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FOCUS_2022-40_Vorschau

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KULTUR<br />

FILM<br />

Warum in die Ferne<br />

schweifen …<br />

Jonas Nay zieht es<br />

als Edelfeder Lars<br />

Bogenius vor, seine<br />

Reportagen über<br />

Krisengebiete vom<br />

Urlaubsort aus zu<br />

schreiben<br />

Dichtung und Wahrheit<br />

Wieso, weshalb, warum? In seinem neuen Film „Tausend Zeilen“ widmet sich<br />

Michael Bully Herbig dem Relotius-Skandal und weiß auf keine Frage eine Antwort<br />

Ob das alles wirklich so passiert<br />

ist? Zum Beispiel als<br />

der Journalist Juan Romero<br />

mit seinen vier Kindern Bus<br />

fährt, plötzlich die Redaktion<br />

anruft und er wie auf Bestellung<br />

in eine Kontrolle gerät:<br />

Die Fahrkarten, bitte! Ach, wo er die nur<br />

wieder hingesteckt hat? Mit dem Büro am<br />

Ohr fummelt er beim Aussteigen umständlich<br />

die Tickets hervor und merkt erst viel<br />

zu spät, dass er dabei eines der Kinder<br />

im Bus vergessen hat.<br />

So geht es ihm ständig. Als die Gattin<br />

ihn bittet, im Haushalt zu helfen, meldet<br />

sich der Ressortleiter. Als die Kinder mit<br />

ihm spielen wollen, klingelt der Kollege<br />

durch. Er könnte ja auch mal nicht ans<br />

Telefon gehen, denkt die Gattin. Aber so<br />

ist das Leben als Reporter. Man kommt<br />

einfach nicht zur Ruhe.<br />

Außer man heißt Lars Bogenius und ist<br />

Star des Nachrichtenmagazins „Chronik“.<br />

Die Kollegen schätzen den jungen Kollegen,<br />

weil er zurückhaltend, interessiert<br />

und freundlich ist. Die Chefs lieben<br />

ihn, weil er einen Journalistenpreis nach<br />

dem anderen gewinnt. So hat er es zum<br />

Beispiel geschafft, den Jungen ausfindig<br />

zu machen, der mit einem Graffito den<br />

Syrienkrieg ausgelöst hat. Ganz verrückte<br />

Geschichte!<br />

Gut gelogen ist halb gewonnen<br />

Er hat auch die Eltern von Colin Kaepernick,<br />

dem amerikanischen Footballstar<br />

und Bürgerrechtler, interviewt. Niemand<br />

sonst hat je mit denen gesprochen, nicht<br />

einmal in den USA, aber der Lars. Keiner<br />

weiß, wie er das gemacht hat, obwohl<br />

… wenn Recherche so mühsam ist? Elyas M’Barek<br />

als rasender Reporter Romero beim Außendiensteinsatz<br />

Romero bald ein Verdacht beschleicht:<br />

Lars Bogenius hat sich das alles einfach<br />

nur ausgedacht.<br />

Für seinen neuen Film „Tausend Zeilen“<br />

hat Michael Bully Herbig den größten<br />

deutschen Presseskandal seit den Hitler-<br />

Tagebüchern für die Leinwand aufbereitet.<br />

Ende 2018 kam heraus, dass Claas<br />

Relotius, der junge Starreporter des<br />

„Spiegel“, etliche seiner Geschichten<br />

manipuliert, frisiert oder gleich komplett<br />

frei erfunden hatte.<br />

Aufgeflogen war er dadurch, dass sein<br />

Kollege Juan Moreno, den man zur Zusammenarbeit<br />

mit Relotius verdonnert<br />

hatte, Relotius’ Arbeitsmethoden einigermaßen<br />

seltsam vorkamen. Darüber<br />

schrieb Moreno anschließend das Buch<br />

„Tausend Zeilen Lüge. Das System Relotius<br />

und der deutsche Journalismus“, das<br />

für Herbig nun die Inspiration für seinen<br />

Film lieferte.<br />

Allerdings hielt er sich von allem fern,<br />

was die Systemfrage des deutschen Journalismus<br />

anbelangt, weshalb man über<br />

weite Strecken des Films dem von Elyas<br />

M’Barek gespielten Romero/Moreno dabei<br />

zusehen kann, wie er versucht,<br />

Fo t o s : M a r c o N a g e l<br />

82 <strong>FOCUS</strong> <strong>40</strong>/<strong>2022</strong>

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