Das Fräulein von Lichtenegg
Das Fräulein von Lichtenegg
Das Fräulein von Lichtenegg
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Maximilian Schmidt <strong>Das</strong> <strong>Fräulein</strong> <strong>von</strong> <strong>Lichtenegg</strong><br />
welche teils <strong>von</strong> einem Gesange, teils <strong>von</strong> einem Selbstgespräche der sich entfernenden Irren<br />
kamen. Während er sich das sonderbare, ihn so überraschende Erscheinen Julchens zu solch<br />
nächtlicher Stunde zu enträtseln suchte, hörte er Schritte vom Hause des Rittermargerls her.<br />
Es mußte der Pfarrer sein, den er auch bald die Treppe herauf und in sein Zimmer gehen<br />
hörte.<br />
Es schlug drei Uhr. Die Natur forderte nun ihren Tribut und Adalbert verfiel in einen tiefen,<br />
gesunden Schlaf, welcher bis zum späten Morgen währte.<br />
VI.<br />
Ortolf war, sobald die Morgenröte mit ihrem rosigen Scheine den Horizont färbte, in das<br />
freie Feld hinausgegangen.<br />
Im Pfarrhause war schon alles in Bewegung, da die Erntezeit alle Hände in Anspruch nahm<br />
und die schöne Witterung dieser Arbeit äußerst günstig war.<br />
Seinen Freund mochte er nicht aus dem festen Schlafe wecken; er hatte recht wohl sein<br />
langes Wachen bemerkt, hatte ihn sogar aufstehen und das Fenster öffnen hören, ihn aber<br />
nicht in seinem Gedankenlaufe stören wollen.<br />
Ein leichtes Lüftchen wehte über die reifen, üppigen Kornfelder hin und zwang die Aehren<br />
zu lieblichen Knicksen, womit sie Ortolf zu begrüßen schienen. Dieser kam soeben auf der<br />
sogenannten Lemminger Höhe, einem in der Nähe des Marktes gelegenen und eine herrliche<br />
Rundschau bietenden Punkte an, als die Sonne aufging und die ganze Landschaft belebte,<br />
welche ein schöner, großartiger Gebirgsrahmen rings umfaßt.<br />
Südlich steigt der herrliche Hohenbogen empor, auf dessen westlichem Ende der Burgstall<br />
über alle Gipfel des breiten Gebirgsrückens hervorragt. Westlich ziehen sich die<br />
oberpfälzischen sowie die Böhmerberge mit dem prächtig geformten Cerkow hin.<br />
Gegen Norden jenseit des Passes <strong>von</strong> Neumark ragen die waldigen Kuppen der Kegelberge,<br />
(Amphibolitkegel) empor, auf denen meist gewaltige, trotzige Burgen ihre dräuenden Zinnen<br />
erhoben, als drohende Wächter und Verteidiger des Passes sowohl, als der uralten<br />
Verkehrsstraße, welche an ihrem Fuße in das Angelthal und weiter in das Innere <strong>von</strong> Böhmen<br />
führte. Der vorderste dieser Kegelberge, der Tannaberg, trägt auf seinem Scheitel eine im<br />
byzantinischen Stile gebaute Kirche, das Mausoleum des Grafen Stadion <strong>von</strong> Kauth. Ostwärts<br />
zeigt sich das Ossergebirge mit seinen beiden prächtig geformten Spitzen, und südöstlich der<br />
Arber, der König des Waldes, welcher, <strong>von</strong> der aufgehenden Sonne beleuchtet, mit einem<br />
violetten Schleier umhüllt schien. Nord- und Ostwärts kommen der Cham- und der Freibach<br />
durch idyllische Thäler dahergeflossen, und vereinigten sich unweit Eschlkam, um sodann<br />
westlich, gegen Furth zu, in einem prachtvollen, vom saftigsten Wiesengrün prangenden<br />
Thale weiterzufließen.<br />
Die fruchtbaren Thäler, die vielen Ortschaften, Höfe und Mühlen, die gut gehaltenen Felder<br />
und Wiesen beweisen, daß hier fleißige und ehrliche Bewohner leben, welche den rauhen<br />
Boden nach und nach durch eisernen Fleiß urbar machten und zu benützen verstehen, und<br />
unter vielen Entbehrungen in der fröhlichsten Laune ihren Geschäften nachgehen. Es ist hier<br />
nicht, wie man sich vorstellt, alles düsterer Wald, sondern die Gegend ist im nächsten<br />
Umkreise bis auf kleinere niedliche Wäldchen, welche der Landschaft einen eigenen Reiz<br />
verleihen, unbedeckt und wechselt mit Feld, Wiese und Wald auf fortwährend<br />
wellenförmigen Erhebungen und Senkungen.<br />
Eine Menge <strong>von</strong> bayerischen und böhmischen Ortschaften stellen sich dem Blicke dar; den<br />
Mittelpunkt der ganzen Landschaft aber bildet Eschlkam mit seinem spitzigen Turme und<br />
seiner hohen Kirche. Der Ort zählt nur 700 Einwohner, ist aber durch den regen Verkehr auf<br />
der ihn durchziehenden Hauptstraße nach Böhmen und als Sitz des Hauptzollamtes ziemlich<br />
belebt. In der Nähe dieses Ortes befinden sich Dorf und Schloß Stachesried, Schachten,<br />
25