Das Fräulein von Lichtenegg
Das Fräulein von Lichtenegg
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Maximilian Schmidt <strong>Das</strong> <strong>Fräulein</strong> <strong>von</strong> <strong>Lichtenegg</strong><br />
gefördert hat. So hören Sie denn ein Geschichtchen <strong>von</strong> der schlauen Wirtin <strong>von</strong><br />
Schwarzenberg:<br />
„Die Großmutter des jetzigen Wirtes <strong>von</strong> Schwarzenberg war eine äußerst witzige Frau und<br />
unter anderem erzählt man sich <strong>von</strong> ihr auch folgendes: Der Gerichtshalter eines nahen<br />
herrschaftlichen Gutes ward einstens vom Wirte in Schwarzenberg, als er eben da Amtstag<br />
hatte, ehrerbietigst eingeladen, bei ihm einen gebratenen Koppen (Huhn) zu verspeisen. Der<br />
Mann der Gerechtigkeit, welches diese Pflicht mit besonderer Vorliebe ausübte, wenn es sich<br />
um eßbare Angelegenheiten handelte, sagte bereitwilligst zu und versprach nach beendigten<br />
Geschäften sogleich zu erscheinen. Der Wirt befahl seiner Frau, zwei schöne Koppen zu<br />
braten, einen für den Gast und einen für ihn, um dem Herrn Gesellschaft leisten zu können,<br />
und legte ihr ans Herz, ja all ihre Kochkunst aufzuwenden, um damit eine Ehre einzulegen.<br />
„Die Wirtin that, wie ihr befohlen, stach die schönsten Koppen, richtete sie aufs beste zu,<br />
und hatte ihre Freude daran, so oft sie dieselben aus der Röhre herausnahm; denn sie wurden<br />
so hübsch braun und sahen so appetitlich aus, daß man ordentlich ein Gelüste darnach<br />
bekommen mußte. So konnte die Wirtin auch nicht umhin, ein Schenkelchen da<strong>von</strong> zu<br />
verkosten. Es war superb und schmeckte nach einem zweiten. Die Wirtin konnte sich dieses<br />
nicht versagen. Der eine, dachte sie, gehört ja ohnedies für meinen Mann, und der wird’s so<br />
genau nicht nehmen. Die Koppen kamen wieder in die Röhre, und wurden immer schöner und<br />
schöner; aber der eine da<strong>von</strong> auch immer kleiner und kleiner; denn so oft die Wirtin ihre<br />
Opfer besah, schnitt sie ein Stückchen ab, und statt zweien war bald nur noch einer derselben<br />
vorhanden.<br />
„Mein Mann, dachte die gelüstige Frau, muß heute schlechterdings auf seinen Teil<br />
verzichten; der Herr Gerichtshalter wird ja doch hinreichend befriedigt werden. Aber, wie’s<br />
halt oft der Teuxel will, kaum, daß sie selbst wußte, was sie that, war <strong>von</strong> dem zweiten<br />
Koppen auch wieder ein Schenkelchen abgerissen und verzehrt; darauf folgte ein Flügerl und<br />
in kurzer Zeit war auch dieser den Weg des ersten gewandert.<br />
„Aber was jetzt beginnen! Der Amtstag war aus und schon kam der Wirt in die Küche<br />
gelaufen.<br />
„Frau,“ rief er, „sind die Koppen fertig? Der Herr Gerichtshalter kommt gleich nach?“<br />
„O, die sind prächtig gebraten!“ entgegnete die junge Frau. Hol nur zwei Messer; aber<br />
schleif sie erst nochmals ab, damit sie tüchtig zum Tranchieren taugen.“<br />
„Der Wirt that, wie die Frau befohlen. Inzwischen kam der Gerichtshalter und sagte zur<br />
Wirtin, daß er nun so frei sei, <strong>von</strong> der Einladung Gebrauch zu machen, und gab die<br />
Versicherung, daß er mit dem besten Appetit ausgerüstet sei. Die pfiffige Frau schlug aber die<br />
Hände über dem Kopf zusammen und brach in die entsetzlichsten Klagetöne aus:<br />
„Ach, Herr Gerichtshalter!“ rief sie, „dieses Unglück, dieses Unglück!“<br />
„Ja, was ist denn geschehen?“ fragte der erstaunte Herr.<br />
„Denken Sie sich nur,“ antwortete die Frau, „mein Mann ist plötzlich närrisch geworden!<br />
Gerade kam er nach Hause, verlangte zwei Messer und – o Herr, ich getraue mir’s kaum zu<br />
sagen – er will Ihnen damit die Ohren abschneiden. Gerade schleift er die Messer, und wenn<br />
er Sie sieht, so giebt’s ein Unglück!“<br />
„Was?“ rief der überraschte Gast, „die Ohren will er mir abschneiden? Adieu, Frau Wirtin!“<br />
Und in größter Eile verließ er das Haus.<br />
Jetzt kam der Wirt mit den geschliffenen Messern.<br />
„Wo sind die Koppen?“ fragte er.<br />
„Da sieht’s schlecht aus,“ antwortete die Frau und zum Fenster hinweisend, fuhr sie fort:<br />
„Siehst du dort den Herrn Gerichtshalter laufen? Alle zwei hat er mitgenommen, um sie zu<br />
Hause zu verspeisen.“<br />
„Wär nicht übel!“ rief der Wirt. „Alle zwei gleich? Einen muß er dalassen, geht’s wie’s<br />
will!“<br />
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