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Das Fräulein von Lichtenegg

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Maximilian Schmidt <strong>Das</strong> <strong>Fräulein</strong> <strong>von</strong> <strong>Lichtenegg</strong><br />

„Wie gewaltig drohend und doch zugleich wie wunderbar schön ist dieses Gewitter!“ rief<br />

Ortolf. „Sieh, sieh, dieser Zickzack des Blitzes! Und wie der Donner brüllt! Nur zu! Immer<br />

zu!“<br />

Der Hund winselte und kroch zu seinem Herrn; Veitl bekreuzte sich bei jedem Blitze und<br />

murmelte sein Stoßgebetlein her. Die Wolken wurden schwärzer; näher und immer näher<br />

rollte der Donner. Einige schwere Tropfen fielen hernieder; Blitz folgte auf Blitz und das<br />

geblendete Auge konnte kaum mehr sein wildes Feuer ertragen. Die Dunkelheit verschwand,<br />

und im bläulich-roten Lichte erblickte man das ganze Gebirge in zauberischer Pracht. <strong>Das</strong><br />

Gewitter nahm seine verderbenschwerste Gestalt an; der Donner brüllte fürchterlich und der<br />

Sturm brachte ein tausendstimmiges, unheimliches Weheklagen hervor, als riefen die Bäume,<br />

zitternd <strong>von</strong> der Krone bis zu den Wurzeln, um Gnade zum Allerbarmer.<br />

Plötzlich sprang der Hund auf und blickte stier nach dem entgegengesetzten Teile des<br />

Walles. Im gleichen Augenblick schrie Veitl, sich bekreuzend: „Jesus, Maria und Joseph!“<br />

„Was giebt’s?“ riefen die Männer.<br />

„Dort, dort! Sehen Sie denn nicht?“<br />

„Was?“ fragten alle.<br />

„<strong>Das</strong> Burgfräulein! Wir sind verloren!“<br />

Alle sahen nach der bezeichneten Stelle und zu ihrem nicht geringen Erstaunen, zu ihrem<br />

Entsetzen, erblickten sie in geringer Entfernung ein hohe weibliche Gestalt in einem lichten<br />

Gewande, mit langen, fliegenden Haaren. Sie schien am Walle hinzuschweben, sich oft in den<br />

tiefen Graben hinabneigend, dann wieder vor- und rückwärts eilend, gerade als suche sie<br />

etwas.<br />

Es war keine Täuschung; denn wenn der Donner weniger arg rollte, glaubten sie einzelne<br />

Töne eines Gesanges zu hören. Einige Momente entschwand sie den Augen der Männer,<br />

wenn die zwischen den leuchtenden Blitzen eintretende Dunkelheit sie wieder umgab. Ein<br />

nächster Strahl, der Himmel und Erde feurigrot färbte, zeigte ihnen aber wieder die<br />

herannahende Erscheinung. In ängstlichem Zweifel blickten die Männer nach derselben. Alle<br />

befiel unwillkürlich ein unheimliches Grauen. Bei jedem neuen Blitze zeigte sich die<br />

Erscheinung näher.<br />

„Was es auch sei!“ rief der Doktor, „laßt uns ihr entgegen gehen.“<br />

In diesem Augenblicke zuckte ein Blitz gerade oberhalb der Ruine und beleuchtete eine<br />

Frauengestalt. Ein Schreckensruf drang durch die Luft. Die Erscheinung eilte rückwärts.<br />

Adalbert stieß einen leisen Schrei aus, und eilte der Flüchtigen nach. Die anderen, bis auf<br />

Veitl, folgten ihm.<br />

In wenigen Augenblicken hatten sie die Flüchtende erreicht. Sie wollte sich mit einem<br />

entsetzlichen Schrei soeben über den Wall in den tiefen Abgrund hinabstürzen, als sie<br />

Adalbert mit kräftiger Hand zurückriß. Ein neuer Schrei des Entsetzens – und in seinen<br />

Armen hielt Adalbert einen weiblichen, totenähnlichen Körper.<br />

„Julchen!“ rief er. „Es ist das irre Julchen; ich täuschte mich nicht.“<br />

„Ist sie tot?“ fragte Ortolf.<br />

„So Gott will, nur ohnmächtig,“ antwortete Adalbert zitternd.<br />

„Hat mich das Ding erschreckt!“ rief der Doktor, leichter atmend. „Doch hier ist Hilfe nötig;<br />

schnell mit dem Mädchen in das Gemäuer.“<br />

Adalbert trug sie auf seinen Armen dahin.<br />

„Herr Jeses, was treibt ihr?“ rief ihnen Veitl entgegen. „Gott sei mit uns!“<br />

„Die Weinflasche herbei!“ sagte der Doktor, „das Burgfräulein ist erlöst. Veitl, überzeuge<br />

dich selbst, es ist nur das irre Julchen!“<br />

Der Regen fiel nun mit größter Gewalt herab und das Gewitter entfernte sich mit derselben<br />

Schnelle, als es herangekommen. Die Männer, im Gemäuer gut geschützt, waren alle um die<br />

Ohnmächtige beschäftigt. Veitl machte ein kleines Feuer an, wozu er vorsorglich schon einige<br />

Aeste in die Ruine geschleppt hatte, und die Flamme beleuchtete eine schöne Gruppe.<br />

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