flip-Joker_2022-11
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16 KULTUR JOKER KUNST<br />
Brüche und Kontinuitäten<br />
Das Kunstmuseum Bern zieht im Fall Gurlitt Bilanz<br />
Provenienzforschung ist eine<br />
Frage des Respekts. Den früheren<br />
Besitzern der Werke, die<br />
meist zu den Verfolgten des Faschismus<br />
gehörten, gegenüber,<br />
aber auch der eigenen Sammlung.<br />
Drei Ausstellungen hat<br />
das Kunstmuseum Bern, das<br />
2014 das Erbe Cornelius Gurlitt<br />
annahm, ausgerichtet, die<br />
sich mit dem Legat befassen.<br />
Die jüngste „Gurlitt. Eine Bilanz“<br />
ist die vorläufig letzte.<br />
Doch bis heute konnten nicht<br />
alle Provenienzen der Werke<br />
geklärt werden, manche wie<br />
Camille Pissarros „Le Louvre<br />
au matin“ konnten jedoch restituiert<br />
werden, mitunter wurden<br />
andere Lösungen gefunden.<br />
Die Annahme der Erbschaft<br />
und die Einrichtung einer eigenen<br />
Provenienzforschung<br />
am Kunstmuseum Bern 2017<br />
hat die nationale Debatte über<br />
Raub- und Fluchtkunst und<br />
die eigene Rolle im Kunsthandel<br />
des Nationalsozialismus<br />
verändert. Womöglich würde<br />
man heute in Zürich auch anders<br />
mit der Sammlung Bührle<br />
umgehen. Die Forschung und<br />
die Auseinandersetzung mit<br />
diesem schwierigen Erbe sind<br />
in die Berner Ausstellung geflossen,<br />
die die Besucher im<br />
ersten Raum mit den kopierten<br />
Rückseiten aller Werke des Legats<br />
empfängt. Sie ziehen sich<br />
bis in das zweite Stockwerk,<br />
wo die von Nikola Doll, Leiterin<br />
der Berner Provenienzabteilung,<br />
kuratierte Ausstellung<br />
fortgesetzt wird.<br />
Während Cornelius Gurlitt<br />
(1932-2014) zwar nicht unschuldig,<br />
aber doch eher als<br />
eine unglückliche Figur in<br />
einem medialen Kunstskandal<br />
geraten ist, geht es in der<br />
Ausstellung vor allem um<br />
dessen Vater Hildebrand Gurlitt<br />
(1895-1956). Er war einer<br />
der Kunsthändler, die den<br />
Nationalsozialisten Devisen<br />
beschaffen sollten. Es geht in<br />
dieser Ausstellung um seine<br />
Geschäfte und um Werke, die<br />
nicht einmal eine Sammlung<br />
bilden, sondern unmittelbarer<br />
Ausdruck seiner Tätigkeit als<br />
Kunsthändler zwischen 1922<br />
und bis weit in die Nachkriegszeit<br />
waren. Gurlitt gelang es<br />
nach dem Krieg sich als Opfer<br />
der Zeitverhältnisse zu stilisieren.<br />
In der Zwischenkriegszeit<br />
engagierte er sich für die<br />
Durchsetzung der Moderne,<br />
1933 musste er als Geschäftsführer<br />
des Hamburger Kunstvereins<br />
zusammen mit dem<br />
Vorstand zurücktreten, wenig<br />
später gründete er in der Hansestadt<br />
das Kunstkabinett Dr.<br />
H. Gurlitt. 1939 gehörte er zu<br />
den vier Kunsthändlern, über<br />
die die Nationalsozialisten den<br />
Verkauf „verwertbarer“ Kunst<br />
aus der Beschlagnahme „entartete“<br />
Kunst aus den deutschen<br />
Museen organisierten. Durch<br />
ihn gelangten Werke nach<br />
Basel, im Kunstmuseum Basel<br />
ist in der Ausstellung „Zerrissene<br />
Moderne“ der Briefwechsel<br />
zwischen ihm und dem<br />
Direktor Georg Schmidt nachzulesen.<br />
Auch nach dem Krieg<br />
verschleierte er weiterhin die<br />
eigentlichen Besitzverhältnisse<br />
vieler seiner Werke oder<br />
solcher, die er verkauft hatte.<br />
Er muss nicht schlecht verdient<br />
haben. Denn später stieg<br />
er in den Handel im besetzten<br />
Chargesheimer: Hildebrand Gurlitt, 1955, Fotografie<br />
© Koblenz, Bundesarchiv Nachlass Cornelius Gurlitt<br />
Frankreich ein, seine Provision<br />
betrug fünf Prozent.<br />
Die Ausstellung „Gurlitt.<br />
Eine Bilanz“ breitet die Arbeit<br />
des Kunstmuseum Bern, insbesondere<br />
seiner Provenienzabteilung<br />
aus. Sie legt die vier<br />
Bewertungen offen, ob es sich<br />
um Raubkunst oder nicht handelt,<br />
dabei wurde auch differenziert,<br />
ob zwischen 1933 und<br />
1945 Hinweise auf NS-Raubkunst<br />
vorliegen oder nicht. Tatsächlich<br />
liegt in vielen Fällen,<br />
oft auf direkte Anweisung des<br />
Propagandaministeriums, eine<br />
erhebliche Portion kriminelle<br />
Energie vor. Der nationalsozialistische<br />
Kunsthandel war Teil<br />
des Systems. Vorsätzlich wurde<br />
die Herkunft der Werke verschleiert,<br />
Inventarnummern,<br />
Kommentare und Stempel<br />
wurden entfernt, bei Grafiken<br />
wurden sie oft abgeschnitten.<br />
Wie dennoch die Museen ermittelt<br />
werden konnten, aus<br />
denen etwa die Grafiken beschlagnahmt<br />
wurden, ist oft<br />
detektivische Recherche. Da<br />
ist viel Kärrnerarbeit hineingeflossen,<br />
doch diese Details<br />
erzählen nicht allein vom<br />
mühseligen, aber spannenden<br />
Max Beckmann: „Zandvoordt Strandcafé“, 1934 Aquarell mit<br />
Gouache über Spuren einer Vorzeichnung mit Kohle auf Papier<br />
© Kunstmuseum Bern, Legat Cornelius Gurlitt<br />
Geschäft der Provenienzforschung,<br />
sondern eben auch<br />
von der Perfidie des Systems.<br />
Und wie die Basler Ausstellung<br />
„Zerrissene Moderne“ so<br />
fragt auch die Schau im Kunstmuseum<br />
Bern, was geworden<br />
wäre, wenn Künstlerinnen und<br />
Künstler nicht durch die Nationalsozialisten<br />
verfolgt und<br />
diffamiert worden wären und<br />
warum es manches Oeuvre in<br />
der Nachkriegszeit leichter auf<br />
dem Kunstmarkt hatte als andere.<br />
Das „Dritte Reich“ und<br />
die Aktion „entarte“ Kunst, die<br />
Verfolgung von Kunstschaffenden<br />
und Kunst war auch für die<br />
Sammlungen internationaler<br />
Museen ein Einschnitt, der bis<br />
heute Spuren hinterlassen hat.<br />
Gurlitt. Eine Bilanz. Kunstmuseum<br />
Bern, Hodlerstr. 8-12,<br />
Bern. Di 10-21 Uhr, Mi-So 10-<br />
17 Uhr. Bis 15. Januar 2023.<br />
Annette Hoffmann