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Das Fräulein von Lichtenegg

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Maximilian Schmidt <strong>Das</strong> <strong>Fräulein</strong> <strong>von</strong> <strong>Lichtenegg</strong><br />

welch glückliche Gedanken ihn außer diesem wohlthuenden Gefühle zu den süßesten<br />

Träumen begleiteten, sollte er alsbald seinem Freunde enthüllen. – Nicht so erging es<br />

Adalbert. Eine Fülle <strong>von</strong> Gedanken hielt seinen Geist wach. Die Irre und das Rittermargerl<br />

beschäftigten ihn auf das lebhafteste und je mehr er hierüber in Betrachtungen versank, desto<br />

aufgeregter wurde sein Gemüt.<br />

Es schlug ein, zwei Uhr, und noch war kein Schlaf über ihn gekommen. Der Pfarrer war<br />

noch immer nicht zurück. Welch wichtige Angelegenheiten mögen ihn so lange bei dem<br />

sonderbaren Weibe aufhalten? fragte er sich. Sollte ich wirklich zu der Alten in irgend einer<br />

Beziehung stehen? Er durchflog seine Familien-Chronik, so weit ihm diese bekannt war, aber<br />

sie gab ihm nicht den geringsten Anhaltspunkt. Die alte Margareth mußte wohl in ihm eine<br />

Aehnlichkeit mit einer ihr näherstehenden Person gefunden haben, wobei eine Gleichheit der<br />

Taufnamen zufälliger Weise vorhanden war. Aehnliches war ihm ja auch mit der Irren<br />

begegnet; ein sonderbares Zusammentreffen!<br />

Oder sollte sein Vater der Alten bekannt sein? Allerdings wußte er durch seine<br />

Pflegemutter, daß er diesem vollkommen ähnlich sehe und zudem hatte sein Vater auch<br />

Adalbert geheißen.<br />

So viel er auch darüber nachdachte, er konnte zu keinem beruhigenden Schlusse kommen<br />

und fiel aus dem Labyrinthe dieser Gedanken wieder in ein neues, in das ihn das irre Julchen<br />

wie mit dem Faden der Ariadne einführte. Weshalb pochte sein Herz so bei dem Gedanken an<br />

das wahnsinnige Mädchen? Marie, Julchen, diese beiden Namen wiederholte er sich wohl<br />

hundert Mal. Vor seiner Seele schwebte die Irre mit den großen, dunklen Augen, und er<br />

konnte, er wollte dieses Bild nicht entschweben lassen.<br />

Halb wachend, hab träumend, glaubte er ihren Gesang vom Friedhofe herübertönen zu<br />

hören, und wenn er sich im Bette erhob und horchte, die Blicke nach dem Fenster gerichtet –<br />

so hörte er weiter gar nichts, als das eintönige Schlagen des Pendels an der Stockuhr, welche<br />

auf der Kommode stand. Dann sah er wieder vor dem Fenster die Irre mit ihren langen,<br />

schwarzen Haaren! Sie stand vor ihm da in herrlicher Schönheit, nicht aber einem irdischen<br />

Weibe zu vergleichen. Er sah, wie sie ihre feurigen Blicke auf ihn heftete und ihn traurig<br />

ansah, als wollte sie sagen: „Ich kann dich ja nicht verstehen, ich bin eine Wahnsinnige, und<br />

in meinem Herzen ist es finster wie in einem Geiste!“<br />

Adalbert erschrak vor den Bildern seiner Phantasie. Der Schweiß rann ihm <strong>von</strong> der Stirne.<br />

Er stand auf und öffnete das Fenster. Außen war alles stille und dunkel; am Himmel glänzten<br />

die Sterne und sahen freundlich auf den Träumer herab. Vergebens suchte er nach dem Bilde<br />

der Irren; vergebens lauschte er nach ihrem Gesange; wie die Toten im Friedhofe drüben so<br />

stille, so stille war es in der ganzen Gegend.<br />

Die kühle Nachtluft trocknete den Schweiß auf seiner Stirne, und seines Halbschlafes ledig,<br />

blickte er bald zu dem bestirnten Himmel empor, bald hinaus in die stille Landschaft.<br />

Als er so in Gedanken versunken war, wähnte er ganz in seiner Nähe ein Geräusch zu hören.<br />

Unter seinem Fenster führte die Straße vorüber, auf deren einer Seite der große mit einem<br />

Zaune umgebene Garten lag. Adalbert strengte seinen Blick möglichst an und sah eine dem<br />

Zaune entlang sich nähernde Gestalt. Er konnte eine menschliche Figur erkennen, welche<br />

öfters stehen blieb und zu lauschen schien.<br />

Jetzt war sie gerade unter seinem Fenster, nach dem sie aufblickte. Adalbert, der sich ein<br />

wenig zurückgelehnt hatte, fühlte einen unheimlichen Schauer durch seinen Körper rieseln; er<br />

gedachte unwillkürlich des Federkiels; doch schämte er sich vor sich selbst und um jeder<br />

Ungewißheit ein Ende zu machen, rief er der Erscheinung zu: „Wer da?“<br />

„Warum bist du denn so gelaufen?“ fragte eine weibliche Stimme herauf. „Die Nacht ist so<br />

finster und der Weg so weit. Ich bin totmatt. Schlaf wohl!“ Adalbert erkannte mit Erstaunen<br />

das irre Mädchen.<br />

„Julchen, du bist’s, Julchen! Gute Nacht!“ Adalbert wollte ihr noch mehr zurufen; doch die<br />

Irre war seinen Blicken entschwunden; nur leise Töne hörte er noch an sein Ohr schlagen,<br />

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