Das Fräulein von Lichtenegg
Das Fräulein von Lichtenegg
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Maximilian Schmidt <strong>Das</strong> <strong>Fräulein</strong> <strong>von</strong> <strong>Lichtenegg</strong><br />
„Ich könnte es? Womit?“<br />
„Durch Ihre Gegenliebe. Ich liebe dich, Julchen, ich liebe dich unaussprechlich! Hier an den<br />
Gräbern deiner Eltern mache ich dir dieses Geständnis zum ersten Male; ihre Geister<br />
umschweben uns vielleicht in diesem Augenblicke und sagen dir, wie wahr, wie tief ich für<br />
dich fühle.“<br />
„Wie, Sie lieben mich?“ rief Julchen. „O, so bin ich ja unendlich glücklich, wie ich es auf<br />
dieser Welt nie zu werden träumte!“ Und Thränen der Freude rollten über ihre leicht geröteten<br />
Wangen.<br />
Plötzlich fühlte jeder eine Hand auf sein Haupt gelegt, und sie erblickten hinter sich das<br />
Rittermargerl.<br />
„Ihr liebt euch, Kinder?“ sagte sie lächelnd. „Ich gebe euch mit inniger Freude meinen<br />
mütterlichen Segen!“<br />
Adalbert und Julchen waren vor der Greisin niedergekniet und empfingen ihren Segen.<br />
So wurde über dem Aschenhaufen des Todes, das Glück zweier Menschen gegründet, und<br />
diesen begann an der Stätte der Verstorbenen ein neues, schönes Leben mit entzückender<br />
Gegenwart und glückverheißender Zukunft.<br />
XVI.<br />
An einem schönen Herbsttage, zu Anfang Oktober, ward es in dem kleinen Orte schon am<br />
frühesten Morgen recht lebendig. Die Mehrzahl der Bewohner war sonntäglich aufgeputzt,<br />
und der Dörfelschneider hatte, wie es nur bei außerordentlichen Gelegenheiten der Fall war,<br />
seinen mit Met und Lebkuchen angefüllten Verkaufstisch vor das Haus gestellt, die<br />
Vorübergehenden zum Einkaufe einladend. Im Kalender stand gerade kein Feiertag; aber<br />
Eschlkam hatte heute einen Festtag, da Margareths Enkel mit Julchen seine Hochzeit feierte.<br />
Der Hochzeitlader mit dem geschmückten Stocke hatte nah und fern seinen Spruch<br />
gehalten, mit Kreide den in einer Zitrone steckenden Rosmarinzweig auf die Thüren<br />
gezeichnet, und jedermann kam dieser Ladung mit Freuden gerne nach.<br />
Auch <strong>von</strong> weiterer Ferne waren Hochzeitsgäste angekommen, und unter diesen stand<br />
obenan Ortolf mit seinem jungen Weibchen. Vor wenigen Tagen erst mit dieser getraut,<br />
glaubte er seiner Hochzeitsreise kein würdigeres Ziel als seinen Geburtsort geben zu können,<br />
und um so erwünschter kam ihm gerade die Einladung Adalberts zu dessen eigener<br />
Hochzeitsfeier.<br />
Der Herr Kantor hatte vom frühesten Morgen an zu schaffen, zu richten und zu<br />
kommandieren, gleich einem Generale vor der Schlacht; denn auf ihm ruhte ein gutes Stück<br />
der heutigen Feierlichkeiten, welche seinem Erfindungsgeiste aber auch gewiß alles Lob<br />
verschaffen sollten.<br />
<strong>Das</strong> Bräutchen war <strong>von</strong> vielen Mädchen umgeben, welche ihren Anzug zurecht richteten.<br />
Sie lächelte so überglücklich, und aus ihren großen, schönen Augen perlte eine Thräne nach<br />
der andern nieder, lauter Thränen der innigsten Glückseligkeit. Ihr sonst so blassen Gesicht<br />
war heute mit einem leichten Rot überflogen, und ihr liebliches Lächeln machte sie in der<br />
That bezaubernd.<br />
Wir übergehen die Vorbereitungen, die Trauung und das Festamt, bei welchem der Kantor<br />
ein neu einstudiertes Violinsolo zum Besten gab; wir übergehen die Menge der<br />
Hochzeitsgäste und der Zuschauer; denn da gäbe es gar viel zu erzählen.<br />
Im Gasthause beim Späth ging es hoch her. <strong>Das</strong> war ein Gerenn und Gelauf! Im Saale<br />
ertönte die Tafelmusik, und das Mahl ging in größter Heiterkeit vor sich. Ein<br />
Freischüssellaufen wurde auch abgehalten, und unter allerlei Belustigungen verging der Tag.<br />
<strong>Das</strong> Rittermargerl war überall zugegen und war selig vor Freude und Vergnügen. Auguste<br />
und Julchen hatten sich schon in den ersten Stunden ihres Beisammenseins lieb gewonnen.<br />
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