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nachhaltig KULTUR JOKER 29<br />

Das köstliche Gefühl der Revolution<br />

Die Philosophin Eva von Redecker entwirft in ihrem Buch „Revolution für das Leben“ gedankliche und praktische<br />

Wege zur Überwindung der kapitalistischen Sachherrschaft<br />

Im Septemberheft des Kultur<br />

<strong>Joker</strong>s wurde das Buch „Revolution<br />

für das Klima“ des<br />

Wirtschaftswissenschaftlers<br />

Christian Zeller vorgestellt.<br />

Auf Basis einer vorwiegend<br />

politökonomischen Analyse<br />

des kapitalistischen Wirtschaftssystems<br />

fordert er darin<br />

mit Blick auf die drohende Klimakatastrophe<br />

einen radikalen<br />

Bruch mit dessen Mensch und<br />

Natur grenzenlos ausbeutender<br />

Profit- und Konkurrenzlogik.<br />

Als Konsequenz sieht er in<br />

einer öko-sozialistischen Umwälzung<br />

die notwendige Voraussetzung<br />

für die Klimarettung,<br />

die Vergesellschaftung<br />

der Produktionsmittel, den<br />

Aufbau rätedemokratischer<br />

Strukturen und damit für das<br />

Überleben der Menschheit.<br />

Eva von Redecker, wie Zeller<br />

in erklärt kritischer marxistischer<br />

Tradition, kommt<br />

in ihrem Buch zu ähnlichen<br />

Ergebnissen, freilich auf ganz<br />

anderen Wegen. Gleich in der<br />

Einleitung stellt sie klar: Hier<br />

geht es um nichts weniger als<br />

um „das Leben in einer speziellen<br />

Hinsicht: der Befreiung<br />

von kapitalistischer Herrschaft.“<br />

Analyse<br />

Dies bleibt bei Redecker kein<br />

ideologisches Schlagwort,<br />

denn sie analysiert die kapitalistische<br />

Systematik und die<br />

darauf fußende Gesellschaftsverfassung<br />

mit gnadenloser<br />

Akribie. Sie zeigt, dass deren<br />

elementare Fixierung auf das<br />

private Eigentumsrecht an<br />

Produktionsmitteln zur Willkür<br />

der Kapitaleigner berechtigt.<br />

Diese geschützte private<br />

Verfügungshoheit zum Zwecke<br />

der Profitmaximierung<br />

legitimiert ein umfassendes<br />

Reich der „Sachherrschaft als<br />

Weltverhältnis“. Mensch und<br />

Natur sind davon gleichermaßen<br />

betroffen. Der Zwang<br />

zum unbegrenzten Wachstum<br />

führt zum unbegrenzten und<br />

somit destruktiven Raubbau<br />

an endlichen Ressourcen und<br />

zur Ausbeutung der zur Ware<br />

reduzierten Arbeitskraft des<br />

Menschen.<br />

Diese neuen Besitz- und<br />

auch Geschlechterverhältnisse<br />

werden in Anlehnung an Karl<br />

Marx detailliert historisch<br />

hergeleitet - vom bröckelnden<br />

Feudalismus und der Abschaffung<br />

der Sklaverei über die<br />

ursprüngliche Kapital-Akkumulation<br />

und die wachsende<br />

Entfaltung der Produktivkräfte<br />

durch die industrielle Mechanisierung<br />

bis heute. Zentra-<br />

le marxistische Begriffe wie<br />

Entfremdung der Arbeit oder<br />

der Fetischcharakter der Ware<br />

erfahren eine erfrischende Aktualisierung.<br />

Redecker führt in diesem<br />

Zusammenhang darüber hinaus<br />

einen neuen Begriff - den<br />

des Phantombesitzes - ein. Der<br />

Zugewinn an Bürgerrechten<br />

durch die sich entwickelnde<br />

kapitalistische Produktionsweise<br />

erstreckte sich im Wesentlichen<br />

auf die Männer. Patriarchalische<br />

Ehegesetze und<br />

Verweigerung wichtiger bürgerlicher<br />

Rechte schränkten<br />

die Freizügigkeit von Frauen<br />

bis weit ins vergangene Jahrhundert<br />

drastisch ein. Diese<br />

„soziale Sachherrschaft“ wirke<br />

trotz rechtlicher Gleichstellung<br />

bis heute als unbegründet<br />

„verinnerlichter Phantombesitz“,<br />

denn nach wie vor obliegt<br />

die Aufrechterhaltung<br />

des Reproduktionsbereichs<br />

Aktion (2021) von „Ende Gelände“ zum Braunkohle-Ausstieg<br />

faktisch den Frauen. Für den<br />

Kapitalisten (und die Männer)<br />

fungieren die Frauen dadurch<br />

als unbezahlte Dienstleisterinnen.<br />

Dieser ungerechtfertigte<br />

Phantombesitz manifestiert<br />

sich ebenfalls auf vielfältige<br />

Weise in der rassistischen<br />

Spaltung in Weiß und Schwarz<br />

oder gegenüber ethnischen<br />

Minderheiten als „Erbpacht<br />

der Sachherrschaft“.<br />

Im Anschluss an Hannah<br />

Arendts Gedanken in deren<br />

Schrift „Vita activa“ konstatiert<br />

Redecker gegen Ende<br />

ihres Analyseteils einen Verlust<br />

der Welt, die es wieder zu<br />

gewinnen gilt. Sie resümiert:<br />

„Die kapitalistische Wirtschaftsweise…haben<br />

wir auf<br />

dem Rücken der natürlichen<br />

Nach dem gewaltsamen Tod von Mahsa Amini halten die Proteste im Iran weiterhin an<br />

© Martin Bernetti/AFP<br />

Zyklen errichtet…Aber die<br />

von Eigentumsfixierung und<br />

Profitorientierung zerstörten<br />

Grundlagen sind die Grundlagen<br />

jeglicher Zivilisation<br />

und sämtlichen Lebens auf der<br />

Erde.“ (S. 120) Und sie lässt<br />

keinen Zweifel: Für deren<br />

Wiederherstellung bleibt nicht<br />

viel Zeit und sie kann nur über<br />

revolutionären Widerstand und<br />

schließlich die Überwindung<br />

des Kapitalismus führen.<br />

Revolution für das Leben<br />

Für Redecker stehen die<br />

Chancen dafür gar nicht so<br />

schlecht, denn sie sieht gerade<br />

in jüngster Zeit weltweit<br />

ein Erstarken von vielfältigen<br />

Protestbewegungen neuen<br />

Typs. „Die neuen Formen des<br />

Widerstands gehen von einer<br />

Foto: Hubert Perschke<br />

Mobilisierung für akut bedrohte<br />

Leben aus und kämpfen<br />

für die Aussicht auf geteiltes,<br />

gemeinsam gewahrtes und<br />

solidarisches Leben. Eine Revolution<br />

für das Leben findet<br />

sich in der antirassistischen<br />

Mobilisierung gegen Polizeigewalt,<br />

im feministischen<br />

Kampf gegen Frauenmorde<br />

und in der Klimabewegung,<br />

die das Schreckbild eines toten<br />

Planeten ins Bewusstsein<br />

gehoben hat.“<br />

Auf vielen Seiten beschreibt<br />

sie Bewegungen wie das antirassistische<br />

2013 in den USA<br />

entstandene „Black Lives<br />

Matter“-Movement oder die<br />

mexikanische feministische<br />

„NiUnaMenos“ (Nicht eine<br />

weniger) gegen Frauenmorde,<br />

die beispielgebend auf viele<br />

Länder der Erde ausstrahlt.<br />

Für die globale Umweltbewegung<br />

steht das Aktionsbündnis<br />

„Ende Gelände“ als Teil der<br />

internationalen Klimagerechtigkeitsbewegung<br />

„Climate<br />

Justice Now“. All diesen teils<br />

militanten Widerstandsformen<br />

und Bewegungen gemeinsam<br />

ist eine langandauernde, permanent<br />

rebellische antikapitalistische<br />

Grundhaltung. Sie

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