26.12.2012 Aufrufe

Das Fräulein von Lichtenegg

Das Fräulein von Lichtenegg

Das Fräulein von Lichtenegg

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Maximilian Schmidt <strong>Das</strong> <strong>Fräulein</strong> <strong>von</strong> <strong>Lichtenegg</strong><br />

mein unterthänigstes Kompliment mache, und nicht wahr? Sie erlauben, daß ich mich setze.<br />

Ich bin Ihnen weiter nicht gelaufen! O, nur fünf Minuten hätte ich eine solche Bestie sein<br />

mögen, um den Verräter samt seinem Rosse zu zerfleischen!“<br />

„Sie blutgieriger Mensch!“ sagte lachend der Pfarrer. „Sprechen Sie doch, was ist Ihnen<br />

denn passiert?“<br />

„Er hat wahrscheinlich viel passieren lassen,“ meinte einer der Herren, denn der Kantor ließ<br />

aus verschiedenen Anzeichen schließen, daß er dem Klosterbier nicht feind gewesen.<br />

„Drei Halbe, meine Herren,“ sagte er mit einem anscheinend ganz aufrichtigen Gesichte,<br />

„drei Halbe, Sie wissen ja, daß ich nicht mehr vertragen kann. Aber diesen Verräter, diesen –<br />

diesen –“<br />

„Wem gelten denn diese Liebesversicherungen?“<br />

„Liebesversicherungen? Gott bewahre! Ja, er hat mir noch vor wenigen Stunden Lieb und<br />

Freundschaft versichert und mit mir Bruderschaft getrunken; ich war stolz darauf, als er mich<br />

küßte; aber es war der Kuß eines Judas Ischarioth. War er noch nicht da?“<br />

„Ja, wer denn?“<br />

„Der Doktor <strong>von</strong> Furth,“ antwortete der Kantor mit grimmiger Miene, während die<br />

Gesellschaft in ein herzliches Gelächter ausbrach. Der Kantor war einige Augenblicke<br />

unschlüssig, was er nun beginnen sollte, fing aber plötzlich selbst zu lachen an und rief: „Den<br />

hab ich eingehen lassen!“<br />

„So viel mir scheint,“ sagte der Pfarrer, „hat er Sie eingehen lassen, sonst wären Sie nicht so<br />

erbost auf ihn. Doch spannen Sie unsere Neugierde nicht so lange, was hat’s denn gegeben?“<br />

Der Kantor, nun wieder ganz Herr seiner selbst, ließ auf seinem Gesichte, in welchen noch<br />

soeben Furcht und Schrecken zu lesen waren, ein spöttisches Lächeln spielen, und nachdem er<br />

sich mit einer selbstgefälligen Wichtigkeit lange geschnäuzt und eine Prise Schmalzler zu sich<br />

genommen, erzählte er:<br />

„Der Doktor <strong>von</strong> Furth, den ich im Kloster angetroffen und der mit mir Bruderschaft<br />

getrunken, leistete mir auf dem Nachhauseweg Gesellschaft. Er führte sein Pferd neben mir<br />

hergehend, und wir schwätzten <strong>von</strong> diesem und jenem, bis wir Stachesried und die Klause im<br />

Rücken hatten, und in die Nähe des Federkielbaumes kamen, wo<strong>von</strong> ich Ihnen am vorigen<br />

Sonntag erzählte. Ich sprach mit dem Doktor eben über mein neuliches Zusammentreffen mit<br />

dem Steffeljäger auf diesem Wege, als er stehen blieb und aufmerksam nach dem<br />

gespensterhaften Baume schaute. „Ist mir’s doch,“ sagte er, „als wäre neben dem Baume dort<br />

eine menschliche Gestalt; kommt es Ihnen nicht auch so vor?“ Ich ersuchte ihn, keine<br />

schlechten Witze zu machen; aber der Doktor ließ sich’s nicht nehmen, und ich mußte ihn zu<br />

dem Baume begleiten. Je näher wir demselben kamen, desto mehr mußte ich der Meinung des<br />

Doktors beistimmen. Ich muß gestehen, daß ich darüber erstaunt war, denn wer dächte bei<br />

einem solchen Augenblicke nicht an den Federkiel! Auf unsere Zurufe ward uns keine<br />

Antwort, und beim Baume angekommen, sahen wir zu unserem Entsetzen – einen<br />

Erhängten.“<br />

„Einen Erhängten?“ fragten alle.<br />

„Wie ich Ihnen sage, einen Erhängten, dessen Füße beinahe den Boden berührten. Wir<br />

erkannten in dem Unglücklichen sogleich den Steffeljäger, welcher hier am Orte seiner<br />

einstigen bösen That sein sündhaftes Leben durch einen Selbstmord endete.“<br />

„Der Herr sei seiner Seele gnädig,“ sagte der Pfarrer.<br />

„<strong>Das</strong> habe ich auch gebetet,“ fuhr der Kantor fort. „Wir schnitten den Strick ab und ließen<br />

den Leichnam – Rettung war keine mehr möglich – unterm Baume liegen. Sie können sich<br />

denken, daß einem bei einer solchen Gelegenheit nicht am lustigsten zu Mute und daß es sehr<br />

wünschenswert ist, nicht allein an solch unheimlicher Stelle zu verweilen, und deshalb war<br />

ich froh über die Begleitung des Doktors; aber dieser saß, ohne daß ich’s mich versah, auf<br />

seinem Pferde, und indem er mir mit teuflischem Gelächter zurief: „Sehe den Federkiel<br />

57

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!