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10 KULTUR JOKER Theater Patientin und Debatte tot Die Schauspielsaison startet am Theater Freiburg mit einer neuen Fassung von „Professor Bernhardi“ Wenn eine kranke Frau auf der Bühne aussieht, als hätte Ferdinand Hodler sie gemalt, wird es für sie nicht gut ausgehen. Sie ist beinahe noch ein Kind, 14 Jahre und wird an einer Sepsis sterben. Im Großen Haus des Theater Freiburg ist sie fast nur ein Motiv. Im Hintergrund liegt sie auf dem Krankenbett aufgebahrt, durch eine milchige Distanz vom eigentlichen Geschehen Amir Reza Koohestanis Inszenierung von Arthur Schnitzlers „Professor Bernhardi“ getrennt (Textfassung: Amir Reza Koohestani und Mahin Sadri). Ihre Lebenslinie schlägt noch aus, in den kommenden Minuten wird sie zu einer Linie verflachen, die sich dann auf die Rückwand der Bühne ausbreiten wird. Vermutlich stammt sie aus einer streng katholischen Familie, schwanger wurde sie dennoch, sie versuchte sich des Kindes und des Problems durch eine Stricknadel zu entledigen. Ironischerweise wäre das Elisabethinum eine Einrichtung gewesen, in der sie Hilfe gefunden hätte und abtreiben können. Doch ihr Fall, genauer die Komplikation, dass ein Arzt, Prof. Dr. Bernhardi (Henry Meyer), und ein Pfarrer, Franz Reder (Moritz Peschke), aneinandergeraten, weil der jüdische Direktor der Klinik Bernhardi dem Geistlichen den Zutritt zur Sterbenden und somit das Henry Meyer als Professor Bernhardi (Im Hintergrund: Holger Kunkel) Sakrament verweigert, um sie nicht mit ihrem Zustand zu belasten, wird zu einem Politikum. Ein harmloser Zusammenstoß aus einer unvermittelten Umdrehung hinaus wird zu einer körperlichen Auseinandersetzung aufgebauscht. In Koohestanis Foto: Britt Schilling Regiearbeit für das Theater Freiburg schimmert Schnitzlers Geburtsstadt Wien durch, auch wenn ein paar Anspielungen auf die Gegenwart eingestreut sind. Da sind die allgegenwärtigen Desinfektionsspender, die durch die Pandemie in unseren Alltag diffundiert sind und natürlich hat die fähige Anwärterin für die Stelle der Apothekerin am Elisabethinum über Viren geforscht. Nachrichten werden über Smartphones übermittelt und am Ende schaltet sich der Gesundheitsminister Dr. Flint (Helmut Kunkel) aus dem Homeoffice und mit buntem Hemd dazu. Das ist eher lässlich und wirkt anbiedernd. Vielleicht hat es hingegen mit Wien zu tun, dass die einzige Frau auf der Entscheiderebene Prof. Dr. Löwenstein (Anja Schweitzer) eine klinische Studie zur weiblichen Hysterie zu sein scheint. Arthur Schnitzler, dessen Vater fast ein Jahrzehnt eine ganz ähnliche Einrichtung wie das Elisabethinum leitete, hat „Professor Bernhardi“ eine Komödie benannt. Uraufgeführt wurde sie 1912 in Berlin, in Wien hingegen war sie lange verboten. Der Streit, der vor Gericht und mit der Verurteilung Bernhardis wegen Störung der Religionsausübung enden wird, ist ein offensichtliches Politikum, in einer Stadt, in der der Antisemitismus in den 1910er Jahren immer offensichtlicher wird. Im Drama wird die deutschnationale Position durch Prof. Dr. Ebenwald (Martin Hohner) vertreten, der Mann wittert Morgenluft. Je weiter die zweieinhalbstündige Inszenierung fortschreitet, desto mehr wird Professor Bernhardi mit einer Verstaatlichung des Konflikts zu tun haben: der Fall wird im Parlament debattiert und der Justiz übergeben. Eigentlich komisch ist das nicht. Amir Reza Koohestani hat dieses Thesenstück in die gleißende Leere der Bühne des Großen Hauses gesetzt (Bühne und Licht: Éric Soyer). Die Räume, die durch Tische bestimmt werden, sind blanke Seiten, an Tischen, Klinikfluren und in der Kantine werden Konkurrenzen ausgehandelt, Intrigen eingefädelt oder alte Rechnungen beglichen. Obgleich das Stück die Verhandlung ausspart, hat es in seiner kühlen Abstraktion etwas von einem Gerichtsprozess (tatsächlich wird der ethisch-moralische Konflikt im Programmheft lebhafter geführt). Nur, dass das eigentliche Opfer längst tot ist, was in dem Streit zunehmend vergessen wird. „Professor Bernhardi“ ist ein Ensemblestück, das eine genauere Behandlung der Nebenfiguren und überhaupt eine stärkere Regiehandschrift gebraucht hätte, so stehen die beiden Positionen einander unvermittelt gegenüber. Das bleibt so blass, dass man für keine Seite Partei ergreifen möchte. Weitere Vorstellungen: 5./11. und 29. November, 3./7. und 30. Dezember, jeweils 19.30 Uhr im Großen Haus des Theater Freiburg. Annette Hoffmann Ganz schön schräg „Souvenir - Das wahre Leben der Florence Foster Jenkins“ im Musiktheater im E-Werk Florence Foster Jenkins war und ist ein Phänomen. Die reiche amerikanische Erbin sang in den 1940er Jahren vor einem hin- (und her-)gerissenen New Yorker Publikum nicht nur leidenschaftlich gerne die Klassiker der Opernliteratur, sondern sang diese auch zum Erbarmen falsch! Doch Kritik und Zweifel konnten Florence nicht erschüttern. Was zunächst mit kleinen Soireen begann, endete mit einem legendären Konzert in der ausverkauften und tobenden Carnegie Hall. Florence Foster Jenkins war – auf ihre Weise – ein Star, ihre Plattenaufnahmen genießen heute noch Kultstatus. Nun steht die legendäre „Diva der Dissonanzen“, gespielt von Kathryn Magestro, ab Mitte November wieder auf der Bühne des Musiktheaters die Schönen im E-Werk, begleitet von Gilead Mishory am Klavier. Vorstellungen ab dem 18. November 2022 bis 29. Januar 2023. Tickets: reservix.de Kathryn Magestro als Florence Foster Jenkins Foto: MiNZ&KUNST
THEATER Und ... KULTUR JOKER 11 Kulturelle Teilhabe für Jedermensch Der KulturWunsch e.V. ermöglicht Menschen mit geringem Einkommen den kostenfreien Besuch von Veranstaltungen Was bedeutet kulturelle Teilhabe? Kulturelle Teilhabe trägt maßgeblich zum sozialen Zusammenhalt in einer Bevölkerung bei und ist zudem ein wichtiger Bestandteil der Integration diverser Gruppen in ein gemeinschaftliches Miteinander. Wer kulturelle Veranstaltungen besuchen kann, erlebt nicht nur schöne Stunden in bester Unterhaltung, sondern lernt zugleich Menschen, Geschichten, Traditionen und Werte verschiedenster Kulturen kennen und schätzen. Für viele Menschen ist ein Besuch im Theater, Museum oder Konzert selbstverständlich und ohne finanzielle Hürden verbunden. Der Kulturfinanzbericht 2020 liefert einen interessanten Einblick in das Konsumverhalten des Publikums – hier heißt es, dass im Jahr 2017 jede*r deutsche Bürger*in im Jahr durchschnittlich 1553 Euro für Freizeit, Kultur und Unterhaltung ausgegeben hat – also ca. 129 Euro im Monat. Über einen solchen Betrag frei verfügen zu können, ist für viele nicht selbstverständlich. Die Armutsgrenze wird in Deutschland am Einkommen gemessen, das bedeutet, dass jeder Mensch, der weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens zur Verfügung hat, unter der Armutsgrenze liegt. Im Jahr 2020 waren in Deutschland 16,2 Prozent der Bevölkerung armutsgefährdet, Tendenz weiterhin steigend. Zwar ist Freiburg und die Region eine vergleichsweise wohlhabende Gegend, doch auch hier gibt es viele Menschen, die es sich nicht leisten können am kulturellen Leben teilzunehmen. Hier driftet die Gesellschaft auseinander und die Unterschiede zwischen Arm und Reich werden deutlich. Schon lange werden politische Debatten über frei zugängliche kulturelle Angebote geführt – doch wie so häufig versinken Anträge im bürokratischen Sumpf, sodass in den letzten Jahren ehrenamtliche Projekte ins Leben gerufen wurden, die die kulturelle Teilhabe für Jedermensch ermöglichen möchten. Ein solches Projekt ist der KulturWunsch Freiburg e.V.. Die Philosophie Um Kultur unabhängig finanzieller Ressourcen für Jedermensch erlebbar zu machen, gründeten Steffi Bürger (Regisseurin), Karola Mohr (internationale Kulturmanagerin) und Carola Ziemke (Medienund Theaterwissenschaftlerin) 2015 den gemeinnützigen Verein KulturWunsch e.V., dessen Konzept so einfach wie genial ist: nicht verkaufte Eintrittskarten für Veranstaltungen werden an Personen mit geringem Einkommen vermittelt. In Freiburg beteiligen sich insgesamt über fünfzig Veranstalter*innen und ÜBER VIERZIG KULTURVERANSTALTER AUS FREIBURG EINTRITT FREI ERDEN SIE KULTURGAST IN FREIBURG www.kulturwunsch-freiburg.de Foto: Julia Gat „LOVETRAIN2020“ feierte im Oktober Premiere im Theater Freiburg kulturelle Institutionen, indem sie dem Verein ihre nicht verkauften Eintrittskarten kostenfrei zur Verfügung stellen. Dank des großen Engagements der drei Gründerinnen sowie der großen Beteiligung durch Veranstaltende, bekamen bereits 1200 Personen die Chance, sich als Gäste des Kultur- Wunschs registrieren zu können. So wurden beispielsweise in einem Jahr über 4500 Freikarten vermittelt. So funktioniert‘s Um sich als KulturGast beim KulturWunsch registrieren zu können, muss die Person unter eine festgelegte Einkommensgrenze fallen. Diese liegt bei einem Ein-Personen-Haushalt zum Beispiel bei einem monatlichen Nettoeinkommen von 1000 Euro, bei einer dreiköpfigen Familie bei 1600 Euro. Der Nachweis kann direkt beim Team des KulturWunschs eingereicht werden, dazu zählen Bescheide zu ALG I und ALG II, Hartz IV Bescheid, Einkommensteuerbescheid vom Finanzamt, Lohnabrechnung oder ein Wohngeld-Bewilligungsbescheid. Um es für neue Gäste so einfach wie möglich zu gestalten, kann statt eines ALG-Bescheids auch der FreiburgPass, die FamilienCard oder der Berechtigungsschein der Tafel vorgelegt werden. Auch die Anmeldung über einen SozialPartner des Kultur- Wunschs ist möglich, darunter die Freiburger Tafel, das Amt für Soziales und Senioren, das Freiburger Bündnis für Familie, Friga und viele mehr. Alle SozialPartner finden Sie auf der Homepage des Vereins – dort gibt es zudem die Möglichkeit, sich als SozialPartner zu bewerben. Nachdem die Anmeldung als KulturGast erfolgt ist, wird man telefonisch zu den Veranstaltungen eingeladen, beraten, informiert und natürlich auch motiviert. Die Eintrittskarten werden beim Veranstaltenden auf den Namen der Kultur- Gäste hinterlegt und können spätestens eine halbe Stunde vor Beginn an der Abendkasse abgeholt werden. Selbstverständlich steht es den Kulturgästen frei, sich aktiv beim KulturWunsch um Karten zu bemühen. Ob Klassik, Rock, Jazz, Theater, Kabarett, Zirkus, Film, Lesung, Führungen oder Kinderprogramm – der Kultur- Wunsch findet für jeden Gast die passende Veranstaltung. Und wenn der Hunger auf Kultur noch nicht gestillt ist, gibt es auf der Homepage auch einen Eintritt-Frei-Kalender, der über generell kostenfreie Veranstaltungen informiert. Dank des großen ehrenamtlichen Engagements des Teams, leistet der KulturWunsch e.V. einen wichtigen Beitrag, um kulturelle Teilhabe in Freiburg zu ermöglichen und unser soziales Miteinander zu stärken. Weitere Infos sowie Anmeldeformulare: www. kulturwunsch-freiburg.de Telefon: 01577 0880 211 oder 0761 61 25 77 37 Elisabeth Jockers Tina Teubner Ohne Dich war es immer so schön Musikkabarett Klavier: Ben Süverkrüp 11.11.2022 | 20.00 Uhr KULTUR IN DER FABRIK
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