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Das Fräulein von Lichtenegg

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Maximilian Schmidt <strong>Das</strong> <strong>Fräulein</strong> <strong>von</strong> <strong>Lichtenegg</strong><br />

I.<br />

In einer der anmutigsten Gegenden des bayerischen Waldes, wo die in lieblichen Thälern<br />

daherfließenden Gewässer des Chambs- und Freibaches sich vereinigen, liegt auf einem<br />

kegelförmigen Vorsprunge des <strong>von</strong> beiden Bächen eingeschlossenen Bergrückens, gleichsam<br />

als Mittelpunkt dieser Landschaft der Marktflecken Eschlkam, welcher mit seinem stattlichen<br />

Kirchturme und den über den Bergrücken sich ausbreitenden Häusern weithin sichtbar ist.<br />

Nach diesem Orte kamen zu Anfang der fünfziger Jahre an einem schönen<br />

Sommernachmittag sonntags während der Vesperzeit, zwei junge Jäger. Sie hatten schön<br />

gestickte Jagdtaschen und feine Doppelflinten umhängen, und trugen, mit Federn<br />

geschmückte, grüne Hüte, welche zu der sonst einfachen, aber geschmackvollen Kleidung<br />

recht gut paßten. Der eine war ein hoher, schlanker Mann. Sein schönes Gesicht war <strong>von</strong><br />

auffallender Blässe, welche durch sein etwas langes, schwarzes Haar, ein Schnurrbärtchen<br />

und zwei große, dunkle Augen noch mehr hervorgehoben wurde. Er war ein angehender Arzt<br />

und nannte sich Adalbert Woogen. Der andere, etwas kleiner und <strong>von</strong> untersetztem<br />

Körperbaue, hieß Ortolf Binnfeld und war Offizier. Er hatte blonde, krause Haare und ein<br />

dichter Backenbart umgab sein <strong>von</strong> der Sonne verbranntes, heiteres Gesicht. Auf diesem<br />

Gesichte drückten sich die freudigen Empfindungen aus, <strong>von</strong> welchen das Herz des jungen<br />

Mannes erfüllt war bei dem Anblicke seiner geliebten, lang entbehrten Heimat. Er brach oft in<br />

Ausrufe der Freude aus; süße Erinnerungen häuften sich zahllos auf einander und in<br />

glücklichster Stimmung versicherte er seinem Freund, daß diese Stunde eine der schönsten<br />

seines Lebens sei. Adalbert ging schweigend, fast in sich gekehrt, neben ihm her, nur hie und<br />

da erheiterte ein leichtes Lächeln seine schönen Züge, auf welchem sonst der Ausdruck einer<br />

trüben Gemütsstimmung lag. So betraten die Männer den kleinen Flecken, den Zielpunkt ihrer<br />

Vergnügungsreise.<br />

Der sonst so regsame Ort schien ganz leblos. Wie es auf dem Lande fast überall der Fall,<br />

schließt die Kirche während des Gottesdienstes die ganze fromme Gemeinde in sich ein, und<br />

die inzwischen im Orte herrschende feierliche, oft unheimliche Stille wird nur hie und da<br />

durch das Gebell eines wachsamen Kettenhundes oder durch die langweiligen Schritte des<br />

Ortshüters unterbrochen.<br />

„Du wirst hier keinen einzigen Bekannten mehr finden, guter Ortolf,“ sagte Adalbert; „denn<br />

in diesem Orte scheint ja alles wie ausgestorben!“<br />

„Nur Geduld, Adalbert!“ entgegnete der andere. „Alles wird in der Kirche sein, und wir<br />

wollen unseren Weg dahin nehmen. Für mich ist übrigens hier nichts tot; <strong>von</strong> jedem Plätzchen<br />

wird mir ein Willkomm zugerufen. Alles, was ich um mich sehe, hat für mich eine schöne<br />

Erinnerung aus der Knabenzeit. Könntest du doch mitfühlen, wie freudig mir beim Eintritte in<br />

die so lang entbehrte Heimat das Herz schlägt!“<br />

Die beiden Freunde, denen ein großer, gefleckter Hühnerhund auf dem Fuße folgte, stiegen<br />

jetzt eine lange Steintreppe hinan, welche zu der mitten im Orte und hoch gelegenen Kirche<br />

führt. Diese umgiebt rings herum der <strong>von</strong> einer hohen Mauer umschlossene Friedhof. Kaum<br />

waren sie in diesen eingetreten, so fing der Hund, durch die aus dem Gotteshause hallenden<br />

Töne aufgeregt, laut zu bellen an.<br />

„Willst du ruhig sein, Brutus!“ drohte Adalbert, der Eigentümer desselben. Brutus konnte<br />

aber nicht umhin, leise fortzumurren.<br />

„Dort ist unser einstiger Garten!“ rief Ortolf jetzt aus. „Rechts an der Mauer ragen die<br />

Bäume herüber, auf denen ich so oft herumgeklettert bin. Ich kenne sie alle noch, so groß sie<br />

auch geworden sind!“ Und nachdem er sie in Gedanken der Reihe nach gegrüßt, wandte er<br />

seinen Blick nach dem Leichengarten, der vor ihm lag. Auch hier begegnete er meistens<br />

bekannten Grabmälern. „Dort liegt der Verwalter Mangold, daneben der Badergirgl, der liebe,<br />

gute Badergirgl! Dort ist die Gruft der Rittermargels, der alten Katzenmutter, welche sich<br />

schon bei Lebzeiten dieselbe baute und nun wahrscheinlich längst schon darin wohnen wird,<br />

2

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