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22 KULTUR JOKER Kultour<br />

„Du kannst die Kreativität nicht stoppen“<br />

Im Gespräch: Choreografin Krisztina Horváth anlässlich ihres 75. Geburtstags<br />

Auf der Suche nach dem<br />

„Grünen Tisch“, dem epochalen<br />

Antikriegs-Ballett von<br />

Kurt Jooss, emigrieren die<br />

ungarische Tänzerin Krisztina<br />

Horváth und ihr Ehemann<br />

Michael Molnár 1970 in die<br />

BRD. Nach schnellem Anschluss<br />

an die Ballettwelt der<br />

1970-er Jahre fanden sie den<br />

Weg zum Tanzforum Köln –<br />

und: zum“Grünen Tisch“. Renate<br />

Killmann sprach mit ihr.<br />

Kultur <strong>Joker</strong>: Liebe Krisztina,<br />

Du bist in diesem Jahr 75<br />

Jahre alt geworden und immer<br />

noch als Choreografin aktiv. Als<br />

Tänzerin warst Du an verschiedenen<br />

Theatern in Ungarn und<br />

in Deutschland tätig, hast dann<br />

die Sparte Tanz an den Theatern<br />

in Osnabrück, Freiburg und<br />

Kassel geleitet und 1996 das<br />

freie TanzTheaterEutin gegründet.<br />

Was treibt Dich an, immer<br />

weiter Tanz zu kreieren?<br />

Krisztina Horváth: Erst einmal:<br />

nach Kassel wollte ich gar<br />

nichts mehr machen. Jetzt, du<br />

kannst die Kreativität nicht stoppen!<br />

Irgendwann, als ich schöne<br />

Menschen um mich hatte und<br />

schöne Musik hörte, ist mir wieder<br />

etwas eingefallen. Zunächst<br />

hatte ich in Eutin eine Kinderballettschule,<br />

habe dann mit den<br />

jungen Müttern weiter gearbei-<br />

Renate Killmann mit Krisztina Horváth in Eutin<br />

tet, sie mit dem Tanztheater vertraut<br />

gemacht. Auch kamen einige<br />

ehemalige Tänzer:innen als<br />

Gäste dazu, das geht bis heute.<br />

Wir machen gerne weiter.<br />

Kultur <strong>Joker</strong>: Schauen wir auf<br />

einige Stationen Deiner Laufbahn:<br />

Du warst im Ballettinternat<br />

in Budapest, wo Du auch<br />

Deinen Mann Michael Molnár<br />

kennen gelernt hast. Zusammen<br />

wart Ihr im Erstengagement<br />

beim Ballett in Pécs. 1970 seid<br />

Ihr dann während eines Gastspiels<br />

mit dieser Compagnie in<br />

den Westen geflüchtet – warum?<br />

Krisztina Horváth: Das<br />

ist ganz einfach: das Ballett<br />

Pécs war zwar eine anerkannte<br />

Gruppe – wir haben viele Gastspiele<br />

gemacht in Leningrad, in<br />

Moskau und u.a. auch in Paris –<br />

aber die Tanztechnik war nicht<br />

modern, nicht zeitgemäß. Dann<br />

haben wir bei einem Gastspiel<br />

in Ljubljana Choreografien von<br />

Glen Tetley und Hans van Manen<br />

gesehen und haben erkannt,<br />

was es alles noch gibt. Auch waren<br />

wir auf der Suche nach dem<br />

„Grünen Tisch“, einem Ballett,<br />

von dem unsere Lehrerin in der<br />

Ausbildung immer gesprochen<br />

hat. Bei einem weiteren Gastspiel<br />

in Passau sind wir dann im<br />

Westen geblieben.<br />

Kultur <strong>Joker</strong>: Wie waren Eure<br />

Erfahrungen im Westen, zunächst<br />

in Düsseldorf und dann<br />

sieben Jahre lang beim Tanzforum<br />

Köln?<br />

Krisztina Horváth: In Düsseldorf<br />

hatten wir eine schöne,<br />

sorglose Zeit bei Erich Walter.<br />

Es war wieder sehr klassisch,<br />

aber auf neuere Art: es gab viele<br />

Stücke von Hans van Manen,<br />

z.B. „Die Große Fuge“. Bald<br />

kam ein ungarischer Freund,<br />

Imre Zoltán zu uns und sagte:<br />

„Kommt rüber zu uns, ich zeige<br />

Euch das Tanzforum“. So kamen<br />

wir nach Köln, dort hin, wo „Der<br />

Grüne Tisch“ getanzt wurde.<br />

Wir haben das Ballett selber ca.<br />

60 Mal getanzt, denn bei jedem<br />

Gastspiel des Tanzforums wurde<br />

das Stück aufgeführt.<br />

Kultur <strong>Joker</strong>: Wie war dann<br />

die Zusammenarbeit mit Kurt<br />

Jooss?<br />

Foto: Berend Neumann<br />

Krisztina Horváth: Er hat<br />

ja die Einstudierung nicht gemacht,<br />

sondern Anna Markard,<br />

sie war sehr genau und streng!<br />

Aber sie hat die Choreografie<br />

gut einstudiert.<br />

Kultur <strong>Joker</strong>: Wie war es mit<br />

der modernen Tanztechnik?<br />

Krisztina Horváth: Michael<br />

hat die Modern Technik sehr<br />

schnell gelernt, schneller als ich.<br />

Ich habe mich mehr dafür interessiert,<br />

was die Gastchoreografen<br />

gemacht haben, war total<br />

fasziniert von der neuen und anderen<br />

Arbeitsweise. Es war ein<br />

tolles Programm! Dann habe<br />

ich mit den Kollegen für den<br />

Choreografischen Wettbewerb<br />

ein erstes Stück choreografiert:<br />

„Was steckt im Sack?“ – später<br />

dann mit dem Stück „Charlies<br />

Traum“ habe ich eine so tolle<br />

Kritik von Jochen Schmidt in<br />

der FAZ bekommen, dass die<br />

Theaterintendanten auf mich<br />

aufmerksam wurden.<br />

Kultur <strong>Joker</strong>: Wie waren Deine<br />

Erfahrungen als Tanztheater<br />

Chefin in Osnabrück und dann<br />

für sieben Jahre in Freiburg,<br />

wo Du Dein Tanztheater erfolgreich<br />

etabliert hast?<br />

Krisztina Horváth: Zunächst<br />

hat mich Dr. August nach Osnabrück<br />

engagiert, wo ich mit<br />

„Dorfszenen“ und einem Schostakowitsch-Programm<br />

große<br />

Projekte realisieren konnte.<br />

Dann kam Ulrich Brecht aus<br />

Essen zu mir und holte mich<br />

nach der zweiten Spielzeit nach<br />

Freiburg.<br />

Kultur <strong>Joker</strong>: Was waren<br />

Deine größten künstlerischen<br />

Erfolge, wichtigsten Projekte in<br />

Freiburg und danach in Kassel?<br />

Was waren die großen Themen<br />

Deiner Arbeit?<br />

Krisztina Horváth: In Freiburg<br />

habe ich auf Wunsch des<br />

Intendanten mit einem berühmten<br />

Stück, mit „Romeo<br />

und Julia“ eröffnet. Das war<br />

Ulrich Brecht wichtig, dass die<br />

Leute kommen, um zu schauen.<br />

„Aber Du kannst es auf Deine<br />

Art machen“, sagte er zu mir.<br />

Das tat ich dann auch: mit einem<br />

völlig neuen Musik-Konzept,<br />

mit Alter Musik, Renaissance-<br />

Musik und ich habe mit viel<br />

Stoff gearbeitet.<br />

Meine weiteren Produktionen<br />

in der Freiburger Zeit waren<br />

außerdem: „Gott und Nijinsky“,<br />

„Auf Leonardos Spuren“,<br />

„Erinnerung und Vergänglichkeit“.<br />

Dann die Porträts von<br />

Charlie Chaplin und Buster<br />

Keaton zum Beispiel. In Kassel<br />

war sicherlich die Deutsche<br />

Erstaufführung von Mauricio<br />

Kagels „Tantz-Schul“ von Bedeutung.<br />

Dort habe ich drei<br />

Lorca-Abende gemacht: „Bernarda<br />

Albas Haus“, „Yerma“<br />

und „Bluthochzeit“.<br />

Kultur <strong>Joker</strong>: Das sind alles<br />

sehr schwere Themen.<br />

Krisztina Horváth: Ja, das<br />

stimmt. Krieg, Tod und Vergänglichkeit<br />

waren immer wiederkehrende<br />

Themen.<br />

Kultur <strong>Joker</strong>: Gibt es einen<br />

Grund dafür?<br />

Krisztina Horváth: Ich habe<br />

viel darüber nachgedacht. Ich<br />

glaube, es hat damit zu tun, dass<br />

ich als Neunjährige während<br />

des Ungarischen Aufstandes<br />

1956 drei Monate im Keller<br />

verbracht habe und draußen<br />

wurde geschossen. Diese Situation,<br />

diese Angst vergisst man<br />

nicht. Budapest lag – auch noch<br />

vom 2. Weltkrieg – in Schutt<br />

und Asche. Und weißt Du, was<br />

ich gemacht habe? Ich habe mit<br />

den anderen Kindern Theater<br />

gespielt, unten im Keller … Es<br />

gab aber auch leichtere, unterhaltsame<br />

Programme: z.B. „English<br />

Lesson“, „Silent Clowns“<br />

oder „Waltz-Nocturnes“.<br />

Kultur <strong>Joker</strong>: Jetzt in Eutin:<br />

wie ist der Unterschied, mit<br />

einem freien Tanztheater zu arbeiten?<br />

Krisztina Horváth: In Eutin<br />

dachte ich zunächst, dass ich<br />

gar nichts mehr mache. Jetzt,<br />

wenn ich mir die Stücke anschaue,<br />

die wir inzwischen hier<br />

realisiert haben, dann ist das<br />

schon ganz enorm! „Carmen“,<br />

ein Wigman-Stück, „Zauberflöte“,<br />

„Dido“, „Anne Frank“,<br />

ein Stück über Valeska Gert,<br />

und vieles mehr. Alles wird<br />

natürlich sparsam gemacht,<br />

wir suchen Orte, wo wir kein<br />

Bühnenbild brauchen. Mehrere<br />

Stücke sind in Kooperation mit<br />

dem GEDOK-Atelierhaus in<br />

Lübeck entstanden. Es ist alles<br />

in kleinerem Rahmen, aber es<br />

sind doch von mir professionell<br />

gestaltete Projekte.

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