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Das Fräulein von Lichtenegg

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Maximilian Schmidt <strong>Das</strong> <strong>Fräulein</strong> <strong>von</strong> <strong>Lichtenegg</strong><br />

„Und das kleine Glöcklein muß eine volle Stunde gezogen werden, sobald ich sterbe, und<br />

bei meiner Leiche müssen alle Glocken läuten, hörst du’s, alle Glocken, sonst geh ich zum<br />

Pfarrer, und der wird dich dazu schon zwingen!“<br />

„<strong>Das</strong> wird alles geschehen, Julie!“ erwiderte der Kantor besänftigend. „Warum bist du mir<br />

denn heute gar so böse? Ich lasse dir ja alle Glocken ziehen, wenn du stirbst und sechs<br />

Aemter sollen dir gelesen werden, wo gepaukt und trompetet wird.“<br />

„Aber gewiß, Kantor? Sechs Aemter und alle Glocken?“<br />

„Ganz gewiß. Nur wird es bis dahin noch Zeit haben. Erst müssen wir dir ein Hochzeitamt<br />

halten, wie in Eschlkam noch keines war, ein Hochzeitamt, hörst du? Denn du wirst wieder<br />

gesund und bist ein braves Mädchen, das bald einen Bräutigam hat.“<br />

„Hochzeit?“ fragte Julchen, nun wieder ganz beruhigt. „Wann ist meine Hochzeit?“<br />

„Ich denke bald,“ antwortete der Kantor; „du siehst ja heute schon ganz einer Hochzeiterin<br />

gleich mit dem schönen Kranze im Haare und den Buschnelken auf der Brust. Du lachst?<br />

Nun, so laß uns halt wieder gut sein, und willst du mit mir gehen, pflücke ich dir in meinem<br />

Garten einen schönen Strauß.“<br />

„Einen Strauß?“ fragte Julchen erfreut. „So komm, Kantor, pflück mir einen Strauß <strong>von</strong><br />

roten, blauen, weißen und gelben Blumen; denn ich bin ja eine Hochzeiterin, nicht wahr?“ –<br />

Bei dieser Frage erblickte die Irre die beiden Freunde und ihre Augen schienen an Adalbert<br />

gebannt zu sein. Jetzt bemerkte auch der Kantor die beiden Männer und rief: „Schönen guten<br />

Morgen, meine Herren! Es war mir leider noch nicht möglich, eher meinen Gruß anzubringen;<br />

an Montagen giebt’s für mich immer viel in der Kirche zu ordnen, und bei mir soll es an<br />

nichts fehlen. Doch, wie haben die Herren geruht? Hoffentlich –“<br />

„Aufs beste, Herr Kantor,“ entgegnete Ortolf, „und wir wünschen Ihnen gleiches. Aber was<br />

hatten Sie denn mit Julchen für einen Wortwechsel? Grüß dich Gott, Julchen!“<br />

Julchen verwandte kein Auge <strong>von</strong> Adalbert. Nachdem sie ihn eine Weile stier angeschaut,<br />

ging sie auf ihn zu und sagte lächelnd: „Gieb mir Blumen!“<br />

„Komm in den Garten herein, und du sollst aufs schönste geschmückt werden,“ entgegnete<br />

Adalbert.<br />

Der Kantor benützte schnell diese Gelegenheit, die Irre los zu werden, und rief: „Ei,<br />

Julchen, da beeile dich ja; der Herr Doktor giebt dir einen schöneren Strauß, als ich in<br />

meinem Gärtchen zusammenbrächte; komm, beeile dich!“ Damit führte er Julchen in den<br />

Garten, und froh, die Irre los zu sein, verabschiedete er sich <strong>von</strong> den Herren, um, wie er<br />

vorgab, <strong>von</strong> Veronika keinen Verweis zu erhalten, wenn er seine „Wassersuppe und<br />

Scharrnbladeln“ kalt werden ließe.<br />

„Komm doch näher, Julchen,“ sagte jetzt Ortolf zu der Irren, und nachdem sie schüchtern<br />

dieser Aufforderung entsprochen, fuhr er fort: „Kennst du mich nicht mehr? Erinnerst du dich<br />

gar nicht mehr an deinen Jugendfreund, an Ortolf, mit dem du einstens so oft gespielt hast.“<br />

Die Irre schüttelte verneinend mit dem Kopfe.<br />

„Weißt du auch nichts mehr <strong>von</strong> deiner Jugendgespielin Tina?“<br />

„Sind alle tot,“ antwortete sie jetzt schnell, „alle tot; man kümmert sich nicht mehr um<br />

Julchen! Die <strong>Lichtenegg</strong>er Frau hat meinen Vater geheiratet; meine Mutter war die<br />

Brautmutter und meine Schwester die Kranzljungfer, und alle haben mit dem Beinelmann<br />

getanzt und dann ging’s: Bum, bum! Tief hinab!“ Und sich an Adalbert wendend, fragte sie:<br />

„Nicht wahr, es ist so? Du warst ja auch dabei und hast es gesehen und hast und hast –“<br />

Julchen hielt in ihrem Satze plötzlich inne.<br />

„Du kennst mich also?“ fragte Adalbert lächelnd.<br />

„Hab ja mit dir getanzt, wie du so blaß geworden bist. Wie ist das nur gewesen?“ Julchen<br />

legte die Hand an die Stirne, als suchte sie einen Gedanken festzuhalten; aber plötzlich brach<br />

sie in ein wahnsinniges Gelächter aus.<br />

„Wo bist du denn diese Nacht gewesen?“ fragte jetzt Ortolf.<br />

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