26.12.2012 Aufrufe

Das Fräulein von Lichtenegg

Das Fräulein von Lichtenegg

Das Fräulein von Lichtenegg

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Maximilian Schmidt <strong>Das</strong> <strong>Fräulein</strong> <strong>von</strong> <strong>Lichtenegg</strong><br />

Städel und Speicher, alles Zeugnisse <strong>von</strong> der Wohlhabenheit und dem Ordnungssinne des<br />

Pfarrers.<br />

Nun aber meldete man demselben, daß der Wagen, der ihn zum Dekanate führen sollte,<br />

bereits angespannt sei. Dem Pfarrer, sowie seinen Gästen, war diese kleine Trennung sehr<br />

unwillkommen; aber es war nun einmal nicht zu ändern. Der alte Herr empfahl ihnen, sich in<br />

Furth und auf dem Burgstall ja recht vergnügt zu machen, und außerdem sein Haus ganz für<br />

das ihrige anzusehen. Und schon im Wagen sitzend, rief er nochmals Adalbert zu:<br />

„Nicht wahr, Sie befolgen meinen Rat und gehen dem Rittermargerl aus dem Wege? Die<br />

Alte könnte in Ihnen wieder das Gespenst des Adalbert Werrfels erblicken, und stürbe am<br />

Ende noch darüber!“ – Bei diesen Worten gab er den Pferden einen Hieb und, rasch<br />

abfahrend, hörte er nicht mehr den Ausruf des Erstaunens, der bewies, welch mächtigen<br />

Eindruck die wenigen Worte „Adalbert Werrfels“ auf den jungen Doktor gemacht hatten.<br />

VII.<br />

<strong>Das</strong> letzte Haus des kleinen Marktes, ganz nahe am Chambache, ist das sogenannte<br />

Huthaus. Dieses Gebäude vereint ein wahres Quodlibet <strong>von</strong> gemeinnützigen Zwecken: teils<br />

ist es eine Freiwohnung der wenigen Bettelfamilien <strong>von</strong> Eschlkam; teils dient es als<br />

allgemeines Krankenhaus, und endlich befindet sich in demselben das Gefängnis der vom<br />

Magistrate abgehandelten Individuen. Dieses Gebäude ist klein, besitzt nur eine<br />

Parterrewohnung <strong>von</strong> vier Zimmern, und doch dient es mehr als zwanzig Personen zum<br />

Aufenthalte.<br />

In dem vorderen Zimmer, das für Kranke bestimmt ist, wohnte das irre Julchen. Die große<br />

Ordnung und Reinlichkeit, welche in diesem kleinen Raume herrschte, hätte einen<br />

oberflächlichen Besucher nimmer auf die Vermutung gebracht, daß er sich in der Wohnung<br />

einer irren Person befände. An dem mit Eisenstangen vergitterten Fenster standen mehrere<br />

Buschnelkenstöcke, welche gerade im herrlichsten Flore waren und mit ihrem angenehmen<br />

Dufte das Zimmer erfüllten. Eine gelb angestrichene Kommode, ein Bett, ein Tisch und zwei<br />

Sessel bildeten das bescheidene Mobiliar.<br />

Julchen ist eben beschäftigt, ihre Kommode aus- und einzuräumen. Wohl zehnmal hatte sie<br />

die verschiedenen Stücke heraus- und hineingelegt, und so oft sie damit fertig, fing sie immer<br />

wieder <strong>von</strong> neuem ihre einförmige Arbeit an. Sie schien etwas zu suchen; denn mit Begierde<br />

öffnete und schloß sie einige Schachteln, bis endlich ein freudiger Ausruf bewies, daß der<br />

erwünschte Gegenstand gefunden sei. Es war ein alter, zerknitterter Kranz <strong>von</strong> gemachten<br />

Blumen, welchen sie behutsam hervornahm und womit sie triumphierend zu dem kleinen<br />

Spiegel eilte. Den Kranz in die Haare und einige Nelken vor die Brust steckend, sprang sie<br />

dann mit kindlicher Freude im Zimmer herum. Jetzt aber hielt sie plötzlich inne, nahm eine<br />

ernsthafte Miene an, legte sich auf das Bett, die Arme über die Brust kreuzend, schloß die<br />

Augen und lispelte: „Tot, tot!“ und unbeweglich, einer wirklich Toten ähnlich, blieb sie so<br />

liegen.<br />

<strong>Das</strong> arme Mädchen mochte ahnen, daß es der Tod mit seinen Lieben vereine, die ihr ein<br />

grausames Schicksal so schnell geraubt, und vielleicht schwebten in diesem Augenblicke<br />

Mutter, Schwester und Vater geistig um sie; denn ein frohes Lächeln umspielte ihre Lippen.<br />

Julchen war wirklich schön. Ihr blasser, zarter Teint, die langen, dunklen Augenwimpern,<br />

die großen, dunklen Augen, das üppige, lange schwarze Haar, das hinten in zwei einfache<br />

Zöpfe geflochten, über ihre wohlgeformten Schultern herabhing, der kleine Mund, welcher<br />

hinter fein geschnittenen Lippen zwei Reihen blendend weißer Zähne verbarg und überhaupt<br />

ihre ganze Erscheinung war geeignet, Aufmerksamkeit und Bewunderung zu erregen, wozu<br />

sich ein aufrichtiges Bedauern über ihr unglückliches Los gesellte. Sie war der Liebling ihrer<br />

braven Mutter gewesen. In ihrer unschuldigen Heiterkeit verjagte sie stets den Trübsinn der<br />

30

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!