Das Fräulein von Lichtenegg
Das Fräulein von Lichtenegg
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Maximilian Schmidt <strong>Das</strong> <strong>Fräulein</strong> <strong>von</strong> <strong>Lichtenegg</strong><br />
schon lange das Tagesgespräch und so konnte der Kantor nicht lange mit der Frage an sich<br />
halten, ob der Doktor das Wundermädchen gesehen und an ihre Wunder wirklich glaube.<br />
„Ja, hab sie gesehen und mich überzeugt, daß das Mädchen die ganze Gegend an der Nase<br />
herumgeführt hat!“ rief der Doktor.<br />
„Sie sind ein ungläubiger Thomas!“ erwiderte der Kantor. „Ich habe mich vor acht Tagen<br />
selbst überzeugt, daß die Sache nicht mit natürlichen Dingen zugeht, und der Herr Bischof –“<br />
„Der Herr Bischof,“ fiel der Doktor in die Rede, „hat vor einigen Tagen das Mädchen und<br />
ihre Beschützer in Kenntnis setzen lassen, daß eine gerichtliche Kommission den Sachbestand<br />
strenge untersuchen werde, und im wahrscheinlichen Falle eines Betruges ihnen allen das<br />
Zuchthaus in Aussicht stehe. Seitdem hat das Blutschwitzen aufgehört und das<br />
Angstschwitzen angefangen; denn die Kommission war heute <strong>von</strong> Kötzting wirklich dort, und<br />
fand an dem Mädchen nichts Wunderbares mehr vor.“<br />
„Ei, was Sie da erzählen!“ rief der Kantor erstaunt.<br />
„Noch ein zweites Wunder,“ erzählte der Doktor weiter, „hab ich gesehen. Bin da durch<br />
Buchberg geritten und kehrte bei der allverehrten Somnambule ein, die den Leuten weissagt<br />
und eine Masse <strong>von</strong> Sprachen sprechen soll, obwohl sie nur ein schlichtes Bauernmädchen<br />
und noch nie aus der hiesigen Gegend gekommen ist.“<br />
„Und welches Ende hat sie Ihnen voraus gesagt?“ fragte der Kantor rasch.<br />
„O, bis zum Ende sind wir nicht gekommen?“ entgegnete lachend der Doktor. „Uebrigens<br />
merkt man’s Ihrer Frage an, daß Sie sich für das Ende der Menschen interessieren; Sie<br />
profitieren dabei, indem Sie Gelegenheit haben, Ihren Gesang ertönen zu lassen, welcher<br />
freilich, gleich der Trompete <strong>von</strong> Jericho, die Toten wieder erwecken könnte, wenn sie es<br />
nicht vorzögen, <strong>von</strong> demselben auf immer verschont zu sein.“<br />
„Der Herr Doktor,“ erwiderte der Kantor gefaßt, „haben die Leute, welchen ich ins Grab<br />
singe, schon so tot gemacht, daß ich in saecula saeculorum singen dürfte und doch keinen<br />
erweckte. Uebrigens nichts für ungut; wir sprachen uns schon öfter sehr leicht mit einander!<br />
Also erzählen Sie <strong>von</strong> der Buchberger Somnambule.“<br />
„Nun, ich fand sie mitten in ihrer Entzückung. Als ich eintrat, rief sie, obwohl sie das<br />
Gesicht nicht gegen mich gewandt hatte: „Der Doktor <strong>von</strong> Furth ist im Zimmer.“<br />
„Da sehen Sie, daß an der Sache etwas ist,“ sagte der Kantor.<br />
„Freilich ist etwas daran,“ fuhr der Doktor fort – „und ich werde noch aller herausbringen.<br />
Sie sagte also: „Der Doktor <strong>von</strong> Furth ist im Zimmer.“ „<strong>Das</strong> ist richtig,“ sagte ich, mich ihrem<br />
Bette nähernd, und ohne mich anzusehen, fuhr sie fort: „Sie haben heute mit zwei Fremden in<br />
Furth zu Mittag gespeist, mit Leutnant Binnfeld und Dr. Woogen.“<br />
„<strong>Das</strong> wußte sie?“ fragten Adalbert und Ortolf erstaunt.<br />
„Es scheint so.“ „Der Dr. Woogen,“ sprach die Somnambule weiter, „begleitete seinen<br />
Freund nach Eschlkam. Sie werden die beiden heute noch sprechen.“<br />
„Da sag mir noch einer, daß es keine Wunder giebt!“ rief der Meßner. „Gleich morgen geh<br />
ich nach Buchberg, um zu erfahren –“<br />
„Daß Sie Ihre Mündel möchten und doch nicht bekommen! Hüten Sie sich ja, Herr Kantor,<br />
das Mädchen könnte Ihre Geheimnisse ausplaudern! Z. B. wo Sie Ihre Thaler verborgen<br />
halten, woher Ihr Zipperlein kommt, und noch viele andere Dinge, womit solch ein armer<br />
Mann geplagt ist. Fragte sie dann, woher sie alles wüßte: da legte sie die Hand aufs Herz und<br />
blickte gen Himmel. Sprach dann zu der Kranken in lateinischer Sprache – aber da fing sie<br />
jämmerlich zu stöhnen an. Die Bauern versicherten mir, daß sie mit ihnen vor meinem<br />
Eintreten perfekt in allerlei fremden Sprachen gesprochen habe, in Sprachen, wo<strong>von</strong> sie auch<br />
nicht eine Silbe verstanden hätten, was gewiß eine große Merkwürdigkeit sei. Konnte sie<br />
nicht mehr zum Sprechen bringen und als sie mich satt hatte, erwachte sie scheinbar aus<br />
ihrem magnetischen Schlafe, sah sich erstaunt im Zimmer herum und sprach on einem<br />
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