Das Fräulein von Lichtenegg
Das Fräulein von Lichtenegg
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Maximilian Schmidt <strong>Das</strong> <strong>Fräulein</strong> <strong>von</strong> <strong>Lichtenegg</strong><br />
seiner Tochter bald nachfolgte, und welchen der Name Werrfels jedesmal mit Zorn und<br />
Abscheu erfüllte, traf die Anordnung, daß der junge Adalbert den Namen seiner Mutter führen<br />
sollte.<br />
Daß die traurigen Ereignisse, unter denen Adalbert das Licht der Welt erblickte,<br />
bedeutenden Einfluß auf sein Gemüt ausübten, ist leicht erklärlich, und je älter er wurde,<br />
desto empfindlicher war ihm das Bewußtsein, eine Waise zu sein, desto schmerzlicher der<br />
Gedanke an seine unglückliche Mutter.<br />
Seine Studien begann er in dem Erziehungsinstitute zu Metten, wo er mit Ortolf aufs<br />
innigste befreundet wurde. Er vertraute sich ihm gerne an, und goß in des Freundes Seele<br />
seine innersten Gedanken. Nur über einen Gegenstand befolgte er das geheimnisvollste und<br />
getreueste Stillschweigen. Oft rief er nämlich, wenn er sich allein glaubte, den Namen<br />
„Marie“ und weinte dabei bitterlich; im Schlafe entschlüpfte ihm dieser Name und unbewußt<br />
schrieb er „Marie“ auf irgend eine Stelle. Dieser Name fand sich auch auf einem mit schönem<br />
Amethyst besetzten Ringe eingraviert, welchen Adalbert stets trug, und der oft <strong>von</strong> seinen<br />
Thränen und Küssen benetzt wurde.<br />
Ortolf erfuhr die Ursache hier<strong>von</strong> nie und suchte auch, nach mehreren vergeblichen Bitten,<br />
nicht mehr damit bekannt zu werden; vielmehr war er bestrebt, seinen Freund <strong>von</strong> jeder<br />
trüben Erinnerung ferne zu halten und möglichst aufzuheitern. Vier Jahre verlebten sie so<br />
miteinander, als Ortolf wegen Versetzung seines Vaters in eine ferne Stadt aus der Anstalt<br />
treten und sich <strong>von</strong> seinem Freunde trennen mußte.<br />
Beide sahen sich nun mehrere Jahre nicht mehr. Ortolf trat später in die Armee und ward<br />
Offizier; Adalbert studierte Medizin, und erst jetzt, nachdem er sich den Doktorhut geholt,<br />
suchte er seinen Jugendfreund wieder auf, der ihn zu einer kleinen Erholungsreise in seine<br />
Heimat einlud, und hier, in Ortolfs Geburtsort, in Eschlkam, gesellten wir uns zu beiden,<br />
treuen Freunden. – –<br />
Ortolf verweilte in stiller Andacht am Grabe seiner Schwester. Vor seiner Seele glitten<br />
längst vergangene Tage vorüber, schöne Tage der Jugend, welche er in der Heimat verlebte,<br />
die er so innig geliebt. Die Trennung <strong>von</strong> derselben war ihm einstens so schwer geworden, um<br />
so schwerer, als sein kleines Schwesterlein kurz vorher begraben ward. Wie schmerzlich hatte<br />
er sich <strong>von</strong> den lieben Bergen und dunklen Wäldern verabschiedet, in denen er so viele<br />
Lieblingsplätzchen hatte, wo er oft geträumt <strong>von</strong> künftigen Heldenthaten, sich zum Könige<br />
und Kaiser oder gar zum Papste erhob, und in seiner Phantasie Gnaden und Ehren ausgeteilt;<br />
wo er so gerne dem Gesange der kleinen Waldbewohner gelauscht, als hätte er alles<br />
verstanden, was sie so lieblich in den grünen Wald hineinriefen. Er glaubte es auch zu<br />
verstehen, so bekannt wurde er mit ihnen, und als er sie zum letzten Male besuchte und ihnen<br />
Lebewohl sagte, da schien ihr Gesang so gar traurig zu sein, sie flatterten so nahe an ihn<br />
heran, als wollten sie alle nochmals <strong>von</strong> ihm gesehen und begrüßt sein. –<br />
Alle Personen, denen er einstens näher stand, stellten sich jetzt vor seinen Geist. Er<br />
gedachte seiner Gespielen und Gespielinnen und freute sich auf ihr nun baldiges<br />
Wiedersehen, als er plötzlich neben sich die Irre gewahrte, die <strong>von</strong> ihm unbemerkt, schon<br />
längere Zeit dastand, und ihn aufmerksam betrachtete. Als ihr Ortolf jetzt ins Gesicht sah,<br />
schienen es ihm bekannte Züge zu sein, die Züge seiner ehemaligen Gespielin und der<br />
Busenfreundin seines Schwesterleins, und mit Erstaunen das Mädchen betrachtend, rief er:<br />
„Julchen, bis du’s denn wirklich?“<br />
Die Irre antwortete mit einem lauten, unheimlichen Gelächter, und forteilend verschwand<br />
sie hinter der Kirche dem Auge des Ueberraschten.<br />
„Sie ist’s!“ rief Ortolf, und schon wollte er ihr nacheilen, als die Kirchenthüre geöffnet, und<br />
durch die sich herausdrängenden Leute sein Interesse neu in Anspruch genommen ward. Da<br />
sah er viele bekannte Gesichter, viele seiner Schulkameraden, die nun auch wie er so groß und<br />
männlich waren, manches blühende Mädchen, das er als Kind verlassen, und nun als schöne<br />
Jungfrau wieder sah. O, er kannte gar viele und es pochte ihm das Herz bei diesem<br />
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