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Das Fräulein von Lichtenegg

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Maximilian Schmidt <strong>Das</strong> <strong>Fräulein</strong> <strong>von</strong> <strong>Lichtenegg</strong><br />

„Wer küßte meine Hand?“ fragte hastig die Alte, noch immer mit geschlossenen Augen.<br />

„Ich, Mütterchen“ sagte Adalbert mit aller Herzlichkeit. „Ich küßte Ihnen dieselbe in<br />

Julchens Auftrage, welche sich unendlich nach Ihnen sehnt. Sehen Sie mich doch an; warum<br />

mich hassen, während ich Sie liebe? Was kann ich denn für mein Gesicht?“<br />

„Sie lieben mich?“ fragte Margareth leise. „Warum lieben Sie mich?“<br />

„Weil mir Julchen so viel Schönes <strong>von</strong> Ihnen erzählt hat; weil ich erfahren, daß Sie ein so<br />

gutes Herz haben, und weil ich überhaupt das Alter ehre und liebe.“<br />

Adalbert hatte wiederholt der Alten Hand ergriffen; diese schlug jetzt die Augen auf und<br />

heftig zitternd blickte sie stier in das ihr so verhaßte Gesicht des jungen Mannes.<br />

„Ich bin ein Kind,“ sagte sie nach einer kleinen Pause. „Verzeihen Sie mir, ich bin wie ein<br />

kleines Kind. Aber fragen Sie nur diese Herren, ob das Bild meines Sohnes nicht eine<br />

täuschende Aehnlichkeit mit Ihnen hat. Und Sie heißen auch Adalbert?“<br />

„Ich heiße Adalbert!“<br />

Die Alte schwieg und konnte ihren Blick nicht mehr <strong>von</strong> Adalbert wenden; dieser sah ihr<br />

mit aller Liebe in die Augen und brach endlich das Schweigen, indem er sagte: „Mütterchen,<br />

gewöhnen Sie sich immer an das Gesicht und erlauben Sie mir, daß ich Ihnen täglich<br />

Nachrichten <strong>von</strong> Julchen bringe.“<br />

„Wie lange kennen Sie Julchen schon?“<br />

„Seit Sonntag, wo ich hier ankam.“<br />

„Und warum nehmen Sie an dem Mädchen so viel Anteil?“<br />

„Warum? Ich bin Arzt, und wie dem Priester das geistige, so liegt mir das leibliche Wohl<br />

meiner Nebenmenschen am Herzen. Und wäre ich auch nicht Arzt, ich würde mich doch zu<br />

dem Unglücklichen hingezogen fühlen und zu lindern suchen, soweit es in meinen Kräften<br />

steht; denn wer hätte mehr Anteil auf unsere Teilnahme und Liebe als der Unglückliche?<br />

Wollte man einem solchen noch die Menschenliebe nehmen, so bände ihn nichts mehr an<br />

diese Erde als ein verhaßtes Leben, dessen Ende dann sein einziger Wunsch wäre.“<br />

„<strong>Das</strong> ist wahr,“ versetzte die Alte, „und wenn nun dieses Leben nicht entweichen will, ein<br />

Leben, das keinen Reiz und nur eine Erinnerung hat, welche den Blick in die Vergangenheit<br />

trübt und die einmal geschlagenen Wunden ewig bluten läßt, – welcher Trost bleibt einem<br />

solchen Menschen?“<br />

„Der Trost einer besseren Zukunft,“ sagte der Pfarrer. „Margareth, der Himmel lenkt unsere<br />

Schicksale. Er läßt uns oft nur deshalb so lange warten, um uns noch hier auf Erden durch<br />

unverhoffte Freuden für erlittenes Unglück zu entschädigen. Vielleicht ist es auch bei Euch so<br />

der Fall, Margareth.“<br />

„Bei mir? O, welche Freude könnte mir die Erde noch bieten? Meine Freuden sehe ich<br />

allerdings in der Zukunft; aber nicht hier unten mehr, sondern dort oben, wo ich bald bei Gott<br />

zu wohnen hoffe.“<br />

„Aber, Mütterchen,“ sagte Ortolf, „wenn Euch noch Freuden blühten, wenn Ihr doch noch<br />

durch liebe Bande an dieses Leben gefesselt wäret: o, nicht wahr, Ihr würdet Euer Herz der<br />

Freude nicht verschließen, und ein Glück nicht <strong>von</strong> Euch weisen, das Euch der Himmel bis<br />

jetzt aufbewahrt?“<br />

„Ein Glück, das mir der Himmel aufbewahrt?“ fragte die Alte überrascht, und nachdem sie<br />

den Pfarrer und Ortolf fest angeblickt, ließ sie ihr Auge auf Adalbert ruhen und fing dann<br />

plötzlich zu weinen an.<br />

„Warum weinen Sie, gutes Mütterchen?“ fragte Adalbert, der Alten Hand erfassend.<br />

„Weil Sie mich lebhaft wieder an längst vergangene Zeiten erinnern,“ entgegnete rasch die<br />

Alte; „Sie gleichen nicht nur meinem Sohne, sondern auch meinem braven Gatten. So stand er<br />

einstens in Augsburg vor mir und blickte mich so mild an, wie Sie es jetzt thun. Warum hat<br />

mein Sohn dieses nie gethan? O, daß mir ein solcher Sohn gelebt hätte!“<br />

Adalbert konnte nicht länger mehr an sich halten und rief: „Es lebt Ihnen ein solcher Sohn<br />

in Ihrem Enkel! Ich bin es, der Sohn Ihres Adalbert!“<br />

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