26.12.2012 Aufrufe

Das Fräulein von Lichtenegg

Das Fräulein von Lichtenegg

Das Fräulein von Lichtenegg

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Maximilian Schmidt <strong>Das</strong> <strong>Fräulein</strong> <strong>von</strong> <strong>Lichtenegg</strong><br />

Wiedersehen! Oft wollte er dem einen oder anderen freundlich zurufen; aber alle gingen an<br />

ihm vorüber, nachdem sie ihn neugierig betrachtet. Zuletzt kam noch ein Dutzend <strong>von</strong><br />

Betschwestern, die kaum die Kirche im Rücken, mit einander zu hadern anfingen. Ortolf<br />

mußte lächeln; denn es waren noch ganz die alten würdigen Klatsch-Priesterinnen, wie früher.<br />

Jetzt aber beschloß noch eine sonderbare Person den Zug der Andächtigen, bei deren<br />

Anblick Ortolf den Ausruf des Erstaunens nicht unterdrücken konnte. „<strong>Das</strong> Rittermargerl lebt<br />

noch!“ Ein ungewöhnlich großes und starkes Weib schritt nämlich rüstig, vom Arme einer<br />

Dienerin nur leicht unterstützt, aus der Kirche. <strong>Das</strong> Weib mußte über 90 Jahre zählen und<br />

trotzdem war die Haltung ihres Körpers gerade und steif wie die eines Grenadiers. <strong>Das</strong><br />

Gesicht der Alten, aus lauter Runzeln bestehend, war ernst und verriet besonders das Feuer<br />

ihrer Augen noch einen lebhaften Geist. Die Form ihres Hutes, Farbe und Schnitt ihres<br />

gelbseidenen Kleides stellten sich so dar, wie sie vor 50 Jahren in der Mode waren. Ein roter<br />

Shawl hing nachlässig über ihren Schultern und am rechten Arme machte sich ein langer,<br />

uralter Ridikül bemerkbar, aus welchem der lange Hals eines Eau de Cologne-Glases<br />

hervorguckte. Vor 20 Jahren sah sie Ortolf schon in derselben Kleidung. Unwillkürlich<br />

näherte er sich derselben. „Gott grüß’ Euch, Mütterchen,“ redete er sie an. „Ihr seid ja noch<br />

immer rüstig und stark, daß es eine wahre Freude ist.“<br />

Die Alte lächelte ihn freundlich an. „Gott sei’s gedankt, daß ich es noch bin. Zähle schon 91<br />

Jahre, junger Herr, und werde bald rüstig einen anderen Weg einschlagen.“<br />

Die Alte schien jetzt Ortolf mit ihren Augen durchdringen zu wollen; dies währte aber nur<br />

einige Augenblicke, und freudig lächelnd fuhr sie fort: „Glaubt Ihr, ich kenne Euch nicht?<br />

Habe Ihr doch die Narbe am linken Auge einem Falle über meine Stiege zuzuschreiben, und<br />

die alte Margret wusch Euch die Wunde. Ist es nicht so, Herr Ortolf?“<br />

Ortolf freute sich herzlich über dieses Wiedererkennen <strong>von</strong> seiten der Greisin. Er begleitete<br />

sie zu ihrer an den Friedhof stoßenden Wohnung, einem alten schloßähnlichen Gebäude, und<br />

verabschiedete sich mit dem Versprechen, ihr recht bald einen Besuch zu machen, um jetzt<br />

denjenigen zu begrüßen, auf den er sich am meisten freute, seinen Taufpaten, den Pfarrer, der<br />

gerade aus der Sakristei herauskam. Es bedurfte langer Zeit, bis ihn dieser wieder erkannte.<br />

Beide umarmten sich sodann lang und innig.<br />

Jetzt kam Adalbert wieder herzu. Ortolf stellte ihn dem Pfarrer vor, welcher ihn wie einen<br />

alten Bekannten begrüßte und bat, er möchte mit Ortolf in seinem Pfarrhofe Quartier nehmen.<br />

Adalbert war heftig erregt. Seine Gedanken schienen nicht an Ort und Stelle zu sein. Mit<br />

einem erzwungenen freundlichen Lächeln nahm er des ehrwürdigen Mannes Einladung<br />

höflich an.<br />

Ortolf war nicht wenig über die plötzliche Veränderung des Freundes verwundert, und hätte<br />

gerne um den Grund hier<strong>von</strong> gefragt, würde sie nicht beide der Pfarrer zu dem einige hundert<br />

Schritte entfernten Pfarrhofe unter fortwährender Versicherung seiner unverhofften Freude,<br />

und Frage auf Frage häufend, geführt haben.<br />

III.<br />

Der Pfarrer war einer jener gemütlichen Landgeistlichen, welche nach treu befolgten<br />

Pflichten sich und anderen gönnen, was uns zur Versüßung unseres Lebens ein gütiger<br />

Schöpfer zur Verfügung stellte. Er war seiner Gemeinde ein Vater, und diese liebte ihn auch<br />

als solchen. Er war ein Helfer mit Rat und That; dabei war er stets <strong>von</strong> heiterem Humor<br />

beseelt und genoß schon darum das unbedingte Vertrauen aller. Jedermann gab ihm gerne den<br />

Zehnten und stellte dazu die besten Garben bereit; außerdem besaß er selbst eine große<br />

Oekonomie und beschäftigte viele Leute. Die Pfarrei Eschlkam galt für eine der besten in der<br />

Diözese.<br />

6

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!