Das Fräulein von Lichtenegg
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Maximilian Schmidt <strong>Das</strong> <strong>Fräulein</strong> <strong>von</strong> <strong>Lichtenegg</strong><br />
Jetzt kam die Lehrerin mit einer Suppe, welche die Kranke zu sich nahm.<br />
„Weiß das Rittermargerl, wo ich bin?“ fragte sie.<br />
„Sie weiß es und freut sich innig, dich recht bald wieder gesund zu sehen.“<br />
„Bis wann kann ich wieder zu ihr?“ fragte Julchen.<br />
„Hoffentlich recht bald,“ erwiderte die Frau.<br />
Aus Julchens Brust lösten sich schwere Seufzer.<br />
„Was ist dir denn?“ fragte teilnahmsvoll die Lehrerin.<br />
„Ich denke eben daran, daß ich nun niemand mehr angehöre, als mir selbst, daß ich allein<br />
auf dieser Welt stehe, und dieser Gedanke thut mir wehe.“<br />
„Julchen,“ sagte die Lehrerin, „quäle dich nicht mit schmerzlichen Erinnerungen. Du<br />
verschlimmerst nur deine jetzige Krankheit, wenn du dich so aufregst. Blicke getrost in die<br />
Zukunft, denn so lange das Rittermargerl und ich leben, soll es dir an nichts mangeln.“<br />
„Sie haben recht,“ entgegnete Julchen etwas ruhiger. „Ich will, ich darf mich nicht aufregen;<br />
ich muß gesund, recht bald gesund werden, um arbeiten zu können. O wie vielen Leuten bin<br />
ich dieses unglückliche Jahr zur Last gefallen! Ich will dann niemand mehr lästig sein!“<br />
„<strong>Das</strong> wird sich alles geben, Julchen,“ erwiderte die Lehrerin; „aber nun verhalte dich ruhig;<br />
das viele Sprechen ist dir schädlich, und der Herr Doktor könnte zanken.“ Damit gab sie ihrer<br />
Tochter den Wink, Adalbert zu holen.<br />
„Der Doktor?“ fragte Julchen leise. Die Lehrerin nickte bejahend und Julchen schwieg.<br />
„Der Doktor!“ wiederholte sie sich, „was kann ihn bestimmen, um das arme, närrische<br />
Julchen so besorgt zu sein?“ Sie dachte lange über die jüngsten Ereignisse nach und Thränen<br />
der innigsten Dankbarkeit flossen jetzt aus ihren großen, dunklen Augen. Sie sammelte in<br />
ihrem Geiste die Bilder seit jener Schreckensnacht auf <strong>Lichtenegg</strong> und teilte selbe, so weit sie<br />
es vermochte, <strong>von</strong> denen ab, welche das Fieber ihr vorgaukelte. Dann gedachte sie der vielen<br />
Mühe, welche sie den Männern auf <strong>Lichtenegg</strong> und auf dem Wege nach Schwarzenberg<br />
verursacht, und insbesondere Adalberts großer Aufopferung, der nur ihretwegen seit gestern<br />
hier verweilte, um stets mit seiner ärztlichen Hilfe zur Hand zu sein. „O, wie kann ich es ihm<br />
danken!“ rief sie unwillkürlich aus.<br />
„Wem?“ fragte die Lehrerin, sich über Julchen neigend.<br />
„Dem edlen Doktor!“ lispelte das Mädchen. In diesem Augenblicke öffnete sich die Thüre<br />
und der Genannte erschien an der Schwelle. Die Frau ging Adalbert sogleich entgegen, indem<br />
sie ihm zurief: „Julchen ist wach!“<br />
„Schon lange?“ fragte Adalbert leise.<br />
„Seit einer Viertelstunde.“<br />
Julchen hatte die Stimme des Arztes erkannt, und wandte sich nach ihm um. Eine leichte<br />
Röte überflog ihr Gesicht, und unter freundlichem Lächeln rief sie ihm einen „guten Abend“<br />
entgegen.<br />
Adalbert erwiderte erfreut des Mädchens Gruß und näherte sich, um ihr den Puls zu fühlen.<br />
Julchens große Augen hingen an dem Blicke Adalberts. „Sie haben noch ein kleines Fieber,“<br />
sagte dieser endlich. „Ich bitte Sie daher, meine Anordnungen genau zu befolgen, damit Sie<br />
bald das Bett verlassen können. Vor allem vermeiden Sie jede Aufregung und denken Sie nur<br />
an Angenehmes.“<br />
„An Angenehmes?“ entgegnete Julchen. „Wenn dies nur möglich wäre! Doch ja, ich werde<br />
an die vielen Wohlthaten denken, welche Sie dem armen Julchen angedeihen ließen, werde<br />
für Sie beten, dem ich zu so unendlichem Danke verpflichtet bin.“<br />
„Nichts <strong>von</strong> Dank!“ rief Adalbert. „Ich that in allem nur meine Pflicht als Mensch und<br />
Arzt.“<br />
„An mir haben Sie mehr gethan; mein Leben, alles verdanke ich –“<br />
„Gott,“ fiel ihr Adalbert in die Rede.<br />
„Gott und Ihnen,“ fuhr Julchen weiter fort. „Ich kann es Ihnen nie vergelten!“<br />
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