Das Fräulein von Lichtenegg
Das Fräulein von Lichtenegg
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Maximilian Schmidt <strong>Das</strong> <strong>Fräulein</strong> <strong>von</strong> <strong>Lichtenegg</strong><br />
hinzu, „sind nicht geschaffen, um nie <strong>von</strong> einem anderen Feuer belebt zu werden, als <strong>von</strong> dem<br />
des Wahnsinns.“<br />
Man sprach noch mancherlei über das irre Mädchen, und die Unterhaltung wäre eintönig<br />
geworden, hätte sich nicht noch eine weitere Person zu dem Kreise gesellt.<br />
IV.<br />
Es war der Doktor <strong>von</strong> Furth, der klirrenden Schrittes, eine Reitpeitsche in der Hand<br />
schwingend, in das Gartenhaus trat.<br />
„Da find ich richtig noch die Gesellschaft beisammen!“ rief er. – „Gönnt einem durstigen<br />
Jünger Aeskulaps noch ein Plätzchen in eurer Mitte!“<br />
„Ei, der Doktor <strong>von</strong> Furth!“ entgegnete der Pfarrer. „Willkommen! Sie sind zwar ein später,<br />
aber doch stets willkommener Gast! Kommen gerade noch zu gutem Flaschenbier, da ich<br />
meinen zwei Gästen zu Ehren heute aus dem Keller holen ließ. Hier stelle ich Ihnen meinen<br />
Paten –“<br />
„Wir kennen uns bereits,“ unterbrach Ortolf den Pfarrer; „haben diesen Mittag in Furth mit<br />
einander gespeist, und der Herr Doktor hat uns bereits durch seine große Gefälligkeit in seine<br />
Schuld gebracht!“<br />
„Bitte, bitte recht sehr,“ entgegnete der Doktor, „<strong>von</strong> Schuld keine Rede! Machte Ihren<br />
Führer in dem alten Städtchen mit großem Vergnügen. Freute mich über das Interesse,<br />
welches Sie und mein Herr Kollega Woogen an unserem historisch so merkwürdigen<br />
Städtchen nahmen, dessen uraltes Schloß <strong>von</strong> einer heidnischen Jungfrau erbaut worden, und<br />
<strong>von</strong> dem man sich eine hübsche Siegfriedssage erzählt, welche zu dem Further Drachenstiche<br />
Veranlassung gab. Doch, meine Herren, vor allem entschuldigen Sie die Störung, welche ich<br />
verursachte. Wie ich Ihnen heut in Furth bereits sagte, eilte ich auf einigen Umwegen nach<br />
Neukirchen, ließ mir bei den Franziskanern das Bier munden, und bin nun auf dem Rückzuge<br />
nach Furth. In der gewissen Hoffnung, die Gesellschaft noch im Wirtshause zu finden, stieg<br />
ich unten beim Späten ab; aber siehe da! der Herr Pfarrer und seine Gäste blieben en famille<br />
und so fand ich es für das beste, mich in diese Familie noch ein wenig einzudrängen.“<br />
„Mein lieber Herr Doktor,“ erwiderte der Pfarrer, „Sie wissen schon, daß Sie mir zu jeder<br />
Zeit eine freundliche Erscheinung sind. Dort sehen Sie noch eine ganze Reihe dichbäuchiger<br />
Steine, welche Ihnen sehr verbunden sind, wenn Sie ihren Inhalt erleichtern.“<br />
„Verbunden, sehr verbunden! Weiß den Saft aus Ihrem Keller zu schätzen; hab auch<br />
verdammten Durst auf den Ritt, und so sehen Sie mich gleich bereit, Ihrem Wunsche zu<br />
entsprechen.“ Mit diesem Wunsche entstopselte er einen Krug, und goß dessen Inhalt in ein<br />
ihm dargebotenes Glas. Der Doktor war über den ausgezeichneten Saft sehr erfreut, und leerte<br />
über seinem Lobe den ganzen Krug mit einer rätselhaften Geschwindigkeit.<br />
Der Doktor <strong>von</strong> Furth war ein Mann <strong>von</strong> mittlerer Größe und untersetztem Körperbaue; sein<br />
bräunliches Gesicht mit dem kleinen Stumpfnäschen und den dunklen Augen hatte ganz das<br />
Gepräge eines Italieners, das durch seine schwarzen wolligen Haare noch vervollständigt<br />
wurde. Er hatte einen grauen Rock und lange Reitstiefel an und trug gewöhnlich eine<br />
Schirmmütze nach Studentenart. Er hatte seine Praxis in der Further, Eschlkamer und<br />
Neukirchner Pfarrei, machte ausgezeichnete Kuren, und ein gutes Reitpferd trug ihn zu seinen<br />
weithin zerstreuten Patienten.<br />
Es war seine Gewohnheit, so oft es nur immer thunlich, dabei einen Umweg über<br />
Neukirchen zu machen, um im dortigen Kloster des weit und breit renommierten Bieres<br />
wegen einige Stündchen verweilen zu können, und da<strong>von</strong> kehrte er eben auch jetzt zurück.<br />
Heute hatte aber sein Ritt nach Neukirchen außer dem Klosterbier noch einen anderen Grund<br />
gehabt. Es lebte nämlich in diesem Orte gerade ein Mädchen, das mehrere Wundermerkmale<br />
an sich hatte und zu welchem <strong>von</strong> nah und fern das Volk strömte. Dieses Mädchen bildete<br />
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