichte spielt<br />

im Wohnzimmer eines Paares<br />

nach dem Staatsbegräbnis<br />

ihres Sohnes, der als Bundeswehrsoldat<br />

bei einem Auslandseinsatz<br />

in Afghanistan<br />

gefallen ist. War Anton dort<br />

auf heiliger Mission für das<br />

Gute und Wahre – oder auf der<br />

Flucht vor einem kaputten Elternhaus,<br />

einer unglücklichen<br />

Liebe, der eigenen Orientierungslosigkeit?<br />

War die ganze<br />

Aktion nur ein privat-pervertierter<br />

Heldentraum? Wer hätte<br />

ihn zurückhalten können?<br />

Sinnlose Fragen und Mutmaßungen,<br />

findet sein Vater (Georg<br />

Blumreiter), denn Anton<br />

ist tot. Trotzdem geht es vor<br />

allem im ersten Drittel dieser<br />

packenden Inszenierung darum,<br />

wie das eigentlich war in<br />

Afghanistan: Wer hat die Taliban<br />

gezüchtet und unterstützt?<br />

Warum spielten die Amis<br />

wieder Weltpolizei? Wird<br />

deutsche Freiheit wirklich am<br />

Hindukusch verteidigt? Gut<br />

recherchiert, wenn auch sehr<br />

wortlastig tauscht das Spieler-<br />

Kleeblatt Überzeugungen und<br />

Fakten.<br />

Doch erst mal ist Smalltalk<br />

dran: Auf der Bühne eine bürgerliche<br />

Sofa-Sitzgruppe, aus<br />

dem Off ein Intro-Soundtrack<br />

aus Bombeneinschlägen,<br />

Nachrichten-Sprengseln und<br />

Politiker-Statements. Dann<br />

ein Trauermarsch, Beerdigung<br />

vorbei. Jetzt erst mal einen<br />

Cognac... Antons Eltern Bea<br />

(Sybille Denker) und Helmut<br />

(Georg Blumreiter) wirken<br />

gefasst, das befreundete Paar<br />

Sonja (Natalja Althauser) und<br />

Michail (Christian Packbier)<br />

scheint sensibel und zugewandt.<br />

Doch es gibt von Anfang<br />

an nur drei Sitzplätze,<br />

wie bei der Reise nach Jerusalem<br />

ist immer jemand zu viel.<br />

„Ist doch schön mal wieder ein<br />

bisschen Leben in der Bude“,<br />

kommentiert Oberstudienrat<br />

Helmut. Falscher Satz, falscher<br />

Ort, schon ist die Stimmung<br />

im Eimer. Ab da kippt und eskaliert<br />

die Gruppendynamik:<br />

Schuldzuweisungen, Vorwürfe,<br />

Entgleisungen und Abgründe<br />

– wie sich das für ein Psychodrama<br />

gehört.<br />

Schnelle pointierte Dialoge,<br />

sehr souveränes Schauspiel,<br />

vor allem viele überraschende<br />

Regieideen und immer neue<br />

Puzzles-Stücke halten den<br />

Spannungsbogen: Dass die<br />

Ehe zwischen Helmut und Bea<br />

unglücklich ist, wird schnell<br />

klar, doch welche Rolle spielt<br />

da Bea, die als Internistin bei<br />

Ärzten ohne Grenzen Afrika-<br />

Einsatz nach Afrika-Einsatz<br />

absolvierte und ihre kleine Familie<br />

immer wieder verließ?<br />

Warum lauert sie jetzt betrunken<br />

Michail in der Dusche<br />

auf? Warum wurden Helmuts<br />

Lieblingsplatten zerkratzt, sind<br />

die Buchstaben eine Botschaft<br />

Antons aus dem Jenseits? Was<br />

bedeutet, dass Nachhilfelehrerin<br />

Sonja mit Anton geschlafen<br />

hat? Warum ist sie bis heute<br />

kinderlos? Ist sie wirklich das<br />

ideale Paar mit Michail, wie<br />

Helmut behauptet, der wenig<br />

später betrunken und verzweifelt<br />

Sonja fast vergewaltigt?<br />

War Anton religiös? Am Ende<br />

wird er per Videobotschaft aus<br />

dem Camp zu erleben sein.<br />

Es ist das Kaleidoskop einer<br />

Spurensuche, ein Gewirr roter<br />

Fäden ohne Anfang und Ende,<br />

vielschichtig, bewegt und bewegend.<br />

Nicht alles ist logisch,<br />

fesselnd und relevant aber unbedingt.<br />

Chapeau!<br />

Marion Klötzer<br />

Als Paar zusammenleben<br />

ohne verheiratet zu sein? Null<br />

Problem heutzutage. Nicht<br />

so in dem 2005 erstmals auf<br />

Ein turbulenter Spaß<br />

Klassische Screwball-Komödie auf der Alemannischen Bühne<br />

Deutsch (Maria Harpner,<br />

Anatol Preissler) inszenierten<br />

Stück „Job Suey: Kein Dinner<br />

für Sünder“ des Briten Edward<br />

Taylor. Das ist hanebüchen<br />

konstruiert: Haufenweise absurde<br />

Entscheidungen, Zufälle<br />

und Missverständnisse. Dazu<br />

gibt’s schrullige Charaktere in<br />

pikanten Hierarchie-Verwirblungen.<br />

So wird eine klassische<br />

Screwball-Komödie draus:<br />

Schnell, schräg und voller Dialogwitz,<br />

zumal auf der in lindgrüner<br />

Folklore tapezierten<br />

Alemannischen Bühne (Ausstattung:<br />

Alexander Albiker)<br />

sechs ziemlich sinnfreie Türen<br />

für rasante Auf- und Abgänge<br />

sorgen und so das Genre parodieren.<br />

Unter dem Titel „E Ma kunnt<br />

selte ellai“ (in Mundart übertragen<br />

von Lissy Lücke) feierte<br />

das hellwache Laien-Ensemble<br />

jetzt Premiere – ein turbulenter<br />

Spaß auch für das Publikum.<br />

Vor allem weil Hausregisseur<br />

Martin Mayer hier alle Männerrollen<br />

mit Frauen besetzt<br />

und andersrum, was altbackene,<br />

im Original ziemlich dick<br />

aufgetragene Geschlechtsstereotype<br />

aushebelt und für erfrischende<br />

Irritationen sorgt.<br />

So kommt es, dass zwei Business-Frauen<br />

im Wohnzimmer<br />

Scotch kübeln, während sich in<br />

der Küche Männer tummeln,<br />

die alle helfen wollen... – Die<br />

Story ist krude: Tanja Waldhaus<br />

(Sandra Jettkandt) arbeitet<br />

als Führungskraft eines<br />

Börsenunternehmens und erwartet<br />

zum Abendessen ihre<br />

Oberchefin samt Gemahl auf<br />

deren Tour durch „The Länd“.<br />

Klar will Tanja „a richtig gude<br />

idruck mache“. Da gibt’s nur<br />

ein Problem: Hannelore Huppenberger<br />

ist auch Präsidentin<br />

des Vereins gegen moralischen<br />

Frevel und kündigt in ihrer<br />

Belegschaft rigoros allen, die<br />

nicht verheiratet sind. – Wär<br />

im Prinzip kein Ding, nur<br />

macht Tanjas Freund Hendrik<br />

(Martin Maier) statt Hampelmann<br />

die Drama-Queen und<br />

so muss Tanja ganz schnell<br />

einen Ersatz finden, der auch<br />

noch kochen kann.<br />

In ihrer Verzweiflung bleib<br />

nur der Putzmann – mit Joachim<br />

Mast der eigentliche Star<br />

des Abends: Ein schriller Vogel,<br />

der den Schnabel nicht halten<br />

kann, ein Clown mit Chaos-Potential<br />

und den Allüren<br />

eines alternden Rockstars, der<br />

sich seine Show gut bezahlen<br />

lässt. Herrlich! Auf eine verrückte<br />

Art läuft der Abend mit<br />

den Huppenbergers (Neuzugang<br />

Gerlinde Lorenz, Bernd<br />

Geiger) dann erstaunlich gut,<br />

zumal Putzmann Ernst sich<br />

als Naturtalent mit goldenem<br />

Riecher für lukrative Aktienkäufe<br />

zeigt. Leider versagt er<br />

in der Küche komplett und die<br />

Gäste bekommen Cornflakes<br />

mit Wollmäusen zum Aperitif,<br />

während sein Kaugummi<br />

irgendwo im Nudelwasser<br />

schwimmt. Aber dann kommt<br />

nicht nur Hendrik reumütig<br />

zurück um für Tanja den Ehemann<br />

zu mimen, sondern auch<br />

ihr überengagierter Assistent<br />

Torsten (Felix Zapf). Der will<br />

eigentlich Schauspieler werden,<br />

da passt solche Mission<br />

perfekt.<br />

Drei Lovers statt eines braven<br />

Ehemanns, das ist für die<br />

„Madonna der Börse“ ganz<br />

klar Sodom und Gomorrha.<br />

Schon zetert sie was von Skandal,<br />

Unzucht und Kündigung<br />

– aber da hat einer des Trios<br />

noch einen Trumpf in der Tasche...<br />

Gut gemacht, gut gespielt<br />

– lustiges Familienstück!<br />

Jedes Wochenende bis zum<br />

28. Januar, je 20.15 Uhr. Alemannische<br />

Bühne, Freiburg.<br />

Marion Klötzer

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