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Sommer 2022 UNIversalis-Zeitung 7<br />

Machtdynamiken eines weißen Feminismus<br />

Die Autorin Rafia Zakaria im Gespräch<br />

F<br />

eminismus muss nicht<br />

zwingend die Gleichberechtigung<br />

aller Menschen<br />

bedeuten. Wer solche<br />

Äußerungen ausschließlich<br />

rechten Männern zuschreibt,<br />

übersieht die Perspektive des<br />

kritischen nicht-weißen Feminismus.<br />

Die US-pakistanische<br />

Anwältin und Journalistin Rafia<br />

Zakaria beschreibt in ihrem Buch<br />

„Against White Feminism“, wie<br />

diskriminierend ein Feminismus<br />

wirken kann, der seine weißen<br />

Privilegien nicht kritisch reflektiert.<br />

Ihr Buch ist ein bisweilen<br />

schockierender Blick auf die<br />

Nähe des „weißen Feminismus“<br />

zu Kapitalismus, Imperialismus<br />

und Kolonialismus. Fabian Lutz<br />

hat die Autorin, die am 26. März<br />

auch im Literaturhaus Freiburg<br />

zu Gast war, zum Gespräch getroffen.<br />

UNIversalis: Sind alle weißen<br />

Feminist*innen zum„weißen Feminismus“<br />

verdammt, wie Sie ihn in<br />

Ihrem Buch kritisieren?<br />

Rafia Zakaria: Mit dem Begriff<br />

„weißer Feminismus“ möchte ich<br />

nicht aussagen, dass jede weiße<br />

Frau, die Feministin ist, eine weiße<br />

Feministin ist. Man kann auch<br />

nicht-weiß sein und die Haltung<br />

eines weißen Feminismus vertreten.<br />

Weißsein ist für mich eine Kategorie,<br />

die durch Privilegien gekennzeichnet<br />

ist. Weißsein verleiht<br />

Macht, andere zu dominieren. Menschen,<br />

die einen weißen Feminismus<br />

praktizieren, sind nicht bereit,<br />

die Konsequenzen zu reflektieren,<br />

die aus ihren Privilegien resultieren.<br />

Das betrifft sowohl gegenwärtige<br />

als auch historische Privilegien.<br />

UNIversalis: Gibt es einen Ausweg<br />

aus dem weißen Feminismus, möglicherweise<br />

über die Reflexion dieser<br />

Privilegien?<br />

Rafia Zakaria: Ich möchte mit<br />

meiner Arbeit eine Änderung im<br />

Denken von weißen und auch nichtweißen<br />

Frauen bewirken. Ich will<br />

sie ermutigen, ihre eigene Teilhabe<br />

an diskriminierenden Machtstrukturen<br />

aber auch diskriminierendem<br />

Verhalten zu reflektieren und so die<br />

etablierten Normen herauszufordern,<br />

wie sie vor allem in weißen<br />

westlichen Gesellschaften vorherrschen.<br />

Diese kritische Perspektive<br />

brauchen wir für einen Feminismus,<br />

der möglichst viele Menschen<br />

miteinschließt, also inklusiv ist.<br />

UNIversalis: In Ihrem Buch<br />

Rafia Zakaria<br />

schreiben Sie über die Auseinandersetzungen<br />

zwischen weißen<br />

und nicht-weißen Feminist*innen.<br />

Immer wenn der weiße Feminismus<br />

kritisiert wird, werden deren<br />

Vertreter*innen aggressiv oder<br />

ignorieren ihre nicht-weißen Gegenüber.<br />

Warum diese harschen<br />

Reaktionen? Sind Feminist*innen<br />

nicht generell liberale, weltoffene<br />

Menschen?<br />

Rafia Zakaria: Lassen Sie mich<br />

zunächst mit einem Beispiel antworten.<br />

Bei einer von Annalena<br />

Baerbocks Auslandsreisen wurde<br />

ein Foto gemacht, das die Außenpolitikerin<br />

dabei zeigt, wie sie sich zu<br />

nicht-weißen Kindern niederbeugt<br />

und Dinge verteilt. Weiße Frauen<br />

sehen in dieser Darstellung oft kein<br />

Problem. Bei mir als nicht-weiße<br />

Frau löst das Bild unangenehme<br />

Gefühle aus. Ich sehe auf diesem<br />

Bild die problematische Inszenierung<br />

einer weißen Frau, die nichtweiße<br />

Menschen rettet. Ein solches<br />

Selbstbild ist elementar für den weißen<br />

Feminismus.<br />

UNIversalis: Für mich klingt Ihre<br />

Kritik eingängig. Warum dennoch<br />

die ablehnende Reaktion gerade<br />

weißer Feminist*innen?<br />

Rafia Zakaria: Die harsche Reaktion<br />

weißer Frauen auf eine Kritik<br />

an solchen Bildern basiert meiner<br />

Beobachtung nach auf zwei<br />

Dingen: Erstens sehen sich weiße<br />

Frauen selbst als Betroffene von<br />

Machtstrukturen, die sie ausschließen.<br />

Diesen Frauen fällt es schwer,<br />

die Kritik anzunehmen, sie selbst<br />

seien Teil von Machtstrukturen, die<br />

wiederum nicht-weiße Frauen ausschließen.<br />

Der zweite Grund liegt in<br />

einem kapitalistischen Denken, das<br />

nur individuellen Erfolg als Erfolg<br />

akzeptiert. Nach diesem Denken<br />

können Bewegungen, die auf einen<br />

gemeinsamen kollektiven Erfolg<br />

verweisen nur schwer akzeptiert<br />

werden.<br />

UNIversalis: Und eine solche Bewegung<br />

wünschen Sie sich?<br />

Rafia Zakaria: Ja, ich wünsche mir<br />

den Feminismus als inklusive Bewegung.<br />

Ich glaube an einen universellen<br />

Feminismus, auf den sich<br />

alle Menschen einigen können und<br />

den sie als Basis nutzen können,<br />

Foto Jeremy Hogan<br />

um sich global in Bewegungen zu<br />

engagieren.<br />

UNIversalis: Ihr Buch arbeitet<br />

nicht nur detailliert die Probleme<br />

historischer wie gegenwärtiger<br />

feministischer Repräsentation heraus,<br />

sondern bringt auch Ihre persönlichen<br />

Erlebnisse als nicht-weiße<br />

Frau mit ein. Welchen Stellwert<br />

haben diese für Sie?<br />

Rafia Zakaria: Wenn Menschen,<br />

die nicht von weißen Privilegien<br />

profitieren, kein Raum zur Aussprache<br />

eingeräumt wird, wird man<br />

diese Problematiken innerhalb von<br />

Machtstrukturen nicht erkennen.<br />

Genau deshalb integriere ich auch<br />

meine persönlichen Erfahrungen in<br />

das Buch – damit Menschen sehen,<br />

wie sich diese Machtstrukturen auf<br />

nicht-weiße Menschen konkret auswirken.<br />

UNIversalis: Gehen wir mit Ihrem<br />

Buch etwas tiefer in die Geschichte<br />

des weißen Feminismus zurück, gelangen<br />

wir schnell zur Verbindung<br />

von Feminismus und Kolonialismus.<br />

Britische Frauen fanden etwa<br />

in den Kolonien plötzlich zur Emanzipation,<br />

natürlich auf Kosten der<br />

kolonisierten Völker. Sie erzählen<br />

mit Getrude Bell von einer dieser<br />

historischen weißen Feministinnen.<br />

Rafia Zakaria: Getrude Bell war<br />

eine gut vernetzte Aristokratin der<br />

britischen Gesellschaft. Bekannt ist<br />

sie für ihre Reisen und Abenteurer,<br />

aber auch für ihre tragende Rolle<br />

als Vermittlerin in diplomatischen<br />

Angelegenheiten. Bei ihrem Aufenthalt<br />

in Jerusalem, zu ihrer Zeit<br />

ein britisches Protektorat, schreibt<br />

sie, dass sie an diesem Ort endlich<br />

eine Person sei. In der weißen britischen<br />

Gesellschaft waren Frauen<br />

den Männern immer ungeordnet.<br />

Innerhalb der Kolonie ist Getrude<br />

Bell zwar weiterhin eine Frau, als<br />

weiße Frau aber über alle nicht-weißen<br />

Menschen jeden Geschlechts<br />

gestellt. Darüber, dass Getrude Bell<br />

auf ihrer Reise ein weißes Privileg<br />

genießen konnte, wird bis heute<br />

nicht viel gesprochen. Dabei waren<br />

viele Fortschritte, die britische<br />

Frauen erzielten, durch den britischen<br />

Imperialismus bedingt. Britische<br />

Frauen, die in die Kolonien<br />

gingen, konnten ihr weißes Privileg<br />

genießen und es sich zunutze machen.<br />

UNIversalis: Für mich war diese<br />

Verbindung tatsächlich neu. Wie<br />

haben Ihre Lesenden auf diese kritische<br />

Auseinandersetzung mit einer<br />

weißen feministischen Geschichtsschreibung<br />

reagiert?<br />

Rafia Zakaria: Ich hatte gehofft,<br />

dass zumindest dieser Abschnitt<br />

meines Buchs nicht so kontrovers<br />

aufgenommen würde. Kolonialismuskritische<br />

Ansätze sind im<br />

akademischen Diskurs nicht ungewöhnlich.<br />

Aber oh, mein Gott.<br />

(lacht) Ich musste erleben, dass<br />

dieser kritische Blick gerade für<br />

Brit*innen immer noch sehr kontrovers<br />

ist. Im akademischen Bereich<br />

wird mein Ansatz einer Neuerzählung<br />

der Geschichte einigermaßen<br />

akzeptiert, aber kaum dass ich ihn<br />

in die öffentliche Debatte bringe,<br />

treffe ich auf starken Widerstand.<br />

Gerade, weil ich mich gegen historische<br />

Figuren wende, die als<br />

Held*innen verehrt werden.<br />

UNIversalis: Großbritannien sieht<br />

sich mittlerweile als Commonwealth<br />

of Nations. Statt Aggression und<br />

Eroberung stehen nun Mitgefühl<br />

und Unterstützung ehemaliger Kolonien<br />

und ihrer Bewohner*innen<br />

an. Mich wundert nach Ihren Ausführungen<br />

nicht, dass Sie in Ihrem<br />

Buch hier und in vielen anderen Bereichen<br />

rassistische Kontinuitäten<br />

sehen, gerade was die Sorge weißer<br />

Menschen gegenüber nicht-weißen<br />

Menschen betrifft.<br />

Rafia Zakaria: Zunächst muss ich<br />

betonen, dass ich weißen Menschen<br />

ihr ehrliches Mitgefühl für nichtweiße<br />

Menschen nicht absprechen<br />

will. Mir geht es in meiner Arbeit<br />

vielmehr darum, die dem zugrundeliegenden<br />

Machtstrukturen zu<br />

untersuchen, gerade solche, die oft<br />

als unpolitisch bewertet werden. Zu<br />

reisen, um zu helfen, ins Ausland zu<br />

gehen, um in einem nepalesischen<br />

Waisenhaus zu arbeiten – solche<br />

Fälle sind Beispiele für die Selbstdarstellungen<br />

weißer Helfer*innen,<br />

die vor allem von ihrem Erstaunen<br />

über die Bedürftigkeit nicht-weißer<br />

Menschen erzählen. In meinen Augen<br />

übersehen solche Darstellungen<br />

die Machtdynamiken, die diesen Interaktionen<br />

zugrunde liegen. Diese<br />

Machtdynamiken möchte ich offenlegen.<br />

UNIversalis: Wie radikal muss eine<br />

solche Offenlegung sein – und geht<br />

sie mit einer direkten Zerschlagung<br />

dieser Dynamiken einher?<br />

Rafia Zakaria: Mir geht es zunächst<br />

nicht darum, diese Interaktionen<br />

zu verbieten, sondern ein<br />

Bewusstsein dafür zu schaffen, dass<br />

dabei Ungleichheiten bestehen. Indem<br />

wir die Machtdynamiken sichtbar<br />

und formulierbar machen, können<br />

wir sie auflösen oder es zumindest<br />

versuchen. Mir ist wichtig, hier<br />

nicht vehement „Nein“ zu sagen<br />

und defensiv zu werden. Ich will<br />

das Gute in den Menschen nicht<br />

verleugnen, sondern nur aufzeigen,<br />

dass sich dieses Gute auch in eine<br />

Sprache der Macht und des weißen<br />

Privilegs übersetzen lässt. Leider.<br />

UNIversalis: Sie sprechen von<br />

einem Bedauern. Wie erschöpfend<br />

ist es, ein so kontroverses Buch zu<br />

schreiben – und wie befreiend?<br />

Rafia Zakaria: Nicht-weiße Menschen<br />

empfinden oft eine große Erschöpfung<br />

dabei, sich immer wieder<br />

mit diesen Problematiken auseinanderzusetzen.<br />

Und Bücher, die versuchen,<br />

die Wahrnehmung und das<br />

Denken der Menschen zu ändern,<br />

bedeuten immer Risiken.Es war<br />

tatsächlich anstrengend, das Buch<br />

herauszubringen, angesichts der negativen<br />

Reaktionen und angesichts<br />

der Versuche einiger Menschen, das<br />

Buch niederzumachen oder zu ignorieren.<br />

Gleichzeitig bekomme ich<br />

viele Briefe und Komplimente. Die<br />

Menschen, die mein Buch verstanden<br />

haben, mochten es und stellten<br />

sehr vehement die wichtige Rolle<br />

heraus, die es spielt. Dafür bin ich<br />

sehr dankbar. Auch bin ich dankbar<br />

dafür, dass es genügend Aufsehen<br />

erregt hat, um nun in vielen Bildungseinrichtungen<br />

auf der ganzen<br />

Welt gelesen zu werden. Ich hoffe,<br />

das wird die Basis dafür legen, dass<br />

wir diese Gespräche weiter führen<br />

werden und ein Wandel stattfinden<br />

kann.<br />

Das Gespräch wurde in englischer<br />

Sprache geführt, Übersetzung ins<br />

Deutsche durch Fabian Lutz. Die<br />

Begriffe „weiß“ und „nicht-weiß“<br />

dienen hier nicht der Beschreibung<br />

einer tatsächlichen Hautfarbe, sondern<br />

sollen als gemachte soziale,<br />

gesellschaftliche Konstrukte verstanden<br />

werden.<br />

Rafia Zakaria: „Against White Feminism.<br />

Wie weißer Feminismus<br />

Gleichberechtigung verhindert“,<br />

aus dem Englischen von Simoné<br />

Goldschmidt-Lechner, hanserblau<br />

2022.

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