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Das Fräulein von Lichtenegg

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Maximilian Schmidt <strong>Das</strong> <strong>Fräulein</strong> <strong>von</strong> <strong>Lichtenegg</strong><br />

des Erzählens nicht mehr wert und würde ohne die heutigen Erlebnisse schwerlich mehr<br />

darauf zurückgekommen sein.<br />

„Du sollst nun alles erfahren. Wie du bereits weißt, ward ich schon kurze Zeit nach meiner<br />

Geburt verwaist. Meine Mutter starb; mein Vater, Baron Werrfels, dessen Namen ich seit dem<br />

Tode meiner Mutter nicht mehr führe, ist entflohen und verschollen, und so nahm sich eine<br />

alte Tante, welche im Woogenschen Hause die Stelle der Hausfrau lange Zeit inne hatte,<br />

meiner an, und vertrat an mir in der liebevollsten Weise Mutterstelle.<br />

„In der Nähe unserer Wohnung war ein Arzt, zu dessen Familie meine Adoptivmutter öfters<br />

kam und wohin ich immer mitgenommen wurde. Es waren drei liebliche Schwestern da,<br />

welche mich recht lieb hatten und mich nur den kleinen Doktor nannten, worauf ich mir nicht<br />

wenig einbildete. Für diese Schwestern hatte ich eine große Verehrung, besonders aber zu der<br />

jüngsten, Namens Marie, die ich über alles in der Welt verehrte. Ich stand in meinem<br />

fünfzehnten Jahre, als Marie, welche eben siebzehn Jahre zählte, plötzlich zu kränkeln anfing.<br />

Sie hatte sich unvorsichtiger Weise ein Lungenleiden zugezogen, welches rasch vorwärts<br />

schritt und die roten Wangen ihres holden Gesichtchens erbleichen machte. Ihre Krankheit<br />

that mir in der tiefsten Seele weh, denn ich betete Marie an; sie war so schön, so gut und<br />

fromm, daß ich mir die himmlische Madonna stets nur in ihr vergegenwärtigte. Alle meine<br />

Gedanken waren bei ihr. Ich suchte die schönsten Blumen und war glücklich, ihr dieselben<br />

überbringen zu dürfen. Sie küßte mich dann jedesmal auf die Stirne, nannte mich ihren<br />

kleinen Liebling und erzählte mir Geschichten, Sagen und Märchen, womit sie mir die größte<br />

Freude machte. Wenn sie mir <strong>von</strong> Helden erzählte, welche sich in einer großen Sache<br />

aufgeopfert, dann wünschte ich nichts sehnlicher, als daß auch ich Gelegenheit hätte, mein<br />

Leben für sie zu wagen, für sie zu verbluten.<br />

„Marie wurde immer schwächer und konnte bald das Bett nicht mehr verlassen; sie litt die<br />

furchtbarsten Schmerzen und ich litt mit ihr. Ich übergehe die Schilderung jener für mich so<br />

schmerzlichen Zeit. Sie starb. – Ich gab mich einem wilden Schmerze hin. Ich betete zum<br />

Himmel, daß er auch mich möge sterben lassen, denn die Erde hatte keinen Reiz mehr für<br />

mich ohne Marie. Dem Leichenbegängnisse beiwohnend, sah ich den Sarg in die Gruft<br />

senken, und mit ihm begrub ich alle meine Freuden meiner Kindheit.<br />

„Dem traurigen Tage folgte eine für mich unvergeßliche Nacht. In meine kleine Kammer<br />

eingeschlossen, konnte ich mich ganz meinem Schmerze überlassen. Es war anfangs Februar.<br />

Ein starker Regen hatte die Erde ihres Winterkleides beraubt, und ein heftiger Sturm sauste<br />

darüber hin. Auf meinem Bette sitzend, weinte ich lange bitterlich, bis ich ermattet<br />

zurücksank und einschlief. Aber was wachend meinen Geist beschäftigt, folgte mir auch im<br />

Traume. Mir war’s, als hörte ich Mariens Stimme aus der Gruft zu mir tönen, und mein Herz<br />

zersprang fast vor Sehnsucht nach ihr. Ich wähnte zu erwachen. Ich wähnte es wohl nur,<br />

obgleich in früheren Jahren das, was ich nun erzählen werde, nicht für eine Fortsetzung des<br />

Traumes, sondern für Wirklichkeit ansah. Ein mächtiges Verlangen, die Gruft zu besuchen,<br />

erfaßte mich und mit unwiderstehlicher Gewalt zog es mich dahin. Es schlug 12 Uhr. Schnell<br />

hatte ich mich angekleidet, und eilte dem Friedhofe zu.<br />

„Kein Riegel hinderte meinen nächtlichen Gang, selbst das eiserne Thor des Friedhofes<br />

stand offen. Der Mond, der hin und wieder zwischen eilenden, vom Winde gepeitschten<br />

Wolken hervorstrahlte, erhellte den stillen Leichengarten, auf dem die eisernen und<br />

blechernen Kreuze in schrillsten Tönen mich unheimlich begrüßten. Furchtlos durchschritt ich<br />

die schmalen Gänge bis zur Gruft Mariens, die ich offen fand, und in welche ich ohne Beben<br />

hinabstieg. Der Mond schien mir neugierig zu folgen, denn er beleuchtete die traurige Stätte<br />

und ließ mich den Sarg Mariens erkennen, den ich ohne Mühe öffnete.<br />

„Und vor mir erblickte ich das tote Mädchen im weißen Gewande, die Stirne mit einem<br />

Myrtenkränzchen umflochten, die langen, schwarzen Haare herabhängend, das<br />

marmorbleiche Gesichtchen <strong>von</strong> einem lieblichen Lächeln umspielt, während die blassen<br />

Lippen einen Willkomm-Gruß auszuhauchen schienen! Ich kniete nieder und bedeckte ihr<br />

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