Das Fräulein von Lichtenegg
Das Fräulein von Lichtenegg
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Maximilian Schmidt <strong>Das</strong> <strong>Fräulein</strong> <strong>von</strong> <strong>Lichtenegg</strong><br />
Zwei Kooperatoren hatten nebst dem Pfarrherrn vollauf zu thun, den kirchlichen<br />
Obliegenheiten nachzukommen. Der Pfarrer hatte auch den Ruf großer Mildthätigkeit. Die<br />
Armen der Pfarrei erhielten <strong>von</strong> ihm viele Unterstützung, er selbst aber versagte sich auch<br />
nichts. Sein ehrwürdiges Haar war noch sehr üppig, dabei blendend weiß und paßte gut zu<br />
dem gesund geröteten Gesichte, auf welchem sich Gutherzigkeit, Freundlichkeit und eine<br />
gewisse Art <strong>von</strong> Fröhlichkeit spiegelte. Sein Keller und seine Küche standen bei seiner<br />
liebenswürdigen Gastlichkeit in ausgezeichnetem Rufe, und wurden <strong>von</strong> nah und fern häufig<br />
in Anspruch genommen.<br />
Die Gesellschaft saß zum Nachtmahle in dem geschmackvoll gebauten, rings mit Epheu<br />
umwachsenen Gartenhause. Der Pfarrer hatte aus seinem Keller das beste Bier, welches er<br />
vom nahen Kloster Neukirchen bezog, herbeibringen lassen, und die Gesellschaft vermehrte<br />
sich noch um eine Person, deren sprudelnder Humor sie in jedem Zirkel angenehm machte. Er<br />
war ein kleiner und dicker, ziemlich bejahrter Mann, mit einem roten, stets lachenden<br />
Gesichte, dessen beinahe ganz kahles Haupt ein schwarzes Samtkäppchen bedeckte, und<br />
dessen sorgfältig geknüpftes, buntseidenes Halstuch nebst den unfehlbaren Vatermördern, der<br />
gestickten Chemisette und den gefältelten Hemdmanschetten auf die Eitelkeit schließen<br />
ließen, die er in nicht geringem Grade besaß. Er war Witwer, lebenslustig, hatte eine kleine<br />
Oekonomie, als Kantor und Meßner sein gutes Auskommen, und zu alledem eine hübsche<br />
Mündel mit Namen Veronika zur Haushälterin, welche man sogar als des Alten Zukünftige<br />
erklärte. Da dieses Gerücht schon 15 Jahre ging, mußte dessen Glaubwürdigkeit um so mehr<br />
abnehmen, als des Kantors Jahre zunahmen. Der Kantor hatte einen gesunden Witz und eine<br />
nie ermüdende Zunge. Wo er zugegen war, stockte nie der Faden der Unterhaltung; er wußte<br />
stundenlange zu erzählen, hatte einen unerschöpflichen Vorrat <strong>von</strong> Anekdoten und konnte<br />
lügen wie gedruckt. Nur einen Fehler warf man ihm vor: er gab sich nämlich immer für einen<br />
armen Teufel aus, hungerte, nach seiner Aussage, daß ihm die Rippen krachten, wobei aber<br />
seine Leibesgestalt an Umfang stets zunahm und die steigende Röte seines Gesichtes, aus dem<br />
eine hellleuchtende kupfrige Nase hervortrat, in argem Widerspruche damit stand.<br />
„Fallen mir doch alle Geschichten wieder ein,“ sprach er, sich an Ortolf wendend, „die ich<br />
mit Ihrem Herrn Vater verlebt habe. <strong>Das</strong> waren Zeiten! Herrje, die kommen nicht wieder! Der<br />
Herr Pfarrer und ich sprechen gar oft da<strong>von</strong> und wünschen den alten Freund an unsere Seite.<br />
Lassen wir ihn leben!“<br />
„Der Vater wird sich freuen, wenn ich ihm das erzähle, und ich glaube sicher, daß er über<br />
kurz oder lang seinen Freunden persönlich für das liebe Andenken, in welchem sie ihn noch<br />
behalten, danken wird.“<br />
„<strong>Das</strong> soll er,“ fiel der Pfarrer ein, „aber recht bald soll er’s, sonst feiern wir ein anderes<br />
Wiedersehen, bei welchem uns das Klosterbier, das Lieblingsgetränk deines Vaters, mangeln<br />
könnte. Doch wir sind zufrieden, daß uns vorläufig sein Sohn die Anhänglichkeit an die<br />
Heimat bewies und uns noch dazu einen so werten Freund mitbrachte, dem wir nur wünschen,<br />
daß er unser Sibirien nicht ganz unbefriedigt verlasse.“<br />
„Gott bewahre!“ erwiderte Adalbert. „Ich finde kein Sibirien da; im Gegenteile habe ich<br />
noch keine reizendere Gegend gesehen, und die reichen Schönheiten dieser Gebirgswelt<br />
haben mich in der That überrascht und entzückt.“<br />
Der Pfarrer reichte dem so Sprechenden die Hand und auf seinem Gesichte zeigte sich eine<br />
freudige Bewegung. „Wenn Sie jetzt schon so sprechen,“ sagte er, „mein lieber Doktor, was<br />
werden Sie erst sagen, wenn Sie näher mit den großartigen Naturschönheiten bekannt werden,<br />
welche der Böhmerwald in seinem Innern birgt. Der Paß <strong>von</strong> Neumark, in welchem unser<br />
Eschlkam liegt, ist nicht nur in historischer, sondern auch in landschaftlicher Beziehung eine<br />
der interessantesten Gegenden dieses Waldgebirges. Noch niemand ging unbefriedigt <strong>von</strong><br />
dannen, aber wenige getrauen sich herein. Man glaubt, die Bären wären bei uns noch in<br />
solcher Menge, daß sie die Leute in ihren Häusern anpacken; man hält den bayerischen Wald<br />
für eine noch ganz im Urzustande befindliche wilde Gegend; man fabelt <strong>von</strong> Räuberbanden<br />
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