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4 UNIversalis-Zeitung Sommer 2022<br />
Der AOK Studenten-Service.<br />
Mehr dazu unter aok.de/bw/studenten<br />
AOK Baden-Württemberg<br />
Die Gesundheitskasse Südlicher Oberrhein.<br />
chen, Probleme zu benennen, zu<br />
beforschen und aus all dem etwas<br />
zu lernen. Vor ein paar Jahren hatten<br />
wir an der Universität Freiburg<br />
beispielsweise ein Reallabor im und<br />
zusammen mit dem Nationalpark<br />
Schwarzwald. Auch mit der Stadt<br />
Freiburg hat unsere Fakultät schon<br />
in zahlreichen transdisziplinären<br />
Projekten zusammengearbeitet.<br />
UNIversalis: Nun gibt es auf Bundesebene<br />
seit kurzem auch das Ministerium<br />
für Wirtschaft und Klimaschutz.<br />
Ist das Symbolpolitik oder<br />
ist die Politik auch auf dieser Ebene<br />
sensibler für das Thema Nachhaltigkeit<br />
geworden?<br />
Pregernig: Die Hoffnung, dass diese<br />
Themen in Zukunft prominenter<br />
sein werden, besteht durchaus. Da<br />
ist mittlerweile der Problemdruck<br />
zu groß geworden, um sich wegzuducken.<br />
Der Klimawandel und seine<br />
Folgen sind schlicht und ergreifend<br />
nicht mehr wegzuleugnen; ein<br />
Trockenfrühling und Hitzesommer<br />
folgt auf den nächsten. Die Politik<br />
bewegt sich, und die Grünen sind<br />
da sicherlich ein progressiverer<br />
politischer Akteur. Aber man sieht<br />
auch, dass sich konservativere,<br />
wirtschaftsorientiertere Parteien<br />
Umwelt- und Klimaschutz auf die<br />
Fahnen schreiben. Klimapolitik ist<br />
zum Mainstream geworden.<br />
UNIversalis: Aber wie viel ist denn<br />
dabei „auf die Fahnen schreiben“<br />
und wie viel ist tatsächliche Umsetzung?<br />
Pregernig: Es muss noch viel getan<br />
werden, die Probleme sind riesig<br />
und es geht mitunter doch noch in<br />
recht kleinen Schritten voran. Aber<br />
beispielsweise das neue Ministerium<br />
für Wirtschaft und Klimaschutz,<br />
von dem wir vorhin gesprochen haben,<br />
finde ich in seinem Zuschnitt<br />
spannend. Zunächst klingt es widersprüchlich,<br />
dass da ein Minister für<br />
Wirtschaft auf der einen und Klimaschutz<br />
auf der anderen Seite zuständig<br />
sein soll. Manche mögen sagen:<br />
Es ist vor allem die Wirtschaft, die<br />
den Klimaschutz infrage stellt. Ich<br />
sehe diese Verbindung aber als<br />
große Chance, weil damit nicht<br />
ein Ministerium dem anderen den<br />
schwarzen Peter zuschieben kann,<br />
sondern Widersprüche innerhalb<br />
einer Verwaltungseinheit aufgelöst<br />
werden müssen.<br />
Früher war Umweltpolitik sehr silomäßig<br />
strukturiert: Es gab ein<br />
Umweltministerium, ein Agrarministerium<br />
und ein Verkehrsministerium.<br />
Wenn man sich aber<br />
fragt, wo die Umweltprobleme<br />
denn eigentlich herkommen, dann<br />
wird deutlich, dass es beispielsweise<br />
agrarische Strukturen sind,<br />
die zu Nitrat-Problemen oder Biodiversitätsverlust<br />
führen. Es sind<br />
bestimmte Formen der Mobilität,<br />
die zu Emissionen führen. Diese<br />
Beispielreihe ließe sich fortführen.<br />
Man wäre politisch besser<br />
gefahren, wenn man bereits früher<br />
querschneidende, integrativere Verwaltungseinheiten<br />
geschaffen hätte.<br />
Jetzt gibt es mit dem neuen Ministerium<br />
aber die große Chance, Wirtschaft<br />
und Klima unter einen Hut zu<br />
bekommen. Klimaschutz kann nur<br />
dann effektiv sein, wenn er auch<br />
von der Wirtschaft betrieben wird –<br />
und er wird es auch.<br />
UNIversalis: Das ist ein interessanter<br />
Punkt. Haben Sie dafür ein<br />
Beispiel?<br />
Pregernig: Wenn Sie sich den letzten<br />
Klimagipfel in Glasgow ansehen,<br />
dann ist auf der politischen<br />
Ebene nicht allzu viel vorangegangen.<br />
Im Vorfeld der Konferenz<br />
haben aber einige große Pensionsfonds<br />
und Versicherungsunternehmen<br />
beschlossen, dass es für sie<br />
mittelfristig nicht mehr tragbar ist,<br />
in fossile Energien zu investieren.<br />
Dementsprechend werden jetzt<br />
auch ihre Portfolios umgestellt, sodass<br />
beispielsweise nur noch in Unternehmen<br />
investiert wird, die auf<br />
erneuerbare Energien setzen.<br />
UNIversalis: Die Wirtschaft wird<br />
somit also zum Triebfaktor der<br />
Nachhaltigkeit?<br />
Pregernig: Diese Unternehmen tun<br />
das nicht aus altruistischen Gründen,<br />
sondern weil das altbewährte<br />
Business-Modell zusammengebrochen<br />
ist. Es macht für sie keinen<br />
Sinn mehr, in große Öl- oder<br />
Gasunternehmen zu investieren,<br />
weil ihre Kunden das nicht akzeptieren<br />
oder weil sie damit rechnen<br />
müssen, dass die Politik in einigen<br />
Jahren Regulierungen bringen<br />
wird. Dieser Trend „raus aus den<br />
fossilen Energien“ hat sich mit dem<br />
schrecklichen russischen Angriffskrieg<br />
in der Ukraine nun nochmal<br />
beschleunigt.<br />
Zurück zu Ihrer Frage: Ja, ich sehe<br />
Wirtschaftsakteure durchaus als<br />
wichtigen Triebfaktor. Wenn große<br />
Versicherungen oder Investmentfonds<br />
beginnen umzudenken, dann<br />
lässt sich dadurch viel verändern.<br />
Das heißt aber nicht, dass es für<br />
große Transformationen nicht auch<br />
anderer gesellschaftlicher Akteure<br />
bedarf. Wirtschaftliche Sektoren<br />
haben sich ja nicht zuletzt deshalb<br />
zu bewegen begonnen, weil soziale<br />
Bewegungen dies – zum Teil lautstark<br />
auf der Straße – eingefordert<br />
haben.<br />
UNIversalis: Sie denken an Bewegungen<br />
wie Fridays for Future?<br />
Pregernig: Genau. Aber daneben<br />
gibt es auch noch eine ganze Bandbreite<br />
von Umweltverbänden: vom<br />
moderaten WWF über Greenpeace<br />
bis hin zu radikaler argumentierenden<br />
und handelnden Gruppen<br />
wie Extinction Rebellion. Ohne die<br />
wären Wirtschaftsakteure sicherlich<br />
nicht ganz so progressiv, wie sie es<br />
im Moment sind. Das Zusammenspiel<br />
von staatlicher Politik, Unternehmensstrategien,<br />
aber auch von<br />
Aktionen zivilgesellschaftlicher<br />
Akteure macht in der Summe erst<br />
erklärbar, wie und warum Umweltpolitik<br />
funktioniert – oder eben<br />
auch nicht.<br />
UNIversalis: Wie gefährlich ist es<br />
denn, bei den Themen Umwelt und<br />
Nachhaltigkeit – und vielleicht auch<br />
besonders in Freiburg – in eine intrinsischen<br />
Argumentations-Bubble<br />
zu geraten und Teile der Bevölkerung<br />
gar nicht zu erreichen?<br />
Pregernig: Vielleicht kurz vorab:<br />
Freiburg sieht und verkauft sich erfolgreich<br />
als Green City. Wenn man<br />
es historisch betrachtet, ist es sicherlich<br />
so, dass die Stadt in gewissen<br />
Themen Vorreiter war. Heute<br />
ist Freiburg in manchen Bereichen<br />
nach wie vor recht progressiv, in<br />
anderen vielleicht nur gutes Mittelfeld.<br />
Dies gilt vor allem, wenn<br />
man nicht nur auf Fragen der Umwelt,<br />
sondern auf Nachhaltigkeit<br />
schaut, wo ja neben Ökologie auch<br />
ökonomische sowie soziale Verteilungs-<br />
und Gerechtigkeitsfragen<br />
berücksichtigt werden. Besonders<br />
drastisch sieht man das in Freiburg<br />
am Beispiel der Wohnraumfrage.<br />
Ich weiß, dass Dietenbach für viele<br />
ein rotes Tuch ist, aber zu sagen,<br />
dass in Freiburg nicht gebaut werden<br />
darf, führt dazu, dass die, die<br />
es sich leisten können, in Freiburg<br />
bleiben und die, die es nicht können,<br />
in die Randlagen verdrängt<br />
werden. Das ist wiederum umweltpolitisch<br />
problematisch, weil die<br />
Flächenversiegelung dann einfach<br />
woanders stattfindet, nachhaltige<br />
Mobilitätslösungen auf dem Land<br />
schwerer realisierbar sind als in<br />
der Stadt. An diesem Beispiel zeigt<br />
sich, wie wichtig es ist, dass Probleme<br />
integrativ und systemisch<br />
betrachtet werden.<br />
UNIversalis: Da haben Sie sicherlich<br />
recht. Kann man in Freiburg<br />
also von Bubble-Verdrängungsmechanismen<br />
sprechen?<br />
Pregernig: Die Gefahr der Bubble<br />
besteht durchaus. Wir legen deshalb<br />
gerade in unserem Studiengang auf<br />
eine systemische Betrachtung großen<br />
Wert. Ernährung, Mobilität und<br />
Klima können nicht eng sektoral<br />
gedacht werden, sondern müssen<br />
als System verstanden werden.<br />
Dazu gehört auch, dass lokale Fragen<br />
global gedacht werden müssen.<br />
Ein Teil der umweltpolitischen<br />
Erfolgsgeschichte Deutschlands<br />
beruht ja darauf, dass wir negative<br />
Effekte externalisiert haben. Der<br />
Industriestandort Deutschland ist<br />
unter anderem deshalb so „sauber“,<br />
weil wir mittlerweile vieles, billig<br />
– und oft auch schmutzig – in anderen<br />
Ländern produzieren lassen. Bei<br />
uns gibt es regelmäßig einen Aufschrei,<br />
wenn wir hören, dass Rohstoffe<br />
andernorts unter umwelt- und<br />
menschenrechtlich bedenklichen<br />
Bedingungen produziert werden.<br />
Dieser Aufschrei ist legitim; aber<br />
die „moralische Last“ liegt letztendlich<br />
auch bei uns, weil es unser<br />
Konsum ist, der diese Produktionssysteme<br />
stützt.<br />
UNIversalis: Es gibt das Format<br />
der Freiburger Umweltgespräche,<br />
bei denen Sie zuletzt auch selbst<br />
einen Vortrag gehalten haben. Ist<br />
das eine Möglichkeit, gesamtgesellschaftlich<br />
in den Dialog über<br />
Nachhaltigkeit zu treten?<br />
Pregernig: Es ist zumindest ein erster<br />
Versuch. Mit dem Jazzhaus als<br />
Veranstaltungsort gelingt es auch,<br />
diversere Gruppen anzusprechen.<br />
An der Universität, an der solche<br />
Formate bisher liefen, bleibt es halt<br />
doch recht „akademisch“. Gleichzeitig<br />
sieht man selbst im Jazzhaus<br />
eine gewisse Schieflage. Bei den<br />
Umweltgesprächen sind es schon<br />
auch immer wieder die „üblichen<br />
Verdächtigen“ im Publikum: Eher<br />
die Leute, die in zivilgesellschaftlichen<br />
Initiativen aktiv sind oder<br />
sich in der Verwaltung mit diesen<br />
Themen beschäftigen. Einen wirklichen<br />
Querschnitt der Bevölkerung<br />
stellt das nicht dar.<br />
UNIversalis: Haben Sie Zuversicht,<br />
dass sich das ändern lässt?<br />
Pregernig: Im Bereich Umweltbildung<br />
wird einiges getan. Da ist<br />
die Stadt Freiburg sehr aktiv, und<br />
es gibt auch einige Umweltbildungs-Träger<br />
mit niedrigschwelligen<br />
Angeboten. Trotzdem würde<br />
ich persönlich nicht zu viel Hoffnung<br />
in die Lösung unserer Umwelt-<br />
und Nachhaltigkeitsprobleme<br />
durch eine Mobilisierung der breiten<br />
Bürger:innenschaft legen. Das<br />
klingt jetzt erstmal komisch. Was<br />
ich aber meine ist: Auch wenn es<br />
die Handlungen Einzelner sind,<br />
die zu Umweltbelastungen führen,<br />
so kommt der gestaltende Rahmen<br />
doch von der Politik. Lassen Sie<br />
mich das am Beispiel der Mobilität<br />
zeigen. Ob und wie viel mit dem<br />
Auto gefahren wird oder mit alternativen<br />
Mobilitätsformen, das entscheiden<br />
wir als Individuen. Aber<br />
wie leicht oder wie schwer uns<br />
das eine oder das andere gemacht<br />
Prof. Dr. Pegernig<br />
Foto: privat<br />
wird, das hängt von der Verkehrsinfrastruktur,<br />
vom Ausbau des öffentlichen<br />
Verkehrs und dessen<br />
Tarifgestaltung ab – und das sind<br />
alles politische Fragen. Die Verschiebung<br />
der Verantwortung auf<br />
das Individuum empfinde ich als<br />
perfide Strategie des Blame-Shifting.<br />
Daran muss sich etwas ändern.<br />
Umweltbildungsprogramme<br />
sind eine gute Sache, aber sie können<br />
nur flankierende Maßnahmen<br />
sein, damit politische Instrumente<br />
greifen. Sie dürfen der Politik nicht<br />
dazu dienen, die Verantwortung für<br />
Umweltschutz und Nachhaltigkeit<br />
allein auf die individuelle Ebene<br />
abzuschieben.<br />
UNIversalis: Ein fulminantes<br />
Schlusswort. Vielen Dank für das<br />
Gespräch, Herr Pregernig.