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Das Fräulein von Lichtenegg

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Maximilian Schmidt <strong>Das</strong> <strong>Fräulein</strong> <strong>von</strong> <strong>Lichtenegg</strong><br />

„Derartige Sagen leben im Volke,“ erzählte der Doktor weiter, „und ich weiß <strong>von</strong> dem<br />

Fischer, dessen Veitl erwähnte, die darauf bezügliche Ballade, welche mein Further<br />

Landsmann, Adalbert Müller, der Pionier des bayerischen Waldes gedichtet. 11<br />

„Aber, meine Herren!“ rief er jetzt. „Wir plaudern da <strong>von</strong> entfernten Plätzen, während<br />

unsere nächste Umgebung so viel interessanten Stoff bietet. Lassen Sie und die Rundschau<br />

machen!“<br />

Somit führte er sie rings herum und benannte ihnen alle wichtigen Punkte. Von jedem<br />

wußte er etwas zu erzählen; denn jeder hatte seine Geschichte, besonders aus den Zeiten der<br />

Schweden her. Veitl ergänzte vieles und zitierte das alte Volkslied:<br />

Der Schwed’ ist kommen,<br />

Hat alles mitg’nommen,<br />

Hat d’ Fenster eing’schlag’n,<br />

Hat’s Blei ’rausgrab’n,<br />

Hat d’ Kugeln d’raus gossen,<br />

Und d’ Bauern erschossen.<br />

Die Männer kamen jetzt an den hinteren Rand des Burgstallkegels, wo sich die Aussicht auf<br />

das ganze bayerische Waldgebirge eröffnete, das sich in seiner eigentümlichen Schönheit und<br />

in unübersehbarer Weite nach allen Richtungen hin erstreckt. In geringer Entfernung vom<br />

Burgstall ragt aus dem dunklen Walde eine hohe Ruine über die Wipfel der Tannen empor,<br />

deren Anblick bei der schauerlichen Stille des Gebirges einen eigentümlichen Eindruck<br />

verursacht.<br />

„Dies ist die Ruine <strong>von</strong> <strong>Lichtenegg</strong>,“ sagte der Doktor, „wo wir, dem Wunsche Ortolfs<br />

entsprechend, unser heutiges Nachtquartier aufschlagen werden.“ Veitl bekreuzte sich<br />

verstohlenerweise.<br />

„<strong>Das</strong> Teufelsloch,“ fuhr der Doktor weiter, „trennt uns <strong>von</strong> dem Berge, auf welchem die<br />

Ruine steht. Ich weiß den Weg dorthin genau, und wir werden hier oben den<br />

Sonnenuntergang abwarten, ehe wir unser Nachtlager beziehen, um frühestens bei der Hand<br />

zu sein, wenn Helios seine feurigen Rosse wieder aufwärts lenkt.“<br />

„Aber wir könnten ja recht gut die Nacht da oben zubringen,“ meinte Veitl. „Ich würde den<br />

Herren eine prächtige Hütte bauen.“<br />

„Nichts da!“ rief Ortolf, „das wäre nichts weniger als romantisch. Aber ein Nachtaufenthalt<br />

in der Ruine dort, das ist etwas Pikantes, und wir sind ja nicht die ersten, die es so machen.<br />

Früher –“<br />

„Gott’s Lohn!“ unterbrach ihn Veitl, „früher war es eine andere Sache; aber jetzt –“<br />

„Spukt’s dort unten, nicht wahr?“ fiel lachend der Doktor ein. „Dummes Zeug das! Es giebt<br />

in unserer Gegend Leute, welche <strong>von</strong> nichts als Gespenstern träumen und in jeder Fledermaus<br />

eine übernatürliche Erscheinung erblicken. <strong>Lichtenegg</strong> hat eben auch, wie jede andere Burg,<br />

sein Hausgespenst und dieses ist das Burgfräulein. Kampierte schon öfters dort, habe aber<br />

noch keine Spur <strong>von</strong> ihn entdeckt. Veitl, jetzt bringe unsere Taschen her; ich glaube, die<br />

Herren werden hungrig und durstig sein. Der Anblick dieser Umgegend, so schön er auch ist,<br />

sättigt doch unsere Mägen nicht.“<br />

Die kleine Gesellschaft lagerte sich hinter einem Felsenstücke, um vor der Sonne geschützt<br />

zu sein, und erquickte sich an gutem Flaschenbier, welches Veitl aus dem Pfarrhofe<br />

mitgeschleppt hatte.<br />

„Es lebe der Wald, der bayerische Wald!“ rief der Doktor! und die anderen stimmten in ein<br />

dreimaliges Hoch mit ein.<br />

„Laßt uns ein Feuer anzünden,“ sagte Ortolf, „damit die Bewohner da unten auch wissen,<br />

daß hier oben eine lustige Gesellschaft ist!“<br />

11 Siehe in Erzählung „Birgitta“.<br />

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