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Das Fräulein von Lichtenegg

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Maximilian Schmidt <strong>Das</strong> <strong>Fräulein</strong> <strong>von</strong> <strong>Lichtenegg</strong><br />

achteten sie es auch nicht weiter, als ihnen noch allerlei Schreckbilder, bald tierähnlich, bald<br />

menschlicher geformt, in den Weg traten, und sie erreichten den Gipfel, ohne daß ihnen ein<br />

Haar gekrümmt worden wäre. Hier sahen sie wenige Schritte vor sich, hell <strong>von</strong> der noch<br />

immer lodernden Flamme erleuchtet, ein kesselartiges Gefäß, das bis zum Rande mit<br />

funkelnden Goldmünzen gefüllt war. Eben wollte der Hirte vortreten, um, wie ihm die<br />

Jungfrau geboten, den Schatz zu erfassen, da wankte der Boden unter ihm, und <strong>von</strong><br />

unterirdischer Kraft gehoben, wich ein mächtiger Felsblock polternd <strong>von</strong> seinem Platze. Aus<br />

der Oeffnung, die sich gebildet, kroch ein scheußlicher Lindwurm hervor, und ringelte seines<br />

Leibes endlos gestreckte Glieder dreimal um den Gipfel des Burgstalls herum, einen<br />

furchtbaren Schutzwall vor dem gefährdeten Mammon auftürmend. <strong>Das</strong> Erscheinen dieses<br />

Ungeheuers setzte die Herzhaftigkeit der guten Mönche auf eine zu harte Probe. Sie glaubten<br />

sich schon gepackt <strong>von</strong> den scharfen Zähnen des Drachen und purzelten mehr, als sie liefen,<br />

den steilen Abhang hinunter. Dem Hirten, der sich <strong>von</strong> seinen Helfern verlassen sah, blieb<br />

nichts anderes übrig, als ihnen zu folgen. Wohl vernahmen sie hinter sich eine Stimme der<br />

Jungfrau, welche in kläglichen Lauten zum Ausharren ermahnte; aber die Flüchtlinge waren<br />

nicht mehr zum Stehen zu bringen. Nur einmal hatte der Hirt umzuschauen gewagt und<br />

gesehen, wie der Gipfel des Berges sich spaltete und in seinem weiten Risse die Schatztruhe<br />

wieder verschlang. Darauf erhob sich ein tausendstimmiges Geheul, welches ihm das Blut in<br />

den Adern gerinnen machte. Es war das Hohngelächter der Hölle.“ 13<br />

Der Doktor hatte seine Erzählung vollendet und die Gesellschaft ihm aufmerksam zugehört.<br />

„Derartige Sagen finden Sie in hiesiger Gegend in unzählbarer Menge, wie sie vielleicht kein<br />

anderes Land aufzuweisen hat. Aber jetzt lassen Sie uns – die Sonne ist ihrem Untergange<br />

nahe – nochmals eine Rundschau machen.“<br />

Sie genossen nochmals den herrlichen Anblick, und als sich im Westen die Sonne<br />

hinabsenkte und das Firmament glühend erhellte, als die Gewässer feurig widerstrahlten und<br />

die ganze Gegend in feenhafter Beleuchtung sich dem erstaunten Auge zeigte, da fühlten sie<br />

sich wonnig berauscht <strong>von</strong> dem herrlichen, entzückenden Anblicke, und in freudiger<br />

Begeisterung stimmten sie frohe Lieder an und riefen wiederholt: „Es lebe der schöne,<br />

bayerische Wald!“<br />

X.<br />

Eine kleine Stunde <strong>von</strong> Burgstall entfernt liegt auf einem kegelförmigen Vorberge, welcher<br />

gleichsam den Vorposten des Hohenbogens bildet, die Ruine <strong>Lichtenegg</strong>. Ein hoher<br />

Wachtturm, auf dessen Zinnen Tannenbäume gewachsen sind, nebst einem kleinen<br />

viereckigen Gemäuer und anderen noch ansehnlichen Mauertrümmern sind die Ueberreste<br />

einer einst so bedeutenden Burg wie <strong>Lichtenegg</strong>. Die Ruine umgiebt im Süden und Westen<br />

ein Vorhof, Wall und tiefer Graben, <strong>von</strong> welchem freilich die Vegetation längst Besitz<br />

genommen hat, und wo sonst Ritter und Rosse sich tummelten, führen jetzt die Tannen ihr<br />

stilles Pflanzenleben. Nördlich und östlich hat die Natur für die Verteidigung gesorgt; denn<br />

ein ungeheurer Felsen zieht sich hier in fast senkrechter Richtung in die schauerliche Tiefe<br />

hinab, welche das Teufelsloch genannt wird. Die Burg ist rings <strong>von</strong> Wald umgeben, und<br />

deshalb ungemein düster; gleichwohl hat man auf den Ueberresten des auf einem kolossalen<br />

Felsen stehenden Turmes eine hübsche Aussicht in das Cham- und Regenthal hinein.<br />

Unbezweifelt war die Burg in den frühesten Tagen im Besitze der Grafen <strong>von</strong> Bogen und es<br />

waren demnach die hier sitzenden <strong>Lichtenegg</strong>er Dienstmannen dieser Dynasten. Im Jahre<br />

1300 verkaufte Heinrich <strong>von</strong> <strong>Lichtenegg</strong> die Veste an die Herzöge <strong>von</strong> Niederbayern.<br />

13 Siehe Adalbert Müllers Bayerwald.<br />

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