Magazin_5:2022

27.09.2022 Aufrufe

4 Dunkle Wolken und viele persönliche Gespräche Rückkehr nach Lübeck. Nach sieben Jahren, in denen der VNW seine Arbeitstagung in Rostock-Warnemünde veranstaltete, trafen sich am 19. und 20 September rund 800 Führungskräfte aus der norddeutschen Wohnungswirtschaft wieder in der altehrwürdigen Hansestadt. VON OLIVER SCHIRG f Lübeck. Der frühere schleswig-holsteinische Ministerpräsident Björn Engholm ließ in seinem Grußwort keinen Zweifel an der Richtigkeit der Rückkehr des VNW in seine Heimatstadt. Als Hansestadt stehe Lübeck für einen fairen Umgang zwischen Geschäftspartnern. Wer gegen diese Regeln verstieß, sei „enthanst“ worden. Womit Björn Engholm den Anwesenden aus der Seele gesprochen haben dürfte. Obwohl die am Gemeinwohl orientierten Wohnungsunternehmen für einen fairen Interessenausgleich zwischen Mietern und Vermietern stehen, fühlen sie sich bei ihrer wichtigen gesellschaftspolitischen Aufgabe derzeit von der Politik in weiten Teilen vernachlässigt. Es wunderte daher nicht, dass über den Vorträgen der Referentinnen und Referenten sowie über den persönlichen Gesprächen auf den Fluren der Musik- und Kongresshalle (MUK) dunkle Wolken hingen. Galoppierende Heizkosten, explodierende Baupreise, (fast) unbezahlbare Grundstücke, schärfere Klimaschutzauflagen und eine überbordende Bürokratie – die Aussichten für die sozialen Vermieter sind derzeit eher düster. VNW-Direktor befürchtet Rückgang der Bautätigkeit VNW-Direktor Andreas Breitner machte auf der Arbeitstagung deutlich, dass er mit einem Rückgang der Bautätigkeit der VNW-Unternehmen rechne. „Steigende Bau- und Grundstückskosten gefährden das ‚Geschäftsmodell’ der sozialen Vermieter, qualitativ hochwertige Wohnungen zu einem bezahlbaren Preis zu errichten und zu vermieten. Wir erleben, dass die Zahl der Anträge für den Bau von bezahlbaren Wohnungen bereits sinkt.“ Die VNW-Unternehmen investierten nach den Worten von Andreas Breitner im vergangenen Jahr 2,31 Milliarden Euro in den Neubau, die Instandhaltung und Modernisierung bezahlbaren Wohnraums. Das sind rund 300 Millionen mehr als 2020. In den drei Bundesländern wurden 3 371 Wohnungen fertiggestellt. Das wiederum ist ein Rückgang um 600 Wohnungen. „Die Zahlen verdeutlichen zwei entgegengesetzt verlaufende Entwicklungen“, so der VNW-Direktor. „Massiv steigende Bau- und Grundstückspreise führen zwar zu einem höheren Niveau der Investitionen, die Zahl der fertiggestellten Wohnungen sinkt jedoch. Ich fürchte, dass sich dieser Trend in den kommenden Jahren verstärken wird, zumal Bau- und Grundstückspreise auch in diesem Jahr nur die Richtung nach oben kennen.“

5 VNW-Arbeitstagung Lage bleibt angespannt Marcel Sonntag, Vorsitzender des VNW-Verbandsausschusses und Vorstand der NEUE LÜBECKER Norddeutsche Baugenossenschaft eG verwies darauf, dass die sozialen Vermieter mehr Unterstützung der Politik benötigten. Die im VNW organisierten Wohnungsgenossenschaften und -gesellschaften garantierten den sozialen Frieden in den Quartieren und seien somit für die Demokratie in unserem Land unverzichtbar. Prof. Dr. Michael Voigtländer vom Institut der Deutschen Wirtschaft e.V. in Köln bestätigte in seinem live auf der Bühne der MUK aufgenommenen Podcast „1A Lage“ die Schwierigkeiten, mit denen die Wohnungswirtschaft derzeit zu tun habe. Er gehe davon aus, dass in den Ballungszentren die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum weiter hoch bleiben werde – mit der Folge, dass die Mieten auch künftig steigen würden. GdW-Präsident Axel Gedaschko verzichtete auf sein vorbereitetes Redemanuskript und machte in seinem Vortrag keinen Hehl aus seiner Verärgerung über das Bundeswirtschaftsministerium. Man stehe den Beamten mit klugem Rat beiseite, habe aber inzwischen das Gefühl, mit faktenbasierten Argumenten nicht durchzudringen. Vor allem im Bereich des Klimaschutzes seien vorgegebene Ziele realitätsfremd und kaum mehr zu erreichen. Vom Kopf auf die Füße Deutschland steht vor einer Rezession Prof. Dr. Monika Schnitzer von der Ludwig-Maximilians-Universität München und Mitglied des Sachverständigenrates der Bundesregierung, stimmte in den Chor der besorgten Referenten ein. Deutschland stehe angesichts der Energiekrise vor einer Rezession und die Menschen müssten begreifen, dass sie Wohlstand verlieren würden. Vor allem dazu, was den Rückgang der hohen Inflation in absehbarer Zeit angeht, äußerte die Expertin sich skeptisch. Prof. Dr. Harald Simons von der empirica ag machte in seinem Vortrag den Zuhörerinnen und Zuhörern wenigstens ein klein wenig Hoffnung. Zwar sei die Unsicherheit über die künftige Entwicklung sehr hoch. Er rechne aber damit, dass auf Grund des hohen Bauüberhangs von rund 850 000 Wohnungen in den kommenden beiden Jahren noch viele Wohnungen fertig würden. Zudem sinke der Druck auf die Metropolen. Sie seien inzwischen zu teuer und würden vermehrt Einwohner an das Umland verlieren. Mit Spannung wurde der Auftritt der früheren FDP- Bundestagsabgeordneten und Hamburger FDP-Chefin Katja Suding erwartet. Die Politikerin war im vergangenen Jahr aus der Politik ausgestiegen und berichtete über ihre Gründe. Sie habe erleben müssen, wie hart und zum Teil unmenschlich politische Auseinandersetzungen inzwischen geführt würden. Das mache ihr Sorgen, weil eine Gesellschaft, in der Menschen nicht mehr offen ihre Meinung äußern könnten, Gefahr laufe, unfrei zu werden. h Die Klimapolitik vom Kopf auf die Füße stellen – ähnlich argumentierte am zweiten Veranstaltungstag Prof. Dr. Dr. Werner Sobek. Die Lebensbedingungen der Menschen seien gefährdeter denn je und ein grundlegender Kurswechsel sei sofort nötig. Die Wohnungswirtschaft dürfte dabei nicht auf die Politik warten, die sei von der Komplexität der Herausforderungen ohnehin überfordert. Stattdessen müsse die Branche bei der Errichtung und der Nutzung von Wohngebäuden selbst aktiv(er) werden. In den Unternehmen säßen die Experten, die Lösungen entwickeln und umsetzen könnten. Zugleich machte sich Prof. Sobek dafür stark, stets die Situation vor Ort zu betrachten, statt pauschale Lösungen der gesamten Branche überzustülpen. In diesem Zusammenhang bekannte sich VNW-Direktor Andreas Breitner ausdrücklich zu den umweltpolitischen Zielen der Bundesregierung und der drei norddeutschen Bundesländer. „Beim Schutz der Umwelt stehen wir an der Seite der Politik. Allerdings vertreten wir auch die Interessen unserer Mieterinnen und Mieter. Zu hohe Vorgaben für den Klimaschutz bedrohen das bezahlbare Wohnen. Hier ist mehr Differenzierung vonnöten. Deshalb fordern wir eine Atempause bei der Verschärfung der Klimaschutzauflagen.“

5 VNW-Arbeitstagung<br />

Lage bleibt angespannt<br />

Marcel Sonntag, Vorsitzender des VNW-Verbandsausschusses<br />

und Vorstand der NEUE LÜBECKER Norddeutsche Baugenossenschaft<br />

eG verwies darauf, dass die sozialen Vermieter<br />

mehr Unterstützung der Politik benötigten. Die im VNW<br />

organisierten Wohnungsgenossenschaften und -gesellschaften<br />

garantierten den sozialen Frieden in den Quartieren und<br />

seien somit für die Demokratie in unserem Land unverzichtbar.<br />

Prof. Dr. Michael Voigtländer vom Institut der Deutschen<br />

Wirtschaft e.V. in Köln bestätigte in seinem live auf der Bühne<br />

der MUK aufgenommenen Podcast „1A Lage“ die Schwierigkeiten,<br />

mit denen die Wohnungswirtschaft derzeit zu tun<br />

habe. Er gehe davon aus, dass in den Ballungszentren die<br />

Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum weiter hoch bleiben<br />

werde – mit der Folge, dass die Mieten auch künftig steigen<br />

würden.<br />

GdW-Präsident Axel Gedaschko verzichtete auf sein vorbereitetes<br />

Redemanuskript und machte in seinem Vortrag<br />

keinen Hehl aus seiner Verärgerung über das Bundeswirtschaftsministerium.<br />

Man stehe den Beamten mit klugem Rat<br />

beiseite, habe aber inzwischen das Gefühl, mit faktenbasierten<br />

Argumenten nicht durchzudringen. Vor allem im Bereich<br />

des Klimaschutzes seien vorgegebene Ziele realitätsfremd<br />

und kaum mehr zu erreichen.<br />

Vom Kopf auf die Füße<br />

Deutschland steht vor einer Rezession<br />

Prof. Dr. Monika Schnitzer von der Ludwig-Maximilians-Universität<br />

München und Mitglied des Sachverständigenrates<br />

der Bundesregierung, stimmte in den Chor der besorgten Referenten<br />

ein. Deutschland stehe angesichts der Energiekrise<br />

vor einer Rezession und die Menschen müssten begreifen,<br />

dass sie Wohlstand verlieren würden. Vor allem dazu, was<br />

den Rückgang der hohen Inflation in absehbarer Zeit angeht,<br />

äußerte die Expertin sich skeptisch.<br />

Prof. Dr. Harald Simons von der empirica ag machte in<br />

seinem Vortrag den Zuhörerinnen und Zuhörern wenigstens<br />

ein klein wenig Hoffnung. Zwar sei die Unsicherheit über<br />

die künftige Entwicklung sehr hoch. Er rechne aber damit,<br />

dass auf Grund des hohen Bauüberhangs von rund 850 000<br />

Wohnungen in den kommenden beiden Jahren noch viele<br />

Wohnungen fertig würden. Zudem sinke der Druck auf die<br />

Metropolen. Sie seien inzwischen zu teuer und würden vermehrt<br />

Einwohner an das Umland verlieren.<br />

Mit Spannung wurde der Auftritt der früheren FDP-<br />

Bundestagsabgeordneten und Hamburger FDP-Chefin Katja<br />

Suding erwartet. Die Politikerin war im vergangenen Jahr aus<br />

der Politik ausgestiegen und berichtete über ihre Gründe. Sie<br />

habe erleben müssen, wie hart und zum Teil unmenschlich<br />

politische Auseinandersetzungen inzwischen geführt würden.<br />

Das mache ihr Sorgen, weil eine Gesellschaft, in der<br />

Menschen nicht mehr offen ihre Meinung äußern könnten,<br />

Gefahr laufe, unfrei zu werden. h<br />

Die Klimapolitik vom Kopf auf die Füße stellen – ähnlich argumentierte<br />

am zweiten Veranstaltungstag Prof. Dr. Dr. Werner<br />

Sobek. Die Lebensbedingungen der Menschen seien gefährdeter<br />

denn je und ein grundlegender Kurswechsel sei sofort<br />

nötig. Die Wohnungswirtschaft dürfte dabei nicht auf die<br />

Politik warten, die sei von der Komplexität der Herausforderungen<br />

ohnehin überfordert.<br />

Stattdessen müsse die Branche bei der Errichtung und der<br />

Nutzung von Wohngebäuden selbst aktiv(er) werden. In den<br />

Unternehmen säßen die Experten, die Lösungen entwickeln<br />

und umsetzen könnten. Zugleich machte sich Prof. Sobek<br />

dafür stark, stets die Situation vor Ort zu betrachten, statt<br />

pauschale Lösungen der gesamten Branche überzustülpen.<br />

In diesem Zusammenhang bekannte sich VNW-Direktor<br />

Andreas Breitner ausdrücklich zu den umweltpolitischen<br />

Zielen der Bundesregierung und der drei norddeutschen<br />

Bundesländer. „Beim Schutz der Umwelt stehen wir an der<br />

Seite der Politik. Allerdings vertreten wir auch die Interessen<br />

unserer Mieterinnen und Mieter. Zu hohe Vorgaben für den<br />

Klimaschutz bedrohen das bezahlbare Wohnen. Hier ist mehr<br />

Differenzierung vonnöten. Deshalb fordern wir eine Atempause<br />

bei der Verschärfung der Klimaschutzauflagen.“

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