Das Fräulein von Lichtenegg
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Maximilian Schmidt <strong>Das</strong> <strong>Fräulein</strong> <strong>von</strong> <strong>Lichtenegg</strong><br />
VIII.<br />
Die beiden Freunde gingen Arm in Arm in den mit Blumen eingefaßten Gängen des<br />
Pfarrgartens auf und ab.<br />
„Wie ich dir sagte, Adalbert, wir müssen vor der Hand Geduld haben. Ueber das Knie läßt<br />
sich die Sache nicht abbrechen. <strong>Das</strong> Rittermargerl hat mich nicht vorgelassen, und so müssen<br />
wir wohl die Rückkehr des Pfarrers abwarten, der uns in dieser sonderbaren Angelegenheit<br />
sicher an die Hand gehen wird.“<br />
„Aber bis übermorgen in einer solchen Spannung zu bleiben, ist ja fürchterlich!“ entgegnete<br />
Adalbert. „Ich komme mir in der That wie ein Romanheld vor; das Zusammentreffen solch<br />
sonderbarer Umstände könnte kein Romanschreiber besser zusammendichten.“<br />
„Vielleicht bist du der Alten verwandt, wirst ihr Erbe; Margareth ist reich; gratuliere <strong>von</strong><br />
ganzem Herzen!“<br />
„Ah bah! So freundlich wird sich die Geschichte nicht lösen. Im Gegenteile befürchte ich,<br />
daß die Alte eine Portion Flüche für mich hat, sonst wäre ihr wohl meine Erscheinung und der<br />
Name meines Vaters nicht so schreckenerregend. Mein Vater, der Baron Werrfels, müßte<br />
übrigens, wenn er noch lebte, bedeutend jünger sein, als diese Frau; deshalb kann ich mir<br />
nichts Rechtes zusammenreimen. Allerdings hieß, so viel ich weiß, mein Großvater auch<br />
Adalbert und –“<br />
„Sah dir und deinem Vater gleich und war ein ungetreuer Liebhaber der Margareth,“ fiel<br />
Ortolf lächelnd ein. „Gieb acht, ob nicht derartiges zum Vorschein kommt.“<br />
„Du kannst recht haben,“ entgegnete Adalbert, „aber aufrichtig gestanden, geht mir die<br />
Sache recht nahe zu Herzen, und meine Neugierde ist aufs höchste gespannt.“<br />
„Beruhige dich, Freundchen; ich will es noch versuchen, die alte Ursula, Margareths<br />
Dienerin, ins Gebet zu nehmen. Es ist mir zwar eine unheimliche Person; denn man hält sie<br />
oder hielt sie schon zur Zeit meines Hierseins für eine Drud, welche nachts umherwandern<br />
und die Leute drücken müsse; aber dir zu Liebe kann ich’s mit Druden schon aufnehmen,<br />
selbst auf die Gefahr hin, <strong>von</strong> ihr einmal umarmt zu werden.“ Und lachend fuhr er fort: „Ich<br />
glaube, du hast es vergangene Nacht auch mit einer Drud zu thun gehabt, welcher du vom<br />
Fenster aus noch eine gute Nacht wünschtest.“<br />
„Wie? Du hörtest, wie ich –“<br />
„Wie du in die Nacht hinausphantasiertest!“ fiel ihm Ortolf in die Rede.<br />
„Ich phantasierte nicht; ich sprach mit dem irren Mädchen, das unter meinem Fenster<br />
stand.“<br />
„Wie, Julchen wäre noch zu solcher Stunde auf der Straße gewesen?“<br />
„So ist es; sie kam dort die Straße herauf und mochte mich am Fenster bemerkt haben, da<br />
sie unten stehen blieb und zu mir aufschaute. Ich rief sie an und bekam eine verwirrte<br />
Antwort. Zuletzt sagte sie noch: „Gute Nacht, schlaf wohl!“ und entfernte sich dann, leise<br />
dabei singend, gegen den Markt hinab.“<br />
„<strong>Das</strong> ist sonderbar!“ entgegnete Ortolf. „Was kann die Irre noch in solcher Stunde auf der<br />
Straße wollen? Dies müssen wir dem Pfarrer mitteilen, um dem Mädchen solch nächtliche<br />
Promenaden künftighin unmöglich zu machen.“<br />
„<strong>Das</strong> werden wir nicht thun,“ erwiderte Adalbert. „Unserthalb soll kein Schloß vor ihre<br />
Thüre kommen. <strong>Das</strong> arme Mädchen! Ihr Unglück geht mir so nahe, daß ich unaufhörlich an<br />
sie denken muß!“<br />
In diesem Augenblicke vernahmen die Freunde die Stimme des Kantors und eines<br />
zankenden Mädchens.<br />
„<strong>Das</strong> ist Julchens Stimme!“ rief Adalbert und eilte zum Zaune. Ortolf folgte ihm.<br />
Es war wirklich die Irre, welche am Ende des Gartens dem Kantor lebhaft zusprach.<br />
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