flip-Joker_2022-11
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nachhaltig KULTUR JOKER 29<br />
Das köstliche Gefühl der Revolution<br />
Die Philosophin Eva von Redecker entwirft in ihrem Buch „Revolution für das Leben“ gedankliche und praktische<br />
Wege zur Überwindung der kapitalistischen Sachherrschaft<br />
Im Septemberheft des Kultur<br />
<strong>Joker</strong>s wurde das Buch „Revolution<br />
für das Klima“ des<br />
Wirtschaftswissenschaftlers<br />
Christian Zeller vorgestellt.<br />
Auf Basis einer vorwiegend<br />
politökonomischen Analyse<br />
des kapitalistischen Wirtschaftssystems<br />
fordert er darin<br />
mit Blick auf die drohende Klimakatastrophe<br />
einen radikalen<br />
Bruch mit dessen Mensch und<br />
Natur grenzenlos ausbeutender<br />
Profit- und Konkurrenzlogik.<br />
Als Konsequenz sieht er in<br />
einer öko-sozialistischen Umwälzung<br />
die notwendige Voraussetzung<br />
für die Klimarettung,<br />
die Vergesellschaftung<br />
der Produktionsmittel, den<br />
Aufbau rätedemokratischer<br />
Strukturen und damit für das<br />
Überleben der Menschheit.<br />
Eva von Redecker, wie Zeller<br />
in erklärt kritischer marxistischer<br />
Tradition, kommt<br />
in ihrem Buch zu ähnlichen<br />
Ergebnissen, freilich auf ganz<br />
anderen Wegen. Gleich in der<br />
Einleitung stellt sie klar: Hier<br />
geht es um nichts weniger als<br />
um „das Leben in einer speziellen<br />
Hinsicht: der Befreiung<br />
von kapitalistischer Herrschaft.“<br />
Analyse<br />
Dies bleibt bei Redecker kein<br />
ideologisches Schlagwort,<br />
denn sie analysiert die kapitalistische<br />
Systematik und die<br />
darauf fußende Gesellschaftsverfassung<br />
mit gnadenloser<br />
Akribie. Sie zeigt, dass deren<br />
elementare Fixierung auf das<br />
private Eigentumsrecht an<br />
Produktionsmitteln zur Willkür<br />
der Kapitaleigner berechtigt.<br />
Diese geschützte private<br />
Verfügungshoheit zum Zwecke<br />
der Profitmaximierung<br />
legitimiert ein umfassendes<br />
Reich der „Sachherrschaft als<br />
Weltverhältnis“. Mensch und<br />
Natur sind davon gleichermaßen<br />
betroffen. Der Zwang<br />
zum unbegrenzten Wachstum<br />
führt zum unbegrenzten und<br />
somit destruktiven Raubbau<br />
an endlichen Ressourcen und<br />
zur Ausbeutung der zur Ware<br />
reduzierten Arbeitskraft des<br />
Menschen.<br />
Diese neuen Besitz- und<br />
auch Geschlechterverhältnisse<br />
werden in Anlehnung an Karl<br />
Marx detailliert historisch<br />
hergeleitet - vom bröckelnden<br />
Feudalismus und der Abschaffung<br />
der Sklaverei über die<br />
ursprüngliche Kapital-Akkumulation<br />
und die wachsende<br />
Entfaltung der Produktivkräfte<br />
durch die industrielle Mechanisierung<br />
bis heute. Zentra-<br />
le marxistische Begriffe wie<br />
Entfremdung der Arbeit oder<br />
der Fetischcharakter der Ware<br />
erfahren eine erfrischende Aktualisierung.<br />
Redecker führt in diesem<br />
Zusammenhang darüber hinaus<br />
einen neuen Begriff - den<br />
des Phantombesitzes - ein. Der<br />
Zugewinn an Bürgerrechten<br />
durch die sich entwickelnde<br />
kapitalistische Produktionsweise<br />
erstreckte sich im Wesentlichen<br />
auf die Männer. Patriarchalische<br />
Ehegesetze und<br />
Verweigerung wichtiger bürgerlicher<br />
Rechte schränkten<br />
die Freizügigkeit von Frauen<br />
bis weit ins vergangene Jahrhundert<br />
drastisch ein. Diese<br />
„soziale Sachherrschaft“ wirke<br />
trotz rechtlicher Gleichstellung<br />
bis heute als unbegründet<br />
„verinnerlichter Phantombesitz“,<br />
denn nach wie vor obliegt<br />
die Aufrechterhaltung<br />
des Reproduktionsbereichs<br />
Aktion (2021) von „Ende Gelände“ zum Braunkohle-Ausstieg<br />
faktisch den Frauen. Für den<br />
Kapitalisten (und die Männer)<br />
fungieren die Frauen dadurch<br />
als unbezahlte Dienstleisterinnen.<br />
Dieser ungerechtfertigte<br />
Phantombesitz manifestiert<br />
sich ebenfalls auf vielfältige<br />
Weise in der rassistischen<br />
Spaltung in Weiß und Schwarz<br />
oder gegenüber ethnischen<br />
Minderheiten als „Erbpacht<br />
der Sachherrschaft“.<br />
Im Anschluss an Hannah<br />
Arendts Gedanken in deren<br />
Schrift „Vita activa“ konstatiert<br />
Redecker gegen Ende<br />
ihres Analyseteils einen Verlust<br />
der Welt, die es wieder zu<br />
gewinnen gilt. Sie resümiert:<br />
„Die kapitalistische Wirtschaftsweise…haben<br />
wir auf<br />
dem Rücken der natürlichen<br />
Nach dem gewaltsamen Tod von Mahsa Amini halten die Proteste im Iran weiterhin an<br />
© Martin Bernetti/AFP<br />
Zyklen errichtet…Aber die<br />
von Eigentumsfixierung und<br />
Profitorientierung zerstörten<br />
Grundlagen sind die Grundlagen<br />
jeglicher Zivilisation<br />
und sämtlichen Lebens auf der<br />
Erde.“ (S. 120) Und sie lässt<br />
keinen Zweifel: Für deren<br />
Wiederherstellung bleibt nicht<br />
viel Zeit und sie kann nur über<br />
revolutionären Widerstand und<br />
schließlich die Überwindung<br />
des Kapitalismus führen.<br />
Revolution für das Leben<br />
Für Redecker stehen die<br />
Chancen dafür gar nicht so<br />
schlecht, denn sie sieht gerade<br />
in jüngster Zeit weltweit<br />
ein Erstarken von vielfältigen<br />
Protestbewegungen neuen<br />
Typs. „Die neuen Formen des<br />
Widerstands gehen von einer<br />
Foto: Hubert Perschke<br />
Mobilisierung für akut bedrohte<br />
Leben aus und kämpfen<br />
für die Aussicht auf geteiltes,<br />
gemeinsam gewahrtes und<br />
solidarisches Leben. Eine Revolution<br />
für das Leben findet<br />
sich in der antirassistischen<br />
Mobilisierung gegen Polizeigewalt,<br />
im feministischen<br />
Kampf gegen Frauenmorde<br />
und in der Klimabewegung,<br />
die das Schreckbild eines toten<br />
Planeten ins Bewusstsein<br />
gehoben hat.“<br />
Auf vielen Seiten beschreibt<br />
sie Bewegungen wie das antirassistische<br />
2013 in den USA<br />
entstandene „Black Lives<br />
Matter“-Movement oder die<br />
mexikanische feministische<br />
„NiUnaMenos“ (Nicht eine<br />
weniger) gegen Frauenmorde,<br />
die beispielgebend auf viele<br />
Länder der Erde ausstrahlt.<br />
Für die globale Umweltbewegung<br />
steht das Aktionsbündnis<br />
„Ende Gelände“ als Teil der<br />
internationalen Klimagerechtigkeitsbewegung<br />
„Climate<br />
Justice Now“. All diesen teils<br />
militanten Widerstandsformen<br />
und Bewegungen gemeinsam<br />
ist eine langandauernde, permanent<br />
rebellische antikapitalistische<br />
Grundhaltung. Sie