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2 Zeitung <strong>November</strong> <strong>2022</strong><br />

Politik<br />

Fast täglich erreichen den VdK<br />

Hilferufe von Mitgliedern, die sich<br />

Sorgen machen, wie sie mit den<br />

steigenden Energiepreisen klarkommen<br />

sollen. Der VdK fordert<br />

einen realistischen Blick auf die<br />

Bewältigung der Krise. Die angekündigten<br />

Maßnahmen zur Entlastung<br />

kommen für viele Bürgerinnen<br />

und Bürger jedenfalls zu spät.<br />

Die Energiekrise kennt neben<br />

unzähligen Verlierern ebenso Gewinner,<br />

auch in den Reihen der<br />

Strom- und Gasunternehmen –<br />

eine Entwicklung, die sich fortsetzen<br />

könnte. Denn wenn die Preise<br />

ins Unermessliche steigen, profitieren<br />

diese Konzerne noch einmal<br />

mehr. Und auch wenn alle Haushalte<br />

von den steigenden Energieund<br />

Heizkosten betroffen sind, so<br />

sind die Folgen davon höchst ungleich<br />

verteilt. VdK-Präsidentin<br />

Verena Bentele fasst die Empörung<br />

vieler Mitgliederzuschriften zusammen:<br />

„Wer genügend Geld hat,<br />

kann sogar Schwimmbad und<br />

Sauna weiterhin beheizen, und wer<br />

alt und krank ist oder zu einem<br />

Niedriglohn arbeitet, muss demnächst<br />

im Dunkeln sitzen und<br />

frieren. Das kann und darf nicht<br />

sein.“ Der VdK fordert deshalb<br />

schon seit Beginn der Krise einen<br />

sozial gerechten Ausgleich für untere<br />

und mittlere Einkommensgruppen.<br />

Die Gaskommission hat nun<br />

verschiedene Maßnahmen vorgeschlagen.<br />

Unter anderem soll es<br />

eine einmalige Übernahme der<br />

Trotzdem frieren<br />

VdK kritisiert, dass Entlastungen zu spät kommen<br />

Die Gaspreisbremse soll erst im Frühjahr 2023 kommen.<br />

Haushaltsabschlagzahlungen für<br />

Gas und Fernwärme im Dezember<br />

geben. Weitreichender ist der Vorschlag<br />

einer Gaspreisbremse ab<br />

Frühjahr 2023 und die Einrichtung<br />

eines Härtefallfonds.<br />

Angst vor dem Winter<br />

Bis ins nächste Jahr hinein mit<br />

diesen Unterstützungen zu warten,<br />

sei für Ältere, Menschen mit Vorerkrankungen<br />

und Pflegebedürftige<br />

mit wenig Einkommen aber viel zu<br />

spät, warnt Verena Bentele: „Ihnen<br />

bleibt die Angst vor einem Winter<br />

in einer kalten Wohnung.“ Auch<br />

der Härtefallfonds für Menschen<br />

mit kleinen Einkommen und Renten<br />

müsse unbedingt noch <strong>2022</strong><br />

eingeführt werden: „Wir riskieren<br />

sonst, dass in den nächsten Monaten<br />

unzählige Haushalte in Zahlungsschwierigkeiten<br />

geraten.<br />

Diese Menschen haben keine finanziellen<br />

Reserven, um diese Zeit<br />

zu überbrücken.“ Sie fordert deshalb<br />

die rasche Einführung eines<br />

vergünstigten Mindestkontingents,<br />

das sich am Normalverbrauch eines<br />

Haushalts orientiert.<br />

Zur Gegenfinanzierung schlägt<br />

Bentele steuerpolitische Maßnahmen<br />

vor: „In dieser Notlage große<br />

Unternehmen, die weiterhin gute<br />

Gewinne einstreichen, stärker an<br />

den Kosten zu beteiligen, würde<br />

das Vertrauen der Bevölkerung<br />

stärken, dass demokratische Institutionen<br />

gegenüber der Wirtschaft<br />

und dem Markt nicht ohnmächtig<br />

sind.“ Dr. Bettina Schubarth<br />

Foto: picture alliance/Ohlenschlaeger<br />

KOMMENTAR<br />

Betrogener Staat<br />

Jährlich entgehen dem Staat<br />

vermutlich 125 Milliarden Euro<br />

durch Steuerhinterziehung. Der<br />

Betrag, der an Hartz-IV-Empfängerinnen<br />

und -Empfänger zu<br />

Unrecht ausbezahlt wurde, weil<br />

diese Vermögen und Kapitalerträge<br />

verschwiegen haben, liegt<br />

nach Auskunft der Bundesregierung<br />

2021 bei 57,3 Millionen Euro.<br />

Nur 1,1 Prozent der Menschen im<br />

Hartz-IV-Bezug machen falsche<br />

Angaben. Das weiß man recht<br />

genau. Grundsicherungsbetrug<br />

wird im Gegensatz zu Steuerhinterziehung<br />

härter verfolgt.<br />

Es gibt einen großen Unterschied<br />

zwischen diesen beiden Delikten.<br />

Die 57,3 Millionen Euro holt sich<br />

der Staat wieder zurück. Von den<br />

125 Milliarden Euro landet nichts<br />

in der Staatskasse.<br />

Steuerhinterziehung scheint eine<br />

lässliche Sünde zu sein. Zumindest<br />

werden reiche Menschen<br />

nicht unter Generalverdacht gestellt,<br />

den Staat zu betrügen.<br />

Dagegen hängt das Bild von<br />

„Hartzlern“ als „Sozialschmarotzern“<br />

in vielen Köpfen fest.<br />

Vielleicht helfen ja Fakten beim<br />

Umdenken: Erstens gibt es zahlreiche<br />

Bezieherinnen und Bezieher,<br />

die definitiv ganz oder zeitweise<br />

nicht arbeiten können, weil<br />

sie etwa alleinerziehend, pflegende<br />

Angehörige oder krank<br />

sind. Zweitens haben 20 Prozent<br />

aller Menschen, die Hartz IV bekommen,<br />

einen Job. Sie müssen<br />

aufstocken, weil das Geld nicht<br />

reicht, oft sogar trotz Vollzeit. Und<br />

Verena Bentele<br />

VdK-Präsidentin<br />

drittens warne ich vor plakativen<br />

Rechnungen, die belegen sollen,<br />

dass man mit Hartz IV oder Bürgergeld<br />

besser fährt als mit anständiger<br />

Arbeit. Solche Gegenüberstellungen<br />

verschweigen auf<br />

Seiten der Erwerbstätigen meist<br />

erhebliche Posten wie Steuerfreibeträge,<br />

Kinder- und Wohngeld<br />

oder Rentenansprüche.<br />

Diskussionen wie diese verstellen<br />

den Blick. Der Staat braucht<br />

Geld, um die Krise abzufedern<br />

und den Sozialstaat zu stärken.<br />

Wenn Menschen sich abgehängt<br />

fühlen, und das tun viele arme<br />

Menschen, verlieren sie das Vertrauen<br />

in die Demokratie. Geld<br />

kommt in die Staatskasse, wenn<br />

gute Löhne bezahlt und alle Steuergesetze<br />

einfach mal angewendet<br />

würden. Dafür müssen die<br />

Kräfte gebündelt werden. Arme<br />

gegen Nicht-Arme auszuspielen,<br />

ändert die soziale Schieflage<br />

nicht. Im Gegenteil.<br />

Mehr barrierefreie<br />

Wohnungen nötig<br />

Millionen barrierefreie Wohnungen<br />

fehlen in Deutschland. Vor allem<br />

Menschen mit Behinderung, Pflegebedürftige<br />

sowie Seniorinnen und<br />

Senioren sind darauf angewiesen.<br />

Die KfW-Bank schätzt den Bedarf<br />

an barrierefreien Wohnungen<br />

auf rund 3,5 Millionen bis zum<br />

Jahr 2030. Wie groß er tatsächlich<br />

ist, ist nicht klar. Deshalb fordert<br />

VdK-Präsidentin Verena Bentele<br />

die Bundesregierung auf, diesen<br />

schnell und sachgerecht zu ermitteln<br />

und den Wohnungsbau voranzutreiben.<br />

Neuer Standard<br />

Der Sozialverband VdK, der sich<br />

im Bündnis „Bezahlbarer Wohnraum“<br />

engagiert, sieht im Neubau<br />

den Schlüssel zu mehr Barrierefreiheit.<br />

„Jede neue Wohnung muss so<br />

gebaut werden, dass sie problemlos<br />

barrierefrei gestaltet werden kann“,<br />

sagt Bentele. Neuer Standard müssen<br />

Wohnungen sein, die stufenlos<br />

erreichbar sind sowie breite Türen,<br />

ausreichend Bewegungsflächen<br />

und geräumige Bäder haben. Das<br />

Argument, dies würde zu teuer,<br />

lässt der VdK nicht gelten. Die Investitionskosten<br />

für barri erefreies<br />

Bauen liegen nur 0,83 Prozent über<br />

denen für herkömmliche Bauvorhaben.<br />

Dagegen kosten Nachrüstungen<br />

viel Geld.<br />

In einer barrierefreien Wohnung<br />

können Menschen bis ins hohe<br />

Alter leben. Auch das sei ein wichtiges<br />

Argument.<br />

ken<br />

49-Euro-Ticket zu teuer für soziale Teilhabe<br />

VdK-Präsidentin Bentele: „Digitale Variante schließt viele Menschen aus“<br />

Die Verkehrsminister von Bund und<br />

Ländern schlagen als Nachfolgelösung<br />

für das erfolgreiche 9-Euro-<br />

Ticket ein bundesweit gültiges<br />

Ticket zu einem monatlichen Preis<br />

von 49 Euro vor.<br />

Das neue 49-Euro-Ticket soll es nach Vorschlag der Verkehrsminister nur<br />

als digitale Variante geben. <br />

Foto: picture alliance/M.i.S./Cathrin Müller<br />

VdK-Präsidentin Verena Bentele<br />

hat den Vorschlag eines sogenannten<br />

Klimatickets kritisiert: „Es<br />

leistet einen Beitrag zur Mobilitätswende,<br />

aber nicht zur sozialen<br />

Teilhabe.“ Menschen in der Grundsicherung<br />

oder mit kleinen Einkommen<br />

und Renten werden diese<br />

Monatspreise nicht zahlen können.<br />

Dass es das neue Ticket nur<br />

als digitale Variante geben soll,<br />

sorgt ebenfalls für Kritik. „Alle,<br />

die kein Smartphone besitzen,<br />

werden es nicht benutzen können,“<br />

so Bentele.<br />

Für sie sei wichtig, dass mit Einführung<br />

eines kostengünstigen<br />

Tickets ein Mobilitätsangebot für<br />

alle geschaffen wird. Das heißt<br />

auch für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen.<br />

„Bei all den<br />

Erfolgsmeldungen, wie Menschen<br />

mit dem 9-Euro-Ticket den öffentlichen<br />

Personennahverkehr für<br />

sich entdeckt haben, darf nicht<br />

vergessen werden, dass Menschen<br />

mit Behinderung im Sommer das<br />

Angebot kaum nutzen konnten“,<br />

so Bentele. Zu voll waren die<br />

Bahnsteige, zu viele Menschen in<br />

den Abteilen, zu wenig Plätze für<br />

Rollstühle oder Rollatoren. „Ein<br />

barrierefreier Ausbau des Nahund<br />

Regionalverkehrs ist zu Zeiten<br />

einer Energie- und Klimakrise<br />

eine folgerichtige Maßnahme, er<br />

ist auch eine Frage der sozialen<br />

Teilhabe“, so Bentele.<br />

Bessere Ausstattung<br />

Der VdK fordert eine bessere<br />

Ausstattung der Züge und vor allem<br />

mehr Sitzplätze für Menschen<br />

mit Mobilitätseinschränkungen.<br />

Diese müssen gut von außen erkennbar<br />

auf digitalen Anzeigen am<br />

Bahnhof ausgewiesen werden. Die<br />

Flächen für Rollatoren und Rollstühle<br />

müssen von den Fahrrädern<br />

getrennt werden. Wichtige Details,<br />

wie mehr Haltegriffe, eine bessere<br />

und für alle verständliche Beschilderung<br />

und mehr barrierefreie<br />

Toiletten, sollten eine Selbstverständlichkeit<br />

sein. Mit einer höheren<br />

Zugtaktung und besserer<br />

Personalausstattung könnte der<br />

ÖPNV einfacher nutzbar sein.<br />

In strukturschwachen Regionen<br />

muss es andere Möglichkeiten geben,<br />

um mehr Menschen mobiler<br />

zu machen. E-Mobilität, mehr<br />

Fahrgemeinschaften fernab von<br />

Bus- und Bahnlinien sowie in<br />

nicht allzu fernen Zukunft das<br />

autonome Fahren können Möglichkeiten<br />

sein. In einer alternden<br />

Gesellschaft müssen Senioren und<br />

Menschen mit Behinderung angesprochen<br />

werden. Bentele fordert:<br />

„Lösungen müssen von Anfang an<br />

barrierefrei geplant werden. Nachrüsten,<br />

spätere barrierefreie Umbauten<br />

sind immer teurer ,als gleich<br />

richtig zu planen.“ Julia Frediani<br />

Teuerungsrate auf<br />

Rekordniveau<br />

Sehr hohe Inflationsraten treffen<br />

die Verbraucher in Deutschland<br />

hart. Nach Schätzungen des Statistischen<br />

Bundesamtes sprang die<br />

jährliche Teuerungsrate auf zehn<br />

Prozent und damit auf den höchsten<br />

Stand seit rund 70 Jahren.<br />

Seit dem Frühjahr sind Energiepreise<br />

und Lebensmittel die größten<br />

Preistreiber. Der russische<br />

Angriff auf die Ukraine sowie<br />

Lieferengpässe haben die bereits<br />

angespannte Lage verschärft. Im<br />

September verteuerten sich Energie<br />

den vorläufigen Daten zufolge<br />

innerhalb eines Jahres um knapp<br />

44 Prozent und Nahrungsmittel<br />

um 18,7 Prozent. Menschen mit<br />

niedrigem Einkommen leiden nach<br />

einer aktuellen Studie des Instituts<br />

für Makroökonomie und Konjunkturforschung<br />

der Hans-Böckler-Stiftung<br />

besonders stark unter<br />

den hohen Inflationsraten.<br />

Massive soziale Krise<br />

Dazu erklärte VdK-Präsidentin<br />

Verena Bentele: „Immer mehr<br />

Menschen können die steigenden<br />

Kosten nicht abfedern. Auf der<br />

anderen Seite sehen wir, dass große<br />

Konzerne von der Krise profitieren.<br />

Um eine massive soziale<br />

Krise abzuwenden, brauchen wir<br />

starke Instrumente. Der VdK fordert<br />

die Einführung einer Vermögensabgabe<br />

und eine Übergewinnsteuer.<br />

Außerdem müssen die Regelsätze<br />

in der Grundsicherung<br />

deutlich angehoben werden.“ juf<br />

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