Das Fräulein von Lichtenegg
Das Fräulein von Lichtenegg
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Maximilian Schmidt <strong>Das</strong> <strong>Fräulein</strong> <strong>von</strong> <strong>Lichtenegg</strong><br />
zum Gruße reichte? Warum fühlte sie sich in seiner Nähe so zufrieden, so heiter, und warum<br />
sah sie ihn so ungern <strong>von</strong> sich scheiden?<br />
Julchen verstand sich selbst nicht mehr. Oft stand sie sinnend an einem Rosenstocke und<br />
drückte die Blüten an ihre schönen Lippen; dann wand sie niedliche Sträußchen, mit denen sie<br />
den Doktor erfreuen wollte – und war er da, so wagte sie’s doch wieder nicht, ihm dieselben<br />
zu überreichen.<br />
Die Nachricht, daß die Margareth Adalberts Großmutter sei, erfüllte das Mädchen mit<br />
unendlicher Freude, und wie sehnte sie sich jetzt nach Eschlkam zurück, um sich mit der<br />
Alten freuen zu dürfen! Aber der Doktor hatte es immer noch nicht gestattet, daß Julchen<br />
nach dem Marktflecken fuhr, denn so gesund sie auch zu sein glaubte, so war sie doch noch<br />
sehr leidend und bedurfte stets der größten Ruhe. –<br />
Endlich – endlich kündigte ihr Adalbert an, daß er ihr in Schwarzenberg den letzten Besuch<br />
gemacht, daß sie morgen mit der Lehrerin nach Eschlkam fahren dürfe, und bei dem<br />
Rittermargerl schon alles zu ihrem Empfange hergerichtet sei!<br />
Welch freudige Kunde war dies für Julchen! Die kleine Klara weinte freilich, als sie <strong>von</strong><br />
Julchens Abschied vernahm; aber diese versprach ihr, recht of nach Schwarzenberg zu<br />
kommen, und die Lehrerin tröstete sie ebenfalls mit dem Versprechen, Julchen recht oft<br />
besuchen zu dürfen.<br />
Am Nachmittag des nächstfolgenden Tages fuhr denn auch die Lehrerin mit Julchen und der<br />
kleinen Klara nach Eschlkam.<br />
An der Thüre zu Margareths Wohnung war ein schöner Triumphbogen angebracht, und<br />
alles zu einem herrlichen Empfange Julchens bereit. Als diese durch den Markt fuhr, drängten<br />
sich die Eschlkamer neugierig und erfreut an ihren Wagen, denn alle wollten das „gescheite<br />
Julchen“ wieder sehen, und ihr die Hand zum Willkomm drücken. Auch der Pfarrer und der<br />
Kantor begrüßten sie, und wenige Minuten darauf lag sie in Margareths Armen und weinte<br />
Thränen der unaussprechlichsten Freude an dem Busen der Greisin.<br />
<strong>Das</strong> Rittermargerl hatte den Pfarrer, den Kantor, die Lehrerin, und noch mehrere zu einem<br />
Nachmittagskaffee geladen, und es wurde dabei in der heitersten Weise die Genesung<br />
Julchens gefeiert. Diese, sobald sie sich einigermaßen unbemerkt glaubte, eilte aus dem Hause<br />
nach dem daranstoßenden Friedhofe, um an den Gräbern ihrer Eltern beten zu können. Wie<br />
angenehm wurde sie hier überrascht! Beide Gräber waren frisch mit den schönsten Blumen<br />
geschmückt. Sie wußte, daß sie schon viel an diesen Gräbern verweilt habe; aber es war ihr<br />
wie ein Traum. Ihrer selbst bewußt kniete sie jetzt zum ersten Male hier nieder und betete für<br />
die Dahingeschiedenen.<br />
Julchen fühlte sich lebhaft, daß sie nun niemand mehr angehöre, als sich selbst, und daß sie<br />
vereinsamt auf der Welt dastehe. Dieser Gedanke machte sie recht traurig und sie rief: „Du<br />
gute, alte Mutter, warum hast du mich allein zurückgelassen?“<br />
„Nicht doch, Julchen,“ sprach hinter ihr eine zärtliche Stimme, „Sie sind nicht allein!“<br />
Julchen wandte sich um, und sah in das freundliche Gesicht Adalberts, der mit entblößtem<br />
Haupte vor ihr stand.<br />
„Sterben ist unser aller Los, gutes Kind,“ sagte er, „die älteren müssen uns nach dem Laufe<br />
der Natur vorangehen; wir jüngeren folgen nach. Ich ehre Ihren Schmerz für die teuren<br />
Dahingegangenen; aber vergessen Sie darüber die Lebenden nicht, nicht Ihre Freunde. Sie<br />
stehen nicht vereinsamt in der Welt, Julchen, gewiß nicht, so lange ich lebe!“<br />
„So lange Sie leben?“ fragte das Mädchen mit ungewissem Tone.<br />
„Ja, Julchen!“ antwortete Adalbert und ergriff ihre Hand.<br />
Julchen erwiderte unwillkürlich des Doktors Händedruck. Ein freudiger Schauer ging durch<br />
ihre Seele.<br />
„Julchen,“ sagte Adalbert, „Sie haben unlängst in Schwarzenberg den Wunsch<br />
ausgesprochen, mir vergelten zu können, was ich an Ihnen gethan. Wohlan! Sie können es<br />
tausendfach!“<br />
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