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14 UNIversalis-Zeitung Sommer 2022<br />
Hohenhof, Ansicht von Westen<br />
Foto: Tobias Roch<br />
Essen feiert Jubiläum, der Hagener Impuls<br />
bleibt<br />
Karl Ernst Osthaus: Gelderbe, Sammler, Mäzen – und Motor der Moderne<br />
W<br />
er kennt nicht das Museum<br />
Folkwang in Essen!<br />
Gegründet vor 100 Jahren,<br />
im Oktober 1922,<br />
erhielt es internationale Aufmerksamkeit<br />
durch den zum Kulturhauptstadtjahr<br />
„Ruhr 2010“ realisierten<br />
Neubau des britischen Architekten<br />
David Chipperfield. Finanziert hatte<br />
das Projekt die Alfried Krupp von<br />
Bohlen und Halbach Stiftung, nachdem<br />
deren langjähriger Chef Bertold<br />
Beitz auf einer spektakulären Pressekonferenz<br />
am 24. August 2006 die<br />
finanzielle Förderung von55 Mio.<br />
Euro zugesagt hatte. Doch das Haus<br />
besitzt eine kunst- und kulturhistorisch<br />
nicht unbedeutsame Vorgeschichte.<br />
Karl Ernst Osthaus, geboren 1874<br />
in Hagen nahe der Ruhr, gleichsam<br />
schon in Sichtweite der großen Industriestädte<br />
Dortmund, Bochum<br />
und Essen, spielte die Schlüsselrolle.<br />
Durch Familie und Erbschaft kam<br />
er zu Geld. Eine historische Quelle<br />
ersten Ranges ist die mehrere Seiten<br />
umfassende autobiografische Notiz,<br />
die Osthaus seiner späten Dissertation<br />
„Grundzüge der Stilentwicklung“<br />
(erschienen 1918) beigab, drei Jahre<br />
vor seinem Tod. Darin schildert er<br />
wesentliche Etappen seiner Vita:<br />
„Mein Vater war der Bankier Ernst<br />
Osthaus, meine Mutter, Selma, die<br />
Tochter des Großindustriellen Wilhelm<br />
Funcke, dem Deutschland die<br />
Blüte seiner Holzschrauben-Industrie<br />
verdankt.“ Der Schwiegervaterführte<br />
in der zweiten Generation<br />
das industrielle Großunternehmen<br />
Funke & Hueck, mit zeitweilig bis<br />
zu 1.500 Beschäftigten. Finanzielle<br />
Unabhängigkeit war also gewährleistet,<br />
mehr noch: die Basis allen späteren<br />
mäzenatischen Wirkens.<br />
Im Frühjahr 1893 begann Osthaus,<br />
Literatur und Philosophie in Kiel<br />
zu studieren. „Ein Pfingstbesuch<br />
in Kopenhagen lenkte mein Interesse<br />
so stark auf die Gegenstände<br />
der bildenden Kunst, dass ich mich<br />
entschloss, das literarische Studium<br />
mit dem kunstgeschichtlichen und<br />
die Kieler Universität mit der Münchener<br />
zu vertauschen.“ In der Folge<br />
schrieb er sich der Reihe nach an<br />
den Universitäten Berlin, Straßburg,<br />
Wien und Bonn ein – und konnte es<br />
sich leisten.<br />
Wanderjahre mit abruptem<br />
Ende<br />
Die Vielfalt der Hochschullehrer,<br />
ihrer Ansätze und Methoden, weiteten<br />
Bildung und Interessen des<br />
großbürgerlichen Eleven hin auf<br />
eine kulturhistorische Sicht, auf<br />
Grundfragen der menschlichen Kultur.<br />
Zwischenzeitlich gerät Osthaus<br />
durch das Straßburger und Wiener<br />
Verbindungsleben auf politisch eingleisige<br />
Pfade: ein „Alldeutsches<br />
Reich“ schwebte ihm vor, bald wurde<br />
Foto: Martin Flas-<br />
Henri Matisse, „Nymphe und Satyr“, bemalte Keramikfliese, Detail aus einem Triptychon im Wintergarten des Hohenhofs, 1906–1908<br />
har<br />
er eines Besseren belehrt und, so die<br />
eigene Darstellung, „infolge eines zu<br />
intimen Verkehrs mit den Deutschnationalen<br />
in Österreich des Landes<br />
verwiesen“, im Juli 1896. Zeitweilig<br />
findet sich auch Antisemitisches in<br />
seinem Schrifttum. Daheim in Hagen<br />
war man nicht begeistert über<br />
die Eskapaden des Weltenbummlers.<br />
Wenige Monate später verstarben<br />
beide Großeltern Funcke und<br />
hinterließen ihm die beträchtliche<br />
Erbschaft von drei Millionen Mark<br />
(heutiger Wert: gut das Zehnfache<br />
in Euro). Zwei Drittel davon will<br />
Osthaus dem Allgemeinwohl widmen.<br />
Er scheint nun, politisch endlich<br />
geerdet, rückbezogen auf Bildungs-<br />
und Kulturprojekte in seiner<br />
Heimat: der Industriestadt Hagen.<br />
Und die Reisen nehmen zu. Es ging<br />
„in den Atlas und die Sahara“, auf<br />
den Balkan und in den Orient: „Ich<br />
besuchte Ungarn, Rumänien, die<br />
Türkei, Griechenland, Kleinasien<br />
und Aegypten. Die Reise machte<br />
mich zum Sammler von Kunstwerken,<br />
und als ich im Frühjahr 1899<br />
nach Hagen zurückkehrte, war das<br />
Problem der Aufstellung meiner<br />
Kunstsammlungen bereits dringend<br />
geworden.“ Im selben Jahr heiratet<br />
Osthaus, fünf Kinder werden in der<br />
Folge geboren.<br />
Eigene Kunstsammlung, eigenes<br />
Museum<br />
Die, befördert durch die Reisetätigkeit,<br />
angelegte beachtliche<br />
Sammlung bedurfte einer Heimat.<br />
1898 wurde der Grundstein für das<br />
Museum im Zentrum der Stadt gesetzt.<br />
Angedacht waren als Kern<br />
des Hauses: Naturkunde, dann die<br />
Gemäldeabteilung sowie außereuropäisches<br />
Kunstgewerbe. Es gab<br />
den Entwurf im späthistoristischen<br />
Neo-Renaissancestil, von der Hand<br />
des Berliner Architekten und königlichen<br />
Baurats Carl Gérard, der<br />
schon für den Vater gebaut hatte.<br />
Dann der Umschwung, der Konvention<br />
folgten formale Innovation und<br />
Avantgarde: „Mich berührte das<br />
Schaffen des Vlamen Henry van de<br />
Velde. Ein kurzer Entschluss machte<br />
ihn am 1. Mai 1900 zum Nachfolger<br />
meines Museumsarchitekten; leider<br />
stand der Rohbau damals fertig,<br />
und die Gestaltung des Künstlers,<br />
der alsbald seinen Wohnsitz von<br />
Brüssel nach Deutschland verlegte,<br />
konnte sich nur noch auf die Innenausstattung<br />
beziehen. So kam es,<br />
dass der als naturwissenschaftliche<br />
Anstalt projektierte Bau ein Programmwerk<br />
des modernen Stils in<br />
Deutschland wurde.“ Und van de<br />
Velde bewunderte das Engagement:<br />
„In weniger als einem Jahr hatte er<br />
Werke von Manet, Renoir, Seurat,<br />
Signac, Cross, van Gogh, Gauguin,<br />
und Skulpturen von Minne, Rodin,<br />
und Constantin Meunier erworben.<br />
Bevor die Freundschaft zwischen<br />
uns entstand.“ Im Sommer 1902 öffnete<br />
das Museum. Aktuelle Kunst<br />
war nun die Domäne. In Ausstellungen<br />
zeigte man hernach Werke<br />
der „Brücke“, Kirchner, Nolde, dann<br />
Archipenko und vor allem Christian<br />
Rohlfs, der durch die ‚Säuberungen‘<br />
der NS-Zeit wieder entfernt wurde.<br />
Die Kunsthistorikerin Birgit Schulte,<br />
langjährige Osthaus-Forscherin und<br />
stellvertretende Direktorin des Museums,<br />
konstatiert: „Das Folkwang<br />
erlangte schon bald den Ruf als das<br />
bedeutendste Museum für zeitgenössische<br />
Kunst.“ Osthaus notierte als<br />
Credo: „Das große Problem der Zeit<br />
war die Zurückführung der Kunst<br />
ins Leben, und dieser Aufgabe hat<br />
das Museum sich seither zu widmen<br />
versucht.“<br />
Ganz nebenbei zeugt von der<br />
persönlichen Historie der Kollektion<br />
auch das Osthaus-Bildnis von<br />
Ida Gerhardi, einer umtriebigen<br />
Hagener Kunstmalerin, zwölf Jahre<br />
älter als Osthaus. Sie beriet den<br />
Sammler bei Ankäufen, führte ihn<br />
in die Pariser Szene ein, bei Auguste<br />
Rodin und Aristide Maillol. Ihr Öl-<br />
Porträt zeigt den 29-jährigen jungen<br />
Gelehrten im Arbeitszimmer: angespannt,<br />
konzentrierten Blicks, mit<br />
der Linken eine Stuhllehne fassend,<br />
in der rechten Hand ein Schreibstift,<br />
im Hintergrund das Bücherregal und<br />
rechts eine Staffelei mit gerahmten<br />
Bildern –vorn auf dem Desk, deutlich<br />
sichtbar, steht eine antike Vase,<br />
ein Salbgefäß (Lekythos) der attischrotfigurigen<br />
Produktion des 5. Jahrhunderts<br />
vor Christus aus Athen. Die<br />
griechische Klassikzählte mit zum<br />
Weltkunsthorizont von Osthaus –<br />
und wurde also inszeniert.<br />
Was bedeutet die Folkwang-<br />
Idee?<br />
Folkwang ist ein Begriff, den wir<br />
heute nurmehr durch das Essener<br />
Museum kennen. Osthaus fand ihn<br />
in der nordischen Mythologie und<br />
entwickelte das zugehörige Lebenskonzept.<br />
Fólkvangr, das ‚Volksfeld‘,<br />
ist Territorium der Göttin Freya und<br />
mythischer Ort der Wiederkehr verstorbener<br />
Heldenfiguren in Walhall.<br />
Zugleich eben: Treffpunkt der Gemeinschaft.<br />
Osthaus reklamierte die<br />
Bezeichnung für sein Hagener Museum.<br />
Die gedankliche und terminologische<br />
Wurzel gründete in den jugendlichen<br />
Gespinsten, geprägt von<br />
germanisch-nordischer Saga. Doch<br />
mittlerweile hatte sich der Blick verändert,<br />
der Name implizierte ihm<br />
mehr: „Als Zentrum der schönen<br />
Künste der Welt sollte es zugleich<br />
ein Ort der Bildung und Volkserzie-