Alternative Medizin HERZ & VERSTAND WIE SCHAMANISMUS IN UNSERE ZEIT PASST Interview: Torsten Schwick Viele kennen Olaf Hartmannsgruber als Veranstalter, etwa des Black Weekends in Berlin. Darüber hinaus ist er Sänger und – was nur wenige wissen: Er ist auch Schamane. Ich selbst konnte bereits an einigen seiner Rituale teilnehmen, Erfahrungen, die mich zutiefst beeindruckt haben und bis heute immer wieder bereichern. Man muss aber nicht wie ich von Natur aus neugierig auf Spiritualität sein, um sich <strong>für</strong> diese Jahrtausende alte Tradition zu begeistern. 54 <strong>CHECK</strong> BERLIN #11
FOTO: Unsplash, ©Eberhard Grossgasteiger In einer Zeit, in der unser seelisches Leben von technischen Geräten absorbiert wird, ist die Sehnsucht nach einer Abkehr vom Deus ex Machina groß. Doch bleibt die Suche nach Sinn und Authentizität oft erfolglos, vielleicht auch, weil man nicht an den richtigen Orten danach schaut. Hallo, Olaf. Erzähle uns doch einmal, wie du dazu gekommen bist, Schamane zu werden? Es gab so einige Krisen, die mich dazu bewegt haben, in andere Richtungen zu schauen. Ich hatte einen guten Freund, der – was das Schamanische betrifft – schon aktiv war und ich war dem Ganzen nie abgeneigt. Wir sind zusammen auf ein, zwei Seminare gegangen und das war der Grundstein von meiner Neugier, mich damit weiter zu beschäftigen und tiefer einzusteigen. Von da an, das war so Mitte der 90er, habe ich mich ständig weitergebildet, viel nach links und rechts geschaut und viele Dinge erfahren, viel erlebt und das war so meine Entwicklung hin zu dem, der ich heute bin. Wie sieht schamanische Arbeit aus? Für mich ist schamanische Arbeit eine ganz große Erd- und Naturverbundenheit, die meines Erachtens auch in vielen Religionen schon eine große Rolle spielt, aber dann irgendwie umgelenkt worden ist. Ich bin zum Beispiel der Meinung, dass die katholische Kirche sehr viel aus schamanischen Ritualen übernommen hat. Das Weihnachtsfest etwa hat mit Naturreligionen zu tun. Es ist die Geburt des neuen Lichts, es ist die Wintersonnenwende, die dann in der christlichen Tradition mit der Ankunft des Heilands gefeiert wird. Es ist die Verbundenheit und die Bewusstheit, im Einklang mit der Natur zu leben und darauf zu achten, was draußen und was innen passiert. Also ganz oder heile. Schamanismus hat auch mit heilen zu tun, und das Wort taucht ebenfalls im Begriff Heiland auf. Bei der Arbeit fragt man sich: Was ist im Fluss? Wie bin ich in Harmonie mit dem, was da draußen vor sich geht? Viele Alternative Medizin Menschen kommen zu mir, wenn sie grade eine Art „Knoten“ im Leben haben oder sich mit einer gesundheitlichen Problematik auseinandersetzen. Das allein hat bereits mit Bewusstwerdung zu tun. Zu wissen, ich suche Assistenz, Orientierung oder andere Perspektiven bei der Suche nach einem Weg. In schamanischen Seminaren wird versucht, sich mittels verschiedener Techniken wieder mit dieser Natur-Kraft, die wir alle haben können, zu verbinden. In unserer Gesellschaft erleben wir immer wieder die Trennung von dem eigenen natürlichen Rhythmus, von der Quelle. Es geht also darum, diese Verbindung wieder herzustellen. Du sprichst von Religion, die ja den Zweck hat, Dinge zu beantworten, die man nicht erklären kann. Das Wort „Religion“ kommt von dem lateinischen Wort „religare“, was so viel bedeutet wie „verbinden“. Später wurde daraus „Religio“ und der Begriff erhielt die zusätzliche Bedeutung von „Pflicht“ und „Ehrfurcht“. Ich finde Religion prinzipiell nicht schlecht, aber es hat leider auch immer etwas damit zu tun, sich etwas unterzuordnen, etwas zu erfüllen. Ich denke aber, die wahre Kraft liegt nicht darin, sich einer übernatürlichen Kraft zu beugen, sondern sich mit der natürlichen Kraft, die man auch Gott nennen kann, zu verbinden. Darin liegt viel Heilkraft. Die großen Religionen versprechen auch eine Form der Heilung und eine gewisse Sinnfindung. Das Ganze findet allerdings als Massenveranstaltung statt und trägt Züge von spirituellem Imperialismus. Schamanismus hingegen scheint mir sehr viel individueller. Bilder von stammesartigen kleineren Communities kommen mir in den Sinn. Wie konnte uns als Gesellschaft diese individuelle Form der spirituellen Arbeit abhandenkommen? Es ist leichter, sich einem Mainstream anzuschließen, was vielleicht auch mit dem berühmten Herdentrieb in uns zu tun hat. Unabhängig davon, wie gut die Sache ist, der ich mich anschließe, denn es geht ja auch bei Religion um Gemeinschaft, um Wertschätzung, um Gesehenwerden. Im Schamanismus ist das auch so, aber beide Ansätze, ▶ <strong>CHECK</strong> BERLIN #11 55