Das Fräulein von Lichtenegg
Das Fräulein von Lichtenegg
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Maximilian Schmidt <strong>Das</strong> <strong>Fräulein</strong> <strong>von</strong> <strong>Lichtenegg</strong><br />
Großaigen, Kleinaigen mit seinem ruinösen Pflegerschlosse, 7 Ritzenried, Schwarzenberg und<br />
eine Menge andere kleine Orte. Weiter entfernt sieht man einen Teil der Stadt Furth, Oed und<br />
Herzogau, die Klosterkirche <strong>von</strong> Neukirchen zum heiligen Blut, woselbst Herzog Maximilian<br />
<strong>von</strong> Bayern 1620 sein Gebet verrichtete, bevor er mit seiner Armee die böhmische Grenze<br />
überschritt, um dann die siegreiche Schlacht am weißen Berge bei Prag zu schlagen,<br />
Neumark, den Tannaberg und den Riesenberg mit seiner hellleuchtenden Burgruine in<br />
Böhmen, und noch manch anderen mehr oder minder bedeutungsvollen Ort in dem breiten<br />
Passe <strong>von</strong> Neumark, der <strong>von</strong> hier aus vollständig übersehen werden kann.<br />
Während Ortolf dies alles mit Vergnügen beschaute und begrüßte, herrschte ringsumher<br />
noch eine tiefe Morgenstille, welche nur durch das Geklapper naher und entfernter Mühlen<br />
unterbrochen ward. Aber bald belebten sich die nahen Felder mit Arbeitern; aus den<br />
Ortschaften tönte das Jodeln lustiger Burschen und Mädchen; die Glocken und Glöckchen<br />
<strong>von</strong> nah und fern wurden zum Morgengebet (Ave Maria) geläutet, und welches gefühlvolle<br />
Herz sollte in solchen Augenblicken nicht warm erregt werden? Es war ja die Heimat, welche<br />
Ortolf in ihrem schönsten Morgenkleide erblickte, und indem er sie laut und herzlich<br />
begrüßte, goß die Sonne über das Gebirge und die Waldungen ihre glitzernden Strahlen aus<br />
und ließ dieselben in den wundervollsten Farben erscheinen.<br />
Alles, was er um sich erblickte, hatte für ihn eine schöne Erinnerung aus der Knabenzeit. Da<br />
war ganz in der Nähe der Pestfriedhof mit den vier riesenhaften Linden, unter welchen die<br />
Totenbretter der verstorbenen Eschlkamer angebracht sind, und zur Zeit des 30jährigen<br />
Krieges, da der Ort <strong>von</strong> einer schrecklichen Pest heimgesucht war, die zahlreichen Opfer<br />
derselben in einer einzigen Grube begraben wurden, 8 ein Platz, <strong>von</strong> dem er einst vielen<br />
nächtlichen Spuk erzählen hörte. Dort war der Wald, in welchen er seinen Vater auf die Jagd<br />
begleiten durfte. Wie stolz und glücklich er sich fühlte, als er den ersten Hasen schoß und in<br />
seinem Ränzchen nach Hause schleppen durfte!<br />
Der Chambach, der unten im Thale traulich dahinfloß, brachte ihm auch manches in das<br />
Gedächtnis zurück. Hatte er ja oft an dessen Ufern gesessen und, dem Rauschen der kleinen<br />
Wellen zuhorchend, mit Sehnsucht den lieblichen Tönen des Wassermannes gelauscht, <strong>von</strong><br />
dem ihm seine Mutter erzählt, daß er unten im Bache wohne und braven Kindern auf einer<br />
gläsernen Harfe vorspiele. Oft glaubte er seine zaubervollen Akkorde mit den Wellen<br />
daherrauschen zu hören, und wenn ein lustiges Fischlein in die Höhe sprang und das Wasser<br />
hinter den Stauden plätscherte, dann eilte er oft mit freudigem Schauer hinzu; aber er konnte<br />
nichts sehen als die Rotäuglein, die in unzähliger Menge hin- und herschwammen, oder einen<br />
ernsthaften Karpfen, der langsam seine Bahn zog. Von den nahen Wiesen, die eben jetzt im<br />
buntesten Farbenschmucke prangten, hatte er auch oft große Blumensträuße gesammelt und<br />
damit die Mutter erfreut.<br />
„O, du glückliche, nimmerkehrende Zeit!“ rief er aus. „Wie schön, wie unendlich schön bist<br />
du gewesen! Daß ich dich noch einmal durchleben könnte, du Zeit der Freuden.“<br />
Und wer wünschte dies nicht mit Ortolf? Ist ja die Kinderzeit doch die einzige lichte und<br />
ungetrübte in diesem Leben, die uns unbewußt die wahre Glückseligkeit spendet. Dem<br />
Erwachsenen blüht nie ein vollkommenes Glück; nur in des Kindes Herz ziehen himmlische<br />
Freuden im seligen Wechsel aus und ein.<br />
Ortolf gab sich mit süßer Wehmut diesen Gedanken hin. Jetzt aber hielt er damit inne; denn<br />
sein Herz mahnte ihn, die Gegenwart über der Vergangenheit nicht ganz zu vergessen.<br />
7 Kleinaigen ward 1641 unter Banner harter Zerstörungen ausgesetzt. Sein letzter Besitzer, Herr <strong>von</strong> Welser,<br />
wurde wegen seiner ausgezeichneten in der Pfarrkirche zu Eschlkam begraben.<br />
8 Beinahe ganz Eschlkam erlag jener furchtbaren Seuche; da machten zu ihrer Abwendung die wenigen<br />
Verschonten einen Bittgang zu Unserer lieben Frau nach dem Bogenberge und die Pest war zu Ende. Diese<br />
Wallfahrt wird <strong>von</strong> jener Zeit an alle drei Jahre wiederholt, und alles nimmt daran teil, wer es nur immer vermag,<br />
einen so weiten und beschwerlichen Weg zu machen.<br />
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