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Das Fräulein von Lichtenegg

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Maximilian Schmidt <strong>Das</strong> <strong>Fräulein</strong> <strong>von</strong> <strong>Lichtenegg</strong><br />

II.<br />

Ortolf stand mit entblößtem Haupte da. In seinem Herzen empfand er jene freudige Wonne,<br />

welche man empfindet, wenn man nach langer Trennung eine liebe, teure Person begrüßt;<br />

aber heiliger war dieses Gefühl, denn es war ein geistiges Begrüßen einer längst entflohenen<br />

Seele, einer geliebten Schwester, deren Ueberreste das Grab barg, vor dem er leise betete.<br />

Dieses Gebet ist so wohlthuend; in solchen Augenblicken umschweben uns die Geister<br />

derjenigen, die wir liebten, und indem sie uns mit ihrem himmlischen Segen beglücken,<br />

träufeln sie wunderbare Ahnungen in das zweifelnde Herz, und es erfaßt uns innige Sehnsucht<br />

nach jener Vereinigung, welche des Menschen schönsten, erhabensten Teil bildet.<br />

Ortolfs Geist wurde lebhaft zurückgeführt in die Zeit seiner Kindheit, wo ihm die Schwester<br />

eine liebe Gespielin gewesen. Sein Vater war Beamter am hiesigen Zollamte, wurde aber, als<br />

Ortolf 15 Jahre zählte, weit nach Norden versetzt, und nach vielen Jahren besuchte dieser zum<br />

ersten Male wieder seinen Geburtsort, um hier einige Wochen bei seinem Taufpaten, dem<br />

Pfarrer des Ortes, zu verweilen und der Heimat Freuden zu genießen. Ein lieber Freund<br />

begleitete ihn, der, fremd und zum ersten Male hier, nie geahnte Schicksale erleben sollte.<br />

Ortolf und Adalbert lernten sich im Institute zu Metten kennen. Ganz verschieden <strong>von</strong><br />

Gemüt, hatten doch die Knaben eine innige Neigung zu einander Ortolf war mutwillig,<br />

ausgelassen, aber auch hochherzig und edeldenkend, während Adalbert ruhig, mehr für sich<br />

lebend und zu stiller Betrachtung geneigt war. Ortolf strotze vor Gesundheit; aber Adalberts<br />

Gesicht war blaß und aus seinen schönen, dunklen Augen löste sich manche Thräne, wenn er<br />

sich allein glaubte.<br />

Adalbert Woogen hatte keine Eltern mehr. Sein eigentlicher Name wäre Baron Werrfels<br />

gewesen; doch führte er den Namen seiner Mutter. Diese war die einzige Tochter eines<br />

reichen Kaufmannes und schenkte ihr Herz einem fremden Edelmanne, welcher längere Zeit<br />

in ihrer Vaterstadt verweilt und dem jungen Mädchen die innigste Liebe zugeschworen hatte.<br />

Er nannte sich Adalbert Baron <strong>von</strong> Werrfels, und gab vor, ein großartiges Gut Namens<br />

Werrfels an der polnischen Grenze zu besitzen, für welches er eine Herrin brauche, die er in<br />

der jungen Woogen gefunden zu haben glaubte.<br />

Werrfels war ein Mann <strong>von</strong> den einnehmendsten Manieren, der überall einen guten ersten<br />

Eindruck zu machen verstand, und so gab ihm der alte Woogen gerne die Einwilligung zu<br />

einer Vermählung mit seiner Tochter, welche, mit einer bedeutenden Mitgift beschenkt,<br />

sodann mit ihrem Gatten nach dem Gute Werrfels abreiste.<br />

Aber so schön Werrfels’ Aeußeres, so schön und glaubwürdig seine Worte schienen, so<br />

häßlich war sein innerer Mensch. Er spielte nur Komödie und die Rolle des ehrlichen Mannes<br />

hatte er so gut studiert, daß er jedermann geschickt zu täuschen verstand. Ihm war es nicht um<br />

das Herz, sondern um das Geld des betrogenen Mädchens zu thun. <strong>Das</strong> Gut Werrfels war in<br />

äußerst schlechtem Zustande, und eine große Summe mußte zu dessen Herstellung verwendet<br />

werden; außerdem war dasselbe völlig verschuldet, und der Baron war hier nicht mehr der<br />

aufmerksame Liebhaber, sondern der leichtsinnige Verschwender des Vermögens seiner Frau.<br />

Nachdem dieses in kurzer Zeit verbraust, und der alte Woogen, der durch eine unglückliche<br />

Spekulation fast sein ganzes Vermögen verlor, nicht mehr nachhelfen konnte, mißhandelte er<br />

das arme Weib, das ihm erst einen Knaben geschenkt hatte, und verließ es endlich ganz, vor<br />

seinen Gläubigern die Flucht ergreifend.<br />

Die arme, getäuschte Frau reiste mir ihrem Kinde zu ihrem alten Vater zurück, und erlag<br />

kurze Zeit darauf dem Schmerze über ihr zertrümmertes Glück.<br />

Von Werrfels erfuhr man bloß, daß er nach Italien geflohen und sich dort unter einem<br />

anderen Namen an den damaligen politischen Wirren beteiligt, und wahrscheinlich seinen<br />

Tod gefunden habe. Des elternlosen Kindes nahm sich eine Tante der Woogen an, und erzog<br />

es mit der Liebe einer Mutter. Der alte Woogen, der, durch diese Unglücksfälle tief gebeugt,<br />

4

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