flip-Joker_2022-11
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MIxTAPE KULTUR JOKER 25<br />
„Natürlich haben wir uns verzockt“<br />
Im Interview: Nicole Lapp und Markus Schillberg, Multicore Freiburg e.V<br />
Im Juli diesen Jahres ludt<br />
das reboot open air <strong>2022</strong> regionale<br />
Bands zu einem Festival<br />
in den Eschholzpark<br />
ein. Was zunächst vielversprechend<br />
klang, endete in<br />
einem finanziellen Disaster<br />
für den Veranstalter Multicore<br />
Freiburg e.V., der sonst<br />
als Anlaufstelle für Bands<br />
und Musiker:innen agiert<br />
und diese bei Konzertveranstaltungen,<br />
Proberaumvermittlung,<br />
Second Hand<br />
Musikequipment, Fördergeldern<br />
und mehr unterstützt.<br />
Seit über zwei Jahrzehnten<br />
widmet sich der Verein dieser<br />
Aufgabe und hat sich zu<br />
einem etablierten Standbein<br />
der lokalen Bandszene entwickelt,<br />
das nun ins Wanken<br />
gerät. In einem kritischen<br />
Resümée heißt es: „Seit dem<br />
Festival-Finanz-Crash steht<br />
die Handlungsfähigkeit des<br />
Vereins auf Stand-By“, vom<br />
Aus ist die Rede. Über die<br />
aktuelle Notsituation, das<br />
reboot open air und Hilfsmöglichkeiten<br />
sprach Elisabeth<br />
Jockers mit Markus<br />
Schillberg, stellvertretender<br />
Vorsitzender des Vereins sowie<br />
Projektleiter des reboot<br />
open air <strong>2022</strong> und Nicole<br />
Lapp aka Püppi, Beisitzerin<br />
im Vorstand und betraut mit<br />
dem Booking des Festivals.<br />
Kultur <strong>Joker</strong>: Wie läuft der<br />
Spendenaufruf soweit?<br />
Markus: Bislang haben wir<br />
über das Crowdfunding und<br />
direkte Überweisungen ca.<br />
2000 Euro Spenden erhalten.<br />
Im Oktober haben wir außerdem<br />
einen Pop-Up Musikgarten<br />
veranstaltet, der uns auch<br />
nochmal um die 2000 Euro<br />
Erlös eingebracht hat.<br />
Kultur <strong>Joker</strong>: Reicht das denn<br />
für die kommenden Monate?<br />
Markus: Nein, das ist ein<br />
bisschen mehr als 10 Prozent<br />
dessen, was wir eigentlich<br />
schnell benötigen würden, um<br />
den Schaden des Festivals auszugleichen.<br />
Vom Gemeinderat<br />
erhalten wir jetzt ein Darlehen<br />
in Höhe von 30.000 Euro. Das<br />
Unterstützer*innen der Seite:<br />
(v.l.n.r.) Markus Schillberg, Daniel Wurzer und Nicole Lapp<br />
© Peter Herrmann<br />
ist natürlich kein Geschenk,<br />
sondern ein Vorschuss auf<br />
unsere Förderung im kommenden<br />
Jahr. Das Geld hilft<br />
uns jetzt, damit wir nicht in<br />
die Insolvenz müssen, aber<br />
das vorgestreckte Geld wird<br />
uns natürlich im kommenden<br />
Jahr fehlen. Damit ist unsere<br />
Handlungsfähigkeit sehr einschränkt,<br />
insbesondere wenn<br />
es um Proberäume, Mitarbeitende<br />
usw geht.<br />
Kultur <strong>Joker</strong>: Bereut ihr es,<br />
das reboot open air veranstaltet<br />
zu haben?<br />
Markus: Natürlich haben wir<br />
uns verzockt, aber die Notwendigkeit<br />
eines solchen Festivals<br />
existiert. Während der Pandemie<br />
hat die regionale Bandszene<br />
wahnsinnig gelitten: es gab<br />
keine Gigs mehr und somit<br />
© Peter Herrmann<br />
auch kaum Möglichkeiten das<br />
Publikum zu erreichen. Als<br />
Multicore ist Vernetzung und<br />
Infrastruktur unsere Aufgabe,<br />
z.B. in Form von Proberäumen,<br />
eines der drängendsten<br />
Themen in Freiburg.<br />
Kultur <strong>Joker</strong>: Also überhaupt<br />
keine Reue?<br />
Markus: Doch natürlich,<br />
wir bereuen wie das Festival<br />
gelaufen ist, aber nicht, dass<br />
wir es gemacht haben. Rückblickend<br />
hätten wir vieles<br />
anders machen müssen. In<br />
nur acht Wochen ein Festival<br />
dieser Größe zu organisieren,<br />
auch mit einer Förderung von<br />
90.000 Euro, war zu hoch gegriffen.<br />
Wir hatten kaum Zeit<br />
Werbung zu machen, weil wir<br />
damit beschäftigt waren, die<br />
Infrastruktur auf die Beine zu<br />
stellen.<br />
Kultur <strong>Joker</strong>: Wurde euch<br />
denn eine Veranstaltungs-<br />
Deadline für den Juli gesetzt?<br />
Nicole: Nein, das lag an uns.<br />
Unser Vorstand begann im<br />
August ein Projekt in Köln,<br />
weswegen wir uns intern die<br />
Frist im Juli setzten. Rückblickend<br />
würde ich auch sagen,<br />
dass wir es auf den September<br />
hätten legen sollen.<br />
Kultur <strong>Joker</strong>: Ihr schreibt in<br />
eurem kritischen Resümee,<br />
dass Multicore kein „erfahrener<br />
Festivalveranstalter“<br />
sei. Woher dann das Selbstbewusstsein,<br />
ein so großes Festival<br />
stemmen zu wollen?<br />
Nicole: Jeder von uns hat sein<br />
Steckenpferd und ist in seinem<br />
Bereich wirklich gut. Technik,<br />
Licht, Bühne, Bands – wir<br />
waren individuell in unseren<br />
Bereichen sehr sicher und haben<br />
uns auch gegenseitig hart<br />
gepusht. Für mich war zum<br />
Beispiel die Organisation des<br />
Backstagebereichs wichtig,<br />
damit die Bands sich geschätzt<br />
fühlen.<br />
Markus: Die Frage ist schon<br />
auch berechtigt. Warum tut<br />
man sich das an? Das war Leidenschaft<br />
und Idealismus – sowas<br />
braucht es eben auch. Wir<br />
kommen ja alle selbst aus der<br />
Bandszene und wissen, wie<br />
groß der Bedarf nach einem<br />
solchen Event wirklich ist.<br />
Freiburg hat für die künstlerische<br />
Selbstverwirklichung<br />
eigentlich gute Voraussetzung,<br />
vor allem was die Lage und<br />
das Mindset angeht. Aber sowohl<br />
die Infrastruktur als auch<br />
Wertschätzung der Szene ist<br />
eher gering. Deshalb wollten<br />
wir den Bands eine wirklich<br />
geile Bühne bieten mit guter<br />
Versorgung, auch im Backstagebereich.<br />
Kultur <strong>Joker</strong>: Ihr habt also<br />
viel Wert auf die kleinen Details<br />
gelegt. Waren das Faktoren,<br />
bei denen ihr euch finanziell<br />
verkalkuliert habt?<br />
Markus: Wir haben mit zu<br />
vielen Einnahmen durch den<br />
Eintritt gerechnet. Über vier<br />
Tage mit 3000-3500 zahlenden<br />
Gästen bei einem Eintritt von<br />
22-27 Euro zu rechnen, war<br />
nicht weit genug gedacht. Den<br />
Musikern wollten wir eine<br />
professionelle Bühne zur Verfügung<br />
stellen. Auch, um den<br />
Bands gutes Bild- und Videomaterial<br />
für ihre Portfolios bieten<br />
zu können, damit sie sich<br />
endlich auch außerhalb dieser<br />
Stadt ordentlich bewerben können.<br />
Natürlich kostet auch die<br />
Infrastruktur Geld. Wir haben<br />
im Eschholzpark veranstaltet,<br />
dort gibt es weder Toiletten<br />
noch ausreichend Strom.<br />
Kultur <strong>Joker</strong>. Wie hoch ist der<br />
gesamte Schaden?<br />
Markus: Der Schaden hätte<br />
eigentlich bei über 48.000<br />
Euro gelegen. Nach Plan hätten<br />
die Helferinnen und Helfer<br />
und wir von der Organisation<br />
noch eine Aufwandsentschädigung<br />
bekommen, wenn das<br />
Festival entsprechend gelaufen<br />
wäre. Auf diese verzichten wir<br />
jetzt. Ausstehende Rechnungen<br />
gibt es jetzt vor allem bei den<br />
Dienstleistern.<br />
Kultur <strong>Joker</strong>: Also lag es am<br />
Publikum?<br />
Markus: Ja, es fehlten uns<br />
tatsächlich die Einnahmen.<br />
Kultur <strong>Joker</strong>: In diesem Sommer<br />
gab es so viele Festivals<br />
wie kaum zuvor, viele davon im<br />
Juli. Einige der Bands auf eurem<br />
Line-up waren parallel bei<br />
kostenfreien Veranstaltungen<br />
zu sehen. Fehlte da das Verständnis<br />
des Publikums? Oder<br />
das der Bands?<br />
Nicole: Ja, das Verständnis<br />
hat auf beiden Seiten gefehlt.<br />
Ich finde es immer schade,<br />
wenn Bands ihre Musik „verramschen“<br />
und jeden Auftritt<br />
umsonst spielen. Da fehlt auch<br />
die Wertschätzung seitens der<br />
Veranstalter gegenüber den lokalen<br />
Bands.<br />
Markus: Ich glaube, dass<br />
die Bands ihren eigenen Wert<br />
nicht sehen …<br />
Nicole: Klar, die haben Bock<br />
zu spielen und wenn es dann<br />
mal eine Möglichkeit gibt, tun<br />
sie das natürlich auch umsonst.<br />
Ich finde das für jede Band und<br />
auch die Szene eher kontraproduktiv.<br />
Markus: Ich denke auch, dass<br />
es für viele Bands einfach cool<br />
war, überhaupt mal richtige<br />
Gigs in Freiburg zu spielen, die<br />
Möglichkeit gibt es sonst vielleicht<br />
ein- bis zweimal im Jahr<br />
und wenn dann im Café Atlantik<br />
oder auf privaten Feiern.<br />
Dann sage ich da natürlich zu<br />
und denke nicht darüber nach,<br />
welche Konsequenzen das z.B.<br />
für unseren Verein hat.<br />
Kultur <strong>Joker</strong>: Plant ihr neben<br />
dem Crowdfunding weitere<br />
Veranstaltungen, bei denen<br />
der Verein unterstützt werden<br />
kann?<br />
Nicole: Am 5. November veranstalten<br />
wir eine Spendengala<br />
mit Live-Musik im Haus der<br />
Jugend. Nachdem der Pop-up<br />
Musikgarten so gut gelaufen<br />
ist, wird es sowas bestimmt<br />
nochmal mit Glühwein geben.<br />
Kultur <strong>Joker</strong>: Herzlichen<br />
Dank für das Gespräch, wir<br />
wünschen dem Verein alles<br />
Gute für die Zukunft.<br />
Hier könnt ihr den Multicore<br />
Freiburg e.V. unterstützen:<br />
https://www.betterplace.<br />
org/de/projects/<strong>11</strong>3035?utm_<br />
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medium=ppp_sticky&utm_<br />
source=Link<br />
oder via PayPal an<br />
kasse@multicore-freiburg.de,<br />
Verwendungszweck: “Nothilfe<br />
Vereinsrettung”