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10 UNIversalis-Zeitung Sommer 2022<br />

Was heißt auf Chinesisch China?<br />

– Reich der Mitte!<br />

„Wild wie ein Tiger“<br />

Die chinesische Schrift gibt es seit weit über 3000 Jahren. Sie ist das älteste Schriftsystem, das heute noch<br />

in Benutzung ist.<br />

W<br />

as macht China zu<br />

China?<br />

Wenige Länder auf diesem<br />

Planeten haben so<br />

viele Gesichter wie China… Seine<br />

Gesichter sind zahlreich und oft<br />

auch zutiefst widersprüchlich…<br />

Das Land blickt auf eine fünftausend-jährige<br />

bewegte Geschichte<br />

zurück. China, das ist konfuzianische<br />

Ethik, China kann für Buddhismus<br />

stehen, für die berühmten<br />

36 Strategeme, für Taoismus, China<br />

ist Kommunismus, China ist Kapitalismus<br />

und noch viel, viel mehr.<br />

Das Land verfolgt ambitionierte<br />

Pläne. Das „Reich der Mitte“ ist<br />

im Brennpunkt des internationalen<br />

Fokus wie nie zuvor! Lassen Sie<br />

uns jetzt aber ein paar Jahrhunderte<br />

zurückschauen...<br />

„Zheng He qi-xia xi-yang,“ kann<br />

Ihnen jedes chinesische Schulkind<br />

aufsagen. Der berühmte Eunuch<br />

Zheng He sticht sieben Mal in See.<br />

Das war im Zeitraum von 1405-<br />

1433. Die Zeit der großen chinesischen<br />

Entdeckungsfahrten, der<br />

großen Überseeexpeditionen. Viele<br />

sagen, China wäre damals für die<br />

Weltherrschaft gewappnet gewesen.<br />

Seine Dschunken waren viel größer,<br />

als die Schiffe mit denen Christopher<br />

Columbus, über ein halbes<br />

Jahrhundert später, in Amerika landete.<br />

Die Chinesen, so scheint es, wären<br />

damals im Stande gewesen die<br />

„halbe Welt“ zu kolonialisieren und<br />

auch Amerika zu entdecken… Doch<br />

1433 war es auf einmal vorbei. Keine<br />

weiteren Übersee Expeditionen<br />

wurden mehr unternommen. Grund<br />

dafür waren mitunter Naturkatastrophen<br />

in China. Manche sagen, dem<br />

Reich fehlten zwischenzeitlich die<br />

Mittel, Zheng He`s gewaltige Flotte<br />

zu finanzieren. Viele behaupten<br />

aber, dass das nicht der einzige<br />

Grund gewesen ist. Wie dem auch<br />

sei… China blieb eine bedeutende<br />

Seehandelsmacht in Ostasien, doch<br />

die Ära von Zheng He und seinen<br />

großen Entdeckungsfahrten, sollte<br />

nie wiederkehren.<br />

Die Rolle ferne Weltgegenden zu<br />

kolonialisieren sollten andere spielen.<br />

Und das waren dann wir Europäer.<br />

Nur wir Europäer hatten damals<br />

die Ambition die „halbe Welt“<br />

zu kolonialisieren.<br />

Dieses Denken war allen anderen<br />

Kulturen, z.B. auch Arabern und<br />

Osmanen, zumindest in diesem<br />

Ausmaß fremd. Wo könnten die<br />

Ursachen dafür liegen? Natürlich<br />

existiert Geschichte nicht in einem<br />

Vakuum. In Europa hatte zuvor, die<br />

Renaissance, neben vielen anderen<br />

Faktoren, zu dieser bis dahin nie dagewesenen,<br />

neuartigen Art zu denken<br />

beigetragen.<br />

Aber in ein paar Jahrhunderten<br />

kann sich vieles ändern. Und es<br />

hat sich auch vieles geändert wie<br />

wir im Rückblick sehen können.<br />

Inzwischen hat China nicht nur den<br />

Anschluss an die westliche Welt gefunden,<br />

es hat den Westen in vielerlei<br />

Hinsicht überholt. Seine Politik<br />

folgt einem ganz anderen Trend, als<br />

die der Ming Dynastie um 1433.<br />

China... aktuell eine kommunistisch,<br />

kapitalistische, expandierende<br />

Supermacht!<br />

Was sollen die vielen Zeichen?<br />

Die chinesischen Zeichen sind<br />

Bildzeichen, Logogramme. Anders<br />

als unsere Sprachen bilden sie nicht<br />

die Phonetik ab, sondern den Begriff<br />

selber.<br />

Interessanterweise gibt es in China<br />

nicht nur eine, sondern verschiedene<br />

chinesische Sprachen. Außer<br />

Mandarin-Chinesisch gibt es noch<br />

5-8 weitere Sprachen. (Je nach Einteilung).<br />

Die drei sprecherreisten<br />

Foto: Nowak<br />

sind Min, Wu und Kantonesisch.<br />

Den großen Teil der langen chinesischen<br />

Geschichte, hatte Mandarin-<br />

Chinesisch keinen offiziellen Status.<br />

Man sprach und verstand nur seine<br />

eigene chinesische Muttersprache.<br />

Und was hat ganz China zusammengehalten?<br />

Die chinesische Schrift.<br />

Denn anders als unsere Schrift, bilden<br />

die chinesischen Zeichen nicht<br />

die Phonetik der Wörter ab, sondern<br />

die Dinge selber.<br />

Ganz gleich um welche chinesische<br />

Sprache es sich handelte, war etwa<br />

das Zeichen für „Baum“ immer dasselbe.<br />

Aber je nach Sprache wurde<br />

es natürlich unterschiedlich ausgesprochen.<br />

Der Satzbau unterschied<br />

sich von Sprache zu Sprache und<br />

es gab auch andere Abweichungen.<br />

Auf jeden Fall hat die chinesische<br />

Schrift, durch die Geschichte hindurch,<br />

das Land zusammengeschweißt.<br />

Qin Shi Huang, der erste Kaiser Chinas<br />

Heutzutage, wo die allermeisten<br />

Leute in China Mandarin-Chinesisch<br />

sprechen, oder zumindest<br />

verstehen, schreibt man auch fast<br />

ausschließlich auf Mandarin. Seine<br />

eigene chinesische Muttersprache,<br />

wenn diese dann nicht Mandarin ist,<br />

verwendet man mündlich, im Umgang<br />

mit andern Muttersprachlern.<br />

Die chinesische Schrift gibt es übrigens<br />

schon seit weit über 3000<br />

Jahren.<br />

Damit ist sie das älteste Schriftsystem<br />

heute noch in Benutzung.<br />

Aber man hat überall in China<br />

anders geschrieben. Die Zeichen<br />

waren nicht vereinheitlicht. Und<br />

das hat das Ganze nicht unbedingt<br />

leichter gemacht.<br />

221 v. Chr. heißt das magische<br />

Jahr: Da hat der erste Kaiser Chinas<br />

(Chinesisch: Qin Shi-huang-di) die<br />

Schrift vereinheitlicht. Dem haben<br />

wir also das Ganze zu verdanken.<br />

Erst mal vereinheitlicht, hat die chinesische<br />

Schrift von dieser Zeit an,<br />

China richtig zusammengeschweißt,<br />

den Chinesen sozusagen zu einer<br />

gemeinsamen Identität verholfen<br />

und die relative Geschlossenheit<br />

des chinesischen Kulturraums erst<br />

ermöglicht.<br />

Apropos der erste Kaiser. Natürlich<br />

war er nicht der erste Herrscher in<br />

China. Aber er war der erste der<br />

tian-xia (chinesisch für „alles unter<br />

dem Himmel“) vereint hat. Er hat<br />

also zum ersten Mal „ganz China“,<br />

wenn man so will, vereint und alle<br />

anderen sechs Reiche die es damals<br />

gab, seinem Reich einverleibt.<br />

Sprache oder Dialekt?<br />

Gerade war die Rede von den chinesischen<br />

Sprachen. Hierzu noch<br />

ein interessanter Punkt: In China<br />

spricht man oft von den chinesischen<br />

Sprachen als von chinesischen<br />

Dialekten. Streng linguistisch<br />

gesehen, haben wir es hier<br />

allerdings mit unterschiedlichen<br />

Sprachen zu tun.<br />

Natürlich gibt es Dialekte in China,<br />

aber das sind Dialekte innerhalb<br />

dieser chinesischen Sprachen. Sie<br />

selber sind keine Dialekte. Wieso<br />

redet man dann also gerne von Dialekten?<br />

In China hat nur Mandarin-<br />

Chinesisch einen offiziellen Status.<br />

(Mandarin ist nicht zu verwechseln<br />

mit akzentfreiem Hochchinesisch,<br />

sondern gliedert sich seinerseits<br />

in verschiedene leichte Dialekte).<br />

Streng genommen, hat also nur<br />

Mandarin einen offiziellen Status.<br />

Die anderen Sprachen werden eher<br />

in informellen Situationen gesprochen<br />

und übrigens auch fast nie<br />

geschrieben. Außer Kantonesisch<br />

in Honkong! Zum Schluss noch<br />

ein Zugeständnis: Natürlich sind<br />

sich auch die Linguisten nicht immer<br />

einig, wo genau eine Sprache<br />

anfängt und wo ein Dialekt aufhört.<br />

Das betrifft auch die chinesischen<br />

Sprachen.<br />

Sind Chinesisch und Japanisch<br />

ähnlich?<br />

Die Antwort muss sein: Ja und nein.<br />

Zunächst einmal: Von den im Westen<br />

gelernten ost- und südostasiatischen<br />

Sprachen, ist Japanisch die<br />

mit Abstand meistgelernte!<br />

Die Faszination, die der Inselstaat<br />

und seine Kultur auf viele von uns<br />

auslöst, ist groß. Samurai, Kirschblüten,<br />

Geishas…<br />

Aber zurück zum Thema: Die Ähnlichkeit<br />

zwischen Chinesisch und<br />

Japanisch. Die beiden Sprachen<br />

gehören nicht der gleichen Sprachfamilie<br />

an und sind damit nicht<br />

verwandt. Es gibt aber etwas, was<br />

es einem Chinesen erleichtert Japanisch<br />

zu lernen und umgekehrt. Und<br />

das ist die chinesische Schrift. Wie<br />

kann das sein, wo die beiden Sprachen<br />

doch nicht verwandt sind? Die<br />

Antwort ist schlicht und ergreifend:<br />

Chinesisch ist eine Bildzeichenschrift.<br />

In ihrer Schrift kombinieren die<br />

Japaner drei Schriftsysteme. Wenn<br />

Sie jetzt die Stirn runzeln, dann<br />

denken Sie doch einfach daran,<br />

dass in einem deutschen Text auch<br />

arabische oder sogar römische<br />

Zahlzeichen vorkommen können.<br />

Die gehören ja auch nicht zu unserem<br />

Alphabet. Wir kombinieren<br />

also auch verschiedene „Schriftsysteme“,<br />

wenn man so will.<br />

Die Japaner machen das nur etwas<br />

extremer...<br />

Im Japanischen werden in ein und<br />

demselben Text zwei verschiedene<br />

phonetische Schriftsysteme verwendet.<br />

(Genauer gesagt handelt es sich<br />

um Silbenschrift).<br />

Und dann steht hier und da, mitten<br />

drin ein „Chinesisches Schriftzeichen“,<br />

was im Japanischen „Kanji“<br />

heißt. Wenn ein Chinese ohne Japanisch-Kenntnisse<br />

so einen Text anschaut,<br />

kann er ihn nicht direkt verstehen,<br />

aber er weiß dann, es geht<br />

um Katzen und Fische beispielsweise.<br />

Und wie ist das möglich? Die<br />

Antwort ist wieder einmal schlicht<br />

und ergreifend: Bildzeichenschrift!<br />

Fazit: Obwohl die beiden Sprachen<br />

nicht verwandt sind, können Sie<br />

durch Kenntnisse der einen beim<br />

Erlernen der anderen profitieren.<br />

Macht das dem ein oder anderen<br />

Mut?!<br />

Schon immer hat China die umliegenden<br />

Kulturen beeinflusst. Die<br />

Koreaner haben ihre Sprache lange<br />

nur in chinesischen Schriftzeichen<br />

geschrieben. 1444 sollte sich das<br />

aber ändern… in diesem Jahr wurde<br />

die koreanische Schrift eingeführt<br />

und das war dann die Schrift, die<br />

man in Korea bis heute benutzt.<br />

Auch Vietnamesisch, was man heutzutage<br />

mit lateinischen Buchstaben<br />

schreibt, hat man lange in chinesischen<br />

Schriftzeichen geschrieben.<br />

Wie war das möglich, wo beide<br />

Sprachen doch nicht verwandt sind?<br />

– Chinesisch ist eine Bildzeichenschrift!<br />

Monosyllabisch – das macht es<br />

spritzig!<br />

Chinesisch ist eine monosyllabische<br />

Sprache, das heißt jede Silbe hat<br />

eine Eigenbedeutung. Will sagen:<br />

Jede Silbe ist bereits ein Wort!<br />

„Das ist im Deutschen doch auch<br />

so,“ sagen Sie jetzt: „Haus, Tisch,<br />

Ball. Das sind doch alles einsilbige<br />

Wörter“. Ja es gibt einsilbige Wörter,<br />

aber auch welche, die mehrsilbig<br />

und gleichzeitig nicht zusammengesetzt<br />

sind (z.B. Chinesisch,<br />

lernen, China). Bei diesen Wörtern<br />

hat nicht jede Silbe eine Eigenbedeutung.<br />

Im Chinesischen aber<br />

schon. Ja Herr im Himmel, dann<br />

ist das halt so... Na und? Nicht so<br />

schnell, nicht so schnell… lesen Sie<br />

mal weiter, es wird noch spritzig.<br />

Als wir Europäer in anderen Weltgegenden<br />

Dinge kennengelernt<br />

haben, für die wir noch kein Wort<br />

hatten, z.B. exotische Tiere, haben<br />

wir oft die Bezeichnung aus der<br />

jeweiligen Sprache dort übernommen.<br />

„Zebra“ etwa kommt aus einer<br />

afrikanischen Sprache.<br />

Die Chinesen haben in solchen Situ-<br />

„Glück“ auf Chinesisch<br />

ationen dann eher ein eigenes Wort<br />

erfunden. „Zebra“ etwa heißt auf<br />

Chinesisch „Streifenpferd“. Darunter<br />

kann man sich doch gleich was<br />

vorstellen. Und die Monosyllabizität<br />

des Chinesischen begünstigt<br />

solche Wortschöpfungen. Sie sind<br />

aussagekräftig und trotzdem kurz.<br />

Bei zwei und mehrsilbigen Wörtern<br />

hat dann jede Silbe eine Eigenbedeutung.<br />

Und man kommt auch<br />

meist mit weniger Silben aus, als in<br />

unseren Sprachen.<br />

Um noch mal auf die Tiere zurückzukommen:<br />

Kinder können<br />

sich unter einem „Streifenpferd“<br />

doch viel mehr vorstellen als unter<br />

einem „Zebra“. Also jetzt wird es<br />

aber lächerlich, sagen Sie sich. Als<br />

ob unsere deutschen Kinder nicht<br />

wüssten, was mit „Zebra“ gemeint<br />

ist. Ja… Bei „Zebra“ schon, aber<br />

nehmen wir doch mal die drei nur<br />

auf Madagaskar vertretenen Katta,<br />

Indri und Vari, oder den Ara<br />

Papagei. Wissen alle Kinder wie<br />

diese Tiere aussehen? Hier haben<br />

es die chinesischen Kinder leichter!<br />

„Katta“ heißt auf Chinesisch<br />

„Ring-Schwanz-Halbaffe“ (Ringe<br />

sind in dem Kontext Streifen). Da<br />

kann sich doch so ein Kind viel besser<br />

was drunter vorstellen, als unter<br />

einem „Katta“.<br />

Man sieht also, Chinesisch ist eine<br />

bildhafte Sprache. Und jetzt wissen<br />

Sie auch, warum eine monosyllabische<br />

Sprache so „spritzig“<br />

sein kann. Zu solchen monosyllabischen<br />

Sprachen zählen übrigens<br />

auch Vietnamesisch, Thai, Laotisch<br />

und viele weitere!<br />

Es kann richtig Spaß machen so<br />

eine monosyllabische Sprache zu<br />

lernen. Das kann nicht nur ich Ihnen<br />

bestätigen, sondern auch viele<br />

meiner Chinesisch-Schüler!<br />

David Nowak<br />

David Nowak beschäftigt sich seit<br />

2004 intensiv mit der chinesischen<br />

Sprache und Kultur. Er beherrscht<br />

Chinesisch in Wort und Schrift.<br />

2010-2016 hat er in Peking gelebt<br />

und dort an verschiedenen Sprachschulen<br />

Deutsch unterrichtet. Während<br />

seiner Zeit als Deutschlehrer<br />

in China konnte er das „Reich der<br />

Mitte“, seine Menschen und seine<br />

Kultur gut kennenlernen.<br />

Als erfahrener Chinesischlehrer<br />

gibt David Nowak seine Kenntnisse<br />

der chinesischen Sprache und seine<br />

Erfahrungen mit der chinesischen<br />

Kultur an seine Schüler weiter.<br />

Kontakt: david.nowak1988@web.<br />

de<br />

Foto: Nowak

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