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Sommer 2022 UNIversalis-Zeitung 15<br />

hung sein“ (Birgit Schulte). Deshalb<br />

erscheint auch eine zweite Gründung<br />

1909 nur konsequent: das „Deutsche<br />

Museum für Kunst und Gewerbe“,<br />

die Motivation steht in engem Zusammenhang<br />

mit Osthaus‘ Engagement<br />

im „Deutschen Werkbund“,<br />

dessen Vorstand er seit 1910 angehörte.Modernes<br />

Design ist hier das<br />

Thema, ein zunächst virtuelles Museum,<br />

eine Art „Zentrale für Wanderausstellungen,<br />

die den Umlauf<br />

des gewerblichen Ausstellungswesens<br />

zu erleichtern bestimmt war.<br />

Das Deutsche Museum erwirbt Objekte<br />

des modernen Kunstgewerbes,<br />

stellt sie zu Ausstellungen zusammen<br />

und verleiht sie an öffentliche Institute<br />

gegen eine Leihgebühr.“<br />

Künstlersiedlung am Hohenhof<br />

Um die Jahrhundertwende besaßen<br />

Künstlerkolonien, in schöner Natur<br />

meist und frei von den Zwängen<br />

staatlicher Akademien, Konjunktur:<br />

Worpswede im Teufelsmoor (seit<br />

1889), die Darmstädter Mathildenhöhe<br />

(seit 1899), der „Blaue Reiter“<br />

in Murnau am Staffelsee (seit 1908).<br />

Der legendäre Monte Verità bei Ascona<br />

am Lago Maggiore (seit 1900)<br />

zeigte vielleicht am deutlichsten den<br />

Drang zur praktischen Erprobung<br />

neuer Lebensformen: die Verbindung<br />

von Kunst mit der eigenen<br />

Daseinsgestaltung, Naturheilkunde,<br />

Vegetarismus, Nudismus.<br />

In diesen Kontext gehört die Aktivität<br />

von Osthaus: „Ich erwarb 1906<br />

ein Areal von 100 Morgen, entwarf<br />

mit Peter Behrens den Bebauungsplan<br />

und verteilte die Baublöcke<br />

und Straßen unter verschiedene<br />

Künstler.“ Es geht um die großzügig<br />

angelegte Gartenvorstand Hohenhagen,<br />

ein idyllischer Hügel etwa<br />

zwei Kilometer östlich des Stadtzentrums.<br />

Zuerst entstand 1908 der<br />

„Hohenhof“, das Wohnhaus für die<br />

Ida Gerhardi (1862–1927), Porträt von Karl Ernst Osthaus, 1903, Öl auf Leinwand, Osthaus Museum Hagen /<br />

Inv.-Nr. K 425<br />

Foto: Achim Kukulies<br />

Familie Osthaus, gebaut von Henry<br />

van de Velde. Dies „Gesamtkunstwerk<br />

des Jugendstils“ ist auch im<br />

Interieur bis ins Letzte durchkomponiert<br />

– und längst als eigenes Museum<br />

zugänglich. Es empfängt den<br />

Besucher ein monumentales Wandgemälde<br />

von Ferdinand Hodler, das<br />

Mobiliar großenteils von van de<br />

Velde selbst entworfen, Glasmalerei<br />

des Niederländers Jan Thorn Prikker<br />

– nicht zuletzt die Keramikfliesen im<br />

Wintergarten von Henry Matisse.<br />

Drei Villen nach Entwurf von Peter<br />

Behrens, der wenige Jahre zuvor als<br />

Architekt der im Sommer 2021 zum<br />

Unesco-Welterbe erklärten Mathildenhöhe<br />

wirkte, und elf weitere des<br />

Theosophen Jan Mathieu Lauweriks<br />

kamen noch hinzu, ehe der Erste<br />

Weltkrieg dem Großprojekt ein vorzeitiges<br />

Ende setzte.<br />

Ohne Osthaus kein Bauhaus<br />

Die nur scheinbar provokante<br />

Aussage trifft den Kern der Sache.<br />

Denn Osthaus hat, so die Quellenlage,<br />

Walter Gropius den „Werkbund“<br />

nahegebracht. Anfang Juni 1908<br />

besuchte Gropius erstmals das Hagener<br />

Museum.In der Rückerinnerung<br />

bestätigt Gropius brieflich im<br />

Mai 1968 die Schlüsselrolle von Osthaus<br />

bei der Gründung der „Weimar<br />

Arts and Crafts School“ 1919 – das<br />

Bauhaus wäre ohne das Netzwerk<br />

und die Initiative von Osthaus wohl<br />

nicht zustande gekommen. Wenige<br />

Monate vor dessen Gründung hatte<br />

Gropius an Osthaus geschrieben:<br />

„Ich bin dabei, etwas ganz anderes<br />

ins Werk zu setzen – eine Bauhütte!<br />

Mit einigen wesensverwandten<br />

Künstlern. Ich bitte Dich, darüber<br />

Schweigen zu bewahren.“ Die Vertrautheit<br />

dieser Zeilen gründet auf<br />

der engen Verbindung beider, sowie<br />

besonders der vorangegangenen Förderung,<br />

die Gropius durch Osthaus<br />

erhalten hatte: Netzwerk und Kontakte,<br />

Arbeitsaufträge.<br />

Der im Nachhinein geprägte Begriff<br />

vom „Hagener Impuls“ zur<br />

Charakterisierung dieses Reformwillens<br />

kurz vor dem Ersten Weltkrieg<br />

hat sich in der Forschung<br />

durchgesetzt.<br />

Ende und Verbleib der Sammlungen<br />

Karl Ernst Osthaus verstarb am<br />

Ostersonntag (27. März) 1921 in<br />

Meran, wo er sich zur Heilung einer<br />

Kehlkopftuberkulose aufhielt. Der<br />

Kunsthistoriker Walter Cohen formulierte<br />

in seinem Nachruf: „Osthaus<br />

war eine schöpferische Natur,<br />

dazu ein Maecen von ganz großem<br />

Wuchse; aber ich weiß nicht, ob es<br />

möglich ist, nun da er tot ist und wir<br />

uns nicht mehr wärmen können an<br />

dem Feuer seiner Augen, der aufrechten<br />

Mannhaftigkeit seines Wesens,<br />

seine Hauptschöpfung, den<br />

Folkwang, so zu bewahren, dass<br />

Gefahren vermieden werden, denen<br />

selbst der Begründer nicht immer<br />

aus dem Wege gehen konnte.“ Was<br />

Cohen mit dieser etwas düsteren<br />

Prognose meinte, bleibt zunächst offen.<br />

Kaum ist eine Kritik an Osthaus<br />

formuliert, den Cohen stets ehrte.<br />

Vermutlich liegt in dem Satz eine<br />

Vorahnung bezüglich des Erbes.Im<br />

Herbst 1922 wurde die Sammlung an<br />

die Stadt Essen verkauft, finanziert<br />

durch Mittel der Ruhrkohle AG. Die<br />

Bestände des Kunst- und Gewerbemuseums<br />

landeten 1923 im Kaiser-<br />

Wilhelm-Museum in Krefeld. Die<br />

Baukultur verblieb in Hagen. Das<br />

dortige Osthaus- Museum verwahrt<br />

auch das über 100.000 Dokumente<br />

umfassende Archiv seines Gründers.<br />

Martin Flashar

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