Das Fräulein von Lichtenegg
Das Fräulein von Lichtenegg
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Maximilian Schmidt <strong>Das</strong> <strong>Fräulein</strong> <strong>von</strong> <strong>Lichtenegg</strong><br />
„So heiß ich, Mütterchen,“ antwortete der Gefragte; „aber was findet Ihr denn so<br />
Schreckbares an mir und woher wißt Ihr meinen Namen?“<br />
Diese Worte donnerten die Alte ganz darnieder; die Katze entfiel ihren Armen – sie achtete<br />
nicht darauf – und durch Zeichen gab sie zu verstehen, daß man sie <strong>von</strong> diesem Orte<br />
wegführen möge.<br />
Ihre alte, lange, hagere Dienerin, welche inzwischen auch gekommen, machte sogleich<br />
Anstalt zum Rückzuge und wurde hierin <strong>von</strong> dem Kantor und Ortolf unterstützt. Der Doktor<br />
<strong>von</strong> Furth gab der Magd einige Verhaltungsmaßregeln und die Alte wurde nach Hause<br />
geführt, ohne daß sie noch einen Laut <strong>von</strong> sich gab.<br />
Die Zurückgebliebenen sahen sich voll Erstaunen über das eben Erlebte fragend an.<br />
„Da mache einer einen Vers darauf!“ rief der Doktor.<br />
„Diese Sache wird sich morgen aufklären,“ meinte der Pfarrer. „Machen Sie sich keine<br />
Skrupel darüber, mein lieber Gast, sondern schlafen Sie zum ersten Male recht gut bei uns.“<br />
„Ich weiß nicht, was ich darüber denken soll,“ sagte Adalbert, der seine innere Aufregung<br />
nicht verbergen konnte.<br />
Jetzt kamen die Begleiter des Rittermargerl wieder zurück.<br />
„Die Alte macht mir Sorgen,“ sagte Ortolf, „wenn ihr während der Nacht nur nichts<br />
zustößt!“<br />
„O, die hat ihre exzellente Hausapotheke,“ erwiderte der Doktor, „brauchte noch keinen<br />
Arzt, seit sie hier ist und ich reite getrost nach Hause, wozu es nun die höchste Zeit ist.“<br />
Man verabschiedete sich allgemein. Der Pfarrer führte seine Gäste in ein oberes, schön<br />
hergerichtetes Zimmer, und nachdem man sich gute Nacht gewünscht, zog sich der Hausherr<br />
ebenfalls in sein Kabinet zurück, und im ganzen Pfarrhause herrschte bald die größte Stille.<br />
V.<br />
Kaum waren die Freunde allein im Zimmer, warf sich Adalbert auf das Sopha und verhüllte<br />
sein Gesicht mit beiden Händen.<br />
„Du bist sehr aufgeregt,“ sagte Ortolf.<br />
„Du hast recht, Ortolf, ich bin in einem Grade aufgeregt, wie ich es noch nie gewesen; denn<br />
seit ich diesen Ort betrat, stürmt es Schlag auf Schlag auf mein Herz ein. Was soll dies alles<br />
bedeuten? Erst überrascht mich das irre Julchen durch seine frappante Aehnlichkeit mit Marie<br />
und den Zuruf ihres Namens! Wie sehnte ich mich schon den ganzen Abend, mit dir allein zu<br />
sein, um das übervolle Herz durch Mitteilungen erleichtern zu können! Da kommt auch noch<br />
diese alte Katzenmutter und erschrickt vor mir wie vor einem Gespenste. Woher weiß sie, daß<br />
ich Adalbert heiße, und welch schreckliche Erinnerungen konnte mein Anblick in ihr<br />
hervorrufen? Höre Freund, so sehr es mir im bayerischen Walde gefällt, ich habe nicht Lust,<br />
mich lange in diesem Orte aufzuhalten.“<br />
„<strong>Das</strong> wollen wir uns noch überlegen, lieber Freund,“ entgegnete Ortolf; „der Auftritt mit der<br />
Alten wird sich aufklären, die Aehnlichkeit der Irren und deiner Marie ist Zufall oder<br />
Einbildung, du siehst alles mit phantastischen Augen an und suchst dich oft selbst zu<br />
täuschen.“<br />
„Du thust mir Unrecht, Ortolf, ich täusche mich nicht, wenn ich die Irre mit Marie<br />
vergleiche.“<br />
„Aber du scheinst zu vergessen, daß ich noch nie näheres über Marie <strong>von</strong> dir hörte; nicht<br />
weiß, in welcher Beziehung du zu diesem Namen stehst.“<br />
„Sollst es erfahren, und wenn ich früher hierin zurückhaltend war, so geschah es nur, weil<br />
mir meine liebe Pflegemutter aus leicht erklärlichen Gründen aufs strengste darüber zu<br />
sprechen verbot. Nun hindert mich freilich niemand mehr daran; ich hielt aber die Geschichte<br />
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