Das Fräulein von Lichtenegg
Das Fräulein von Lichtenegg
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Maximilian Schmidt <strong>Das</strong> <strong>Fräulein</strong> <strong>von</strong> <strong>Lichtenegg</strong><br />
Angesicht mit feurigen Küssen. Plötzlich schlägt sie die Augen auf, richtet sich empor und<br />
erzählt <strong>von</strong> himmlischen Freuden, die ihr nun zu teil geworden, und gießt Kraft und Frieden<br />
in mein junges Herz. Sie sprach in himmlischen Tönen, wie Töne <strong>von</strong> Menschenzungen sie<br />
nicht nachzuahmen vermögen. Ein mit Amethyst besetztes Ringlein, das sie am Finger trug,<br />
streifte sie ab, und steckte es mir an. Mich nochmals an ihr Herz drückend, rief sie: „Vergiß<br />
mich nicht! Auf Wiedersehen!“ und sank hierauf wieder leblos in den Sarg zurück. Ich schloß<br />
denselben, stieg aus der Gruft, und ungehindert, wie auf dem Herwege, kam ich zurück in<br />
meine Kammer, legte mich zu Bette und schlief bis zum späten Morgen.<br />
„Erwachend dachte ich mit bebendem Erstaunen an die Begebenheit der vergangenen<br />
Nacht. War es Traum? War es Wirklichkeit? Ich wußte es nicht. Die Pflegemutter stand am<br />
Bette und fragte mich besorgt, was mir fehle, zugleich reichte sie mir ein Schächtelchen,<br />
welches die Schwestern Mariens geschickt, einem Wunsche der Verstorbenen entsprechend.<br />
Es enthielt den mit Amethyst besetzten Ring, welchen ich noch hier am kleinen Finger trage.<br />
„Auf Wiedersehen!“ hatte mir Marie zugerufen und ich glaubte so glücklich zu sein, bald<br />
mit ihr im Himmel wohnen zu dürfen. Täglich besuchte ich darum ihr Grab, betete und weinte<br />
da, und wäre sicher der Sehnsucht nach der Toten bald erlegen, hätte mich nicht meine<br />
Pflegemutter, welcher ich alles anvertraut, <strong>von</strong> diesem Orte entfernt, und in das Institut<br />
gebracht, in dem wir uns kennen lernten. Als ich heute das irre Mädchen am Friedhofe vor<br />
mir sah, glaubte ich Marie leibhaftig wieder zu erblicken. Wie mir diese im Traume<br />
erschienen, gerade so erschien mir heute das irre Mädchen. Zug für Zug gleicht sie Marie.<br />
„Auf Wiedersehen!“ so sagte Marie und mir ist, als hätte ich sie wirklich wieder erblickt; mir<br />
ist, als erwachten alle jene Gefühle wieder in mir, welche ich schon als Knabe kannte, und<br />
schon als Knabe begraben mußte!“<br />
Adalbert schwieg. Er dachte lebhaft wieder an jene Zeit zurück, welche auf sein Gemüt<br />
einen so tiefen Eindruck für das ganze Leben gemacht hatte. Ortolf war zu zartfühlend, dieses<br />
Schweigen zu brechen.<br />
<strong>Das</strong> Licht, dessen Docht schon weit herabgebrannt war, gab nur düsteren Schein. Als wäre<br />
Mariens Geist durch das Zimmer geschwebt, so stille, so feierlich kam es beiden in dieser<br />
Minute vor. Jetzt flog eine Fliege summend um das Licht, und dieses tanzende Tierchen<br />
wurde unwillkürlich das Augenmerk der Freunde.<br />
„Sie wird sich verbrennen,“ sagte Adalbert, nachdem er sie eine Weile betrachtet.<br />
„Und dadurch einen edleren Tod finden, als unter dem Fliegenschläger,“ erwiderte lächelnd<br />
Ortolf.<br />
So kann das aufgeregteste Gemüt durch unbedeutende Kleinigkeiten oft veranlaßt werden,<br />
in seinem inneren Kampfe plötzlich Halt zu machen, und mit Aufmerksamkeit einer Sache<br />
nachzuhängen, welche man im ruhigen Augenblicke kaum beachtet.<br />
„Da haben wir’s!“ rief Adalbert, als die Fliege wirklich mitten in die Flamme flog und tot in<br />
den Leuchter hinabfiel. Der lange glühende Docht, dadurch erschüttert, neigte sich in Form<br />
eines Röschens gegen Adalbert.<br />
„Siehst du,“ sagte Ortolf, „das Tierchen verstand uns und wollte dir mit Aufopferung seines<br />
Lebens ein Zeichen geben, welches Glück prophezeit.“<br />
Adalbert drückte lächelnd des Freundes Hand und wollte gerade etwas erwidern, als heftig<br />
an der Hausglocke geläutet wurde.<br />
„Gewiß noch ein Krankenbote, der den Pfarrer holt,“ meinte Ortolf, das Fenster öffnend. Zu<br />
gleicher Zeit öffnete sich auch ein unteres Fenster.<br />
Man hörte um Begehr fragen, worauf mit zitternder, weiblicher Stimme die Antwort<br />
erfolgte: „Hochwürden Herr Pfarrer möchten sogleich zum Rittermargerl kommen; sie sei<br />
sterbenskrank und müsse dem Herrn Pfarrer Wichtiges mitteilen.“<br />
Kurze Zeit nachher hörte man den Pfarrer die Treppe hinab und aus dem Hause gehen.<br />
Die beiden jungen Männer hatten sich zu Bette gelegt und Ortolf schien bald <strong>von</strong> Morpheus<br />
Armen umschlungen. Es war ja seit langer Zeit wieder einmal ein Schlaf in der Heimat, und<br />
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