flip-Joker_2022-11
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14 KULTUR JOKER kunst<br />
Kontinuitäten und Kontaktzonen<br />
Das Archäologische Museum bricht mit dem Mythos des Zusammenbruchs nach Ende des Weströmischen Reiches<br />
„Untergang und Aufbruch“ titelt die neue Ausstellung im Archäologischen<br />
Museum Colombischlössle in Freiburg © Patrick Seeger<br />
Man kann sich der Ausstellung<br />
„Untergang und Aufbruch.<br />
Frühmittelalter am<br />
südlichen Oberrhein“ auch nähern,<br />
indem man sie erst einmal<br />
verfehlt. Denn dann landet<br />
man in der Präsentation, mit<br />
der sich das Archäologische<br />
Museum Colombischlössle an<br />
den kürzlich stattgefundenen<br />
Freiburg Fashion Days beteiligt<br />
hat. Die Figuren präsentieren<br />
Römer und Germanen<br />
in ihrer typischen Kleidung.<br />
Mode ist ja meist mehr als<br />
nur die Anpassung an die lokalen<br />
Wetterverhältnisse. Daher<br />
wundert es zwar nicht,<br />
dass Römer in der Provinz<br />
die Vorteile von Beinkleidern<br />
und Oberteilen mit Ärmeln<br />
erkannten. Aber es zeigt sich<br />
eben auch, das Fremde oder<br />
Andere war durchaus cool,<br />
so dass es modische Annäherungen<br />
sowohl von den Germanen<br />
als auch von den Provinzialrömern<br />
gab. Dass man<br />
am Hinweis auf die Schau so<br />
einfach vorbeilaufen kann, hat<br />
aber auch damit zu tun, dass es<br />
sich mehr um eine Neupräsentation<br />
des Frühmittelalters am<br />
Oberrhein handelt, als um eine<br />
eigentliche Sonderausstellung.<br />
Sie passt sich jedenfalls übergangslos<br />
in die anderen Räume<br />
des ersten Stocks ein.<br />
Nicht grundlos heißt die Präsentation<br />
„Untergang und Aufbruch“,<br />
betont der Titel doch<br />
den Charakter des Übergangs<br />
zwischen Antike und Mittelalter.<br />
Die Archäologie schaut<br />
heute differenzierter auf diese<br />
Zeit, auch auf die Menschen,<br />
die hier siedelten. Als das Römische<br />
Reich zusammenbrach,<br />
fiel der südliche Oberrhein<br />
nicht in das sprichwörtliche<br />
dunkle Mittelalter. Die Präsentation<br />
beleuchtet die Zeit<br />
zwischen dem 3. und 8. Jahrhundert,<br />
zeigt Funde, interpretiert<br />
sie und gibt durch Videos<br />
Einblick in die Herstellung von<br />
Waffen und Glasperlen. Und<br />
wirklich lässt die Kunstfertigkeit<br />
der Handwerker – wie die<br />
gefundenen Waffen oder die<br />
vergoldete Silberfibel aus Hüfingen<br />
aus dem 6. Jahrhundert<br />
zeigen – nicht einfach nach.<br />
Wie ein solcher Übergang sich<br />
vollzogen haben kann, zeigt<br />
beispielhaft die Grenzregion<br />
am Limes. Als mehr und mehr<br />
Truppenkontingente vom Wall<br />
abgezogen wurden, nutzten die<br />
Germanen die Situation für<br />
Überfälle und Plünderungen<br />
in den römisch besiedelten<br />
Gebieten. Anstatt sich zurückzuziehen,<br />
begannen sie sich in<br />
den eroberten Regionen anzusiedeln,<br />
aus der Grenze wurde<br />
eine römisch-germanische<br />
Kontaktzone. Wo Menschen<br />
zusammenlebten, beeinflussen<br />
sie einander. Das hatte<br />
bereits früher selbst Konsequenzen<br />
auf die Götterwelt.<br />
So wird die Diana Abnoba<br />
als eine Verschmelzung von<br />
römischen und keltischen Vorstellungen<br />
interpretiert. Die römische<br />
Göttin der Jagd vertrug<br />
sich mit der keltischen Göttin<br />
des Schwarzwaldes. Und auch<br />
die Begräbnissitten verändern<br />
sich. Da die germanische<br />
Oberschicht die Alltagskultur<br />
der Römer zu schätzen wusste,<br />
werden deren Gefäße zu<br />
Prestigeobjekten und so auch<br />
von den Archäologen in den<br />
Gräbern gefunden.<br />
Höhensiedlungen sind charakteristisch<br />
für diese Zeit des<br />
Frühmittelalters am Oberrhein,<br />
wie etwa auf dem Zähringer<br />
Burgberg, dem Geißkopf bei<br />
Berghaupten, dem Kügeleskopf<br />
bei Ortenberg. Die beiden<br />
letzteren Siedlungen waren<br />
auch hinsichtlich der alten<br />
Römerstraße zwischen Straßburg<br />
und dem Schwarzwald<br />
nach Rottweil wichtig. Neben<br />
diesen Höhensiedlungen gab<br />
es auch eher bäuerliche Dörfer<br />
und größere Reihengrabfelder.<br />
Doch von den Dörfern hat sich<br />
aufgrund der Holzbauweise<br />
nur wenig erhalten.<br />
Archäologisches Museum<br />
Colombischlössle, Rotteckring<br />
5, Freiburg. Di, Do-So 10-17<br />
Uhr, Mi 10-19 Uhr.<br />
Annette Hoffmann<br />
Der Rhein/Le Rhin 12.<strong>11</strong>.<strong>2022</strong> - 02.07.2023<br />
38 Ausstellungen beleuchten aus europäischer Perspektive die Geschichte<br />
des Oberrheins – Überblicksausstellung im Dreiländermuseum Lörrach<br />
Der Oberrhein und seine Ebene prägt die Landschaft zwischen Schwarzwald, Vogesen und Schweizer Jura. Seinen Charakter änderte der Fluss im<br />
Laufe der Jahrhunderte fundamental. Aber immer blieb er eine wichtige Lebensader und Verkehrsachse. Grenzen und Kriege um den Fluss trennten<br />
Menschen, meist aber verband der Rhein die Bevölkerung auf beiden Seiten seines Ufers. Die Leitausstellung in Lörrach gibt einen Überblick zum<br />
Oberrhein, seiner Geschichte und seiner Bedeutung für das Leben und die Kultur der<br />
Menschen. Ein Schwerpunkt gilt dem national unterschiedlichen Blick: In Deutschland entwickelte<br />
sich „Vater Rhein“ zur Personifikation eines urdeutschen Flusses, die „Wacht am<br />
Rhein“ wurde als nationale Aufgabe stilisiert. Frankreich sah seit dem 17. Jahrhundert im<br />
Flusslauf eine Linie, die die natürliche Ostgrenze des Landes bilden müsse. Das schweizerische<br />
Basel mit seiner alten Rheinbrücke entwickelte sich zu beiden Seiten des Flusses.<br />
Die Ausstellung im Dreiländermuseum ist Teil des mit Interreg-Mitteln geförderten Netzwerks<br />
Museen mit insgesamt 38 Ausstellungen zwischen Laufenburg in der Schweiz und Bingen<br />
in Rheinland-Pfalz. Große Museen in Mannheim, Karlsruhe, Straßburg oder Basel sind<br />
ebenso mit dabei wie viele mittlere und kleinere Häuser. Das garantiert einen umfassenden<br />
Blick auf den Fluss und seine Geschichte in unterschiedlichen Epochen. Die Ausstellungen<br />
widmen sich der Kunst und Ökologie, der Schifffahrt und Wasserkraft, der Archäologie<br />
und Literatur, vielen Kriegen und neuen Brücken. Zur Ausstellungsreihe – zugleich Teil des<br />
Interreg-Projektes ‚Die Dreiländersammlung‘ - ist auch ein zweisprachiger Begleitband zum<br />
Oberrhein mit zahlreichen Abbildungen erschienen.<br />
Einen Überblick über alle<br />
38 Ausstellungen unter:<br />
www.netzwerk-museen.de<br />
www.dreilaendermuseum.eu<br />
Instagram: 3lm_loerrach<br />
Eduard Tenner, Der Isteiner Klotz, 1875,<br />
Öl auf Leinwand.<br />
Sammlung Dreiländermuseum Lörrach