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Das Fräulein von Lichtenegg

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Maximilian Schmidt <strong>Das</strong> <strong>Fräulein</strong> <strong>von</strong> <strong>Lichtenegg</strong><br />

und den abgeschmacktesten Dingen und hält uns für dumme, arme Geschöpfe, deren Nahrung<br />

fast nur aus Wurzeln und Kräutern besteht!“<br />

Der Pfarrer, für seine Heimat in Eifer kommend, nahm bei den letzten Worten aus einer<br />

großen Platte ein Stückchen <strong>von</strong> einem schön gebratenen Huhn, gleichsam als wollte er die<br />

letzte Ansicht sogleich mit der That widerlegen, was Anlaß zu einem herzlichen Gelächter<br />

gab.<br />

Der Kantor, der teils wirklich, teils ex officio am ärgsten lachte, folgte sogleich dem<br />

Beispiele seines Pfarrherrn, indem er meinte: „Wenn auch die Vegetation unseres Bodens<br />

nicht gerade gut ist, so viel gewinnen wir immer daraus, daß wir uns satt essen können, und<br />

wär’s auch nur mir Erdäpfeln und Scharrnbladeln, 1 wie es bei mir der Fall ist.“<br />

Während der Kantor dieses sprach, meldete sich sein Zipperlein an und zwang ihn zu<br />

krampfhaften Bewegungen. „Da muß eine Kröte unterm Tisch sein!“ sagte er, die Sache zu<br />

bemänteln; aber der Pfarrer und Ortolf lachten unwillkürlich.<br />

„Genieren Sie sich nicht, Herr Kantor,“ rief der Pfarrer, „Ortolfs Vater hat Ihnen ja einstens<br />

das Podagra-Patent selbst übergeben, was Ortolf nicht unbekannt ist, und vor dem Herrn<br />

Doktor und mir brauchen Sie solche Schwächen nicht zu verleugnen!“<br />

„Warum nicht gar das Podagra!“ ereiferte sich der Kantor. „Ortolfs Vater war dortmals in<br />

großem Irrtume; die verdammten Hühneraugen quälten mich seinerzeit so und verdächtigten<br />

mich einer Krankheit, deren sich wohl ein armseliger Meßner, wie unser einer, nie wird<br />

rühmen können. Mit meinen hundert Gulden Gehalt und den schlechten Nebenverdiensten,<br />

keine gescheite Leiche, keine Kindstaufe, keine Hochzeit: meine Herren, da wäre eher die<br />

Schwindsucht als das Zipperlein zu befürchten.“<br />

Letzteres, als wollte es den Sprecher Lügen strafen, zwang ihn schon wieder zu einigen<br />

verdächtigen Bewegungen, aber ohne sich dadurch irre machen zu lassen, fuhr er fort: „Was<br />

habe ich nicht einstens für Touren geliefert! Singen und Geigen und Lichteranzünden sind<br />

nicht meine lebenslangen Beschäftigungen gewesen. Ich war schon nahe daran, Soldat zu<br />

werden, hätte den russischen Feldzug mitgemacht, und dann könnte Meßner <strong>von</strong> Eschlkam<br />

sein, wer da wollte. Doch da<strong>von</strong> ein anderes Mal. Ich ging früher auf die Jagd bei jedem<br />

Wetter, wie der Herr Pfarrer versichern müssen, habe mit Schwärzern manches Scharmützel<br />

gehabt, und bin selbst gegen Gespenster gezogen. Ja, ja, denken Sie noch an den Federkiel,<br />

Herr Pfarrer, dessen Geist wir attakierten! Ortolfs Vater war auch dabei, und damals wäre es<br />

gewiß niemand eingefallen, mich für einen Podagraisten zu halten.“<br />

„Von jener Federkielgeschichte erinnere ich mich, gehört zu haben,“ sagte Ortolf, „sie hat<br />

mich als Knabe ungemein interessiert und ich wäre Ihnen dankbar, lieber Herr Kantor, wenn<br />

Sie uns den ganzen Spuk <strong>von</strong> damals erzählen würden.“<br />

„Gerne, recht gerne,“ rief der Kantor, dem man keinen größeren Gefallen thun konnte, als<br />

ihn um die Erzählung irgend eines ihn angehenden Vorfalles zu bitten, und nachdem er eine<br />

tüchtige Prise Schmalzler aus seinem schönen Glase genommen und einen gehörigen Schluck<br />

gethan, erzählte er folgendermaßen die Geschichte vom Federkiel: „Der Federkiel war kein<br />

Federkiel, sondern ein wirklicher Federkiel – ein –“<br />

„Schreibnamen,“ fiel der Pfarrer ein. „Trinken Sie erst noch einmal, Herr Kantor, sonst<br />

kommen Sie zu keinem rechten Anfang.“<br />

„Des Herrn Wille geschehe,“ erwiderte der Kantor und verband das Wort mit der That.<br />

Nun fing der Kantor nochmals seine Erzählung an. „Der Federkiel war der Verwalter des<br />

eine halbe Stunde <strong>von</strong> hier entfernten Schlosses Stachesried. 2 Er war im Jahre 1811, gerade zu<br />

1 Scharrnbladeln sind dünn gerollte Teigblätter, die im Ofen hart gebacken und beim Anrichten mit heißem<br />

Wasser gebrüht und dann geschmalzt werden. Dieses ist eine der häufigsten Speisen der Landleute im<br />

bayerischen Walde.<br />

2 Stachesried, Schloß und Hofmark, früher Eigentum der Familie Pelkhoven in Mosweng, dann der Freiherrn<br />

<strong>von</strong> Docfort, zuletzt churfürstliches Schloß mit Patrimonialgerichtsbarkeit; nunmehr dem frühern Schloßbräuer<br />

gehörig.<br />

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