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Das Fräulein von Lichtenegg

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Maximilian Schmidt <strong>Das</strong> <strong>Fräulein</strong> <strong>von</strong> <strong>Lichtenegg</strong><br />

der Federkiel packe mich am Schopfe, und so eilte ich hieher; gottlob, kam ich mit dem<br />

bloßen Schrecken da<strong>von</strong>!“<br />

Es war bereits halb dunkel geworden. Noch während der Kantor sprach, blickte Adalbert,<br />

welcher der offenen Thüre gegenüber saß, aufmerksam gegen den Gartenzaun, vor welchem<br />

die Straße vorbeiführt. Er hatte nämlich bemerkt, wie sich ihm gerade gegenüber eine<br />

weibliche Person fest an den Zaun anklammerte und unbeweglich nach dem Gartenhause<br />

blickte, als wolle sie erlauschen, was da gesprochen würde. Adalbert, halb und halb ahnend,<br />

wer es sei, strengte seine Blicke an und bemerkte, wie zwei große, feurige Augen so fest auf<br />

ihm ruhten, als wollten sie ihn durchbohren. Adalbert wurde es ganz heiß, das Blut stieg ihm<br />

zu Kopfe, und rötete sein blasses Gesicht.<br />

Die übrige Gesellschaft bemerkte dies sogleich und ohne eine Frage wandten sich alle<br />

Blicke nach der Thüre. In diesem Augenblicke klang zu ihnen eine Mädchenstimme.<br />

„<strong>Das</strong> ist die närrische Julie!“ rief der Kantor. „Will das Mädchen heute wieder nicht zu<br />

Bette?“<br />

Ortolf gab dem Sprechenden einen Wink, zu schweigen, denn der Gesang der Irren wurde<br />

lauter. Es waren oft wundervolle Töne, bald sanft und weich, dann wieder grell und<br />

unheimlich, wie solche nur eine Wahnsinnige hervorbringen kann. Bald lustig, bald wieder so<br />

unaussprechlich traurig, hallten sie durch die Stille der Dämmerung. Jetzt fingen sie an,<br />

schwächer zu werden, denn das irre Julchen entfernte sich die Straße hinab; aber so lang man<br />

noch einen Ton vernehmen konnte, schwieg unsere Gesellschaft und horchte dem sich<br />

verlierenden Gesange des unglücklichen Mädchens.<br />

„<strong>Das</strong> ist ein unersetzbarer Verlust für unseren Chor,“ sagte jetzt der Kantor, „das Mädchen<br />

hat einen wundervollen Diskant, hab ihr schon oft zugehorcht, und – aber Herr Doktor, was<br />

sehen Sie denn noch da außen?“ Der durch diese Frage in seinen Gedanken gestörte Adalbert<br />

mußte beinahe selbst die Eindrücke belächeln, denen er sich hingegeben.<br />

„Ich sehe allerdings nichts mehr da außen, aber die Erscheinung dieses irren Mädchens hat<br />

mich schon diesen Nachmittag aufs tiefste erregt, und sie will mir nicht mehr aus dem Kopf.“<br />

„Ist’s denn wirklich das Bachert-Julchen?“ fragte jetzt Ortolf, dem diese Frage schon lange<br />

im Munde schwebte. „Fast hätte ich auf unser sonderbares Wiedersehen am Grabe meiner<br />

Schwester vergessen.“<br />

„Ja, es ist deine ehemalige Freundin,“ antwortete der Pfarrer. „Diese Familie Bachert hat der<br />

Herr hart geschlagen.“<br />

„Was ist denn die Ursache ihres Irrsinns?“ fragte Ortolf.<br />

„Der Tod ihrer Angehörigen,“ antwortete der Pfarrer.<br />

„Sind alle schon tot?“<br />

„Alle. Erst starb die Schwester, einige Monate darauf der Vater, und während seines<br />

Leichenbegängnisses die Mutter. Der Schrecken über den letzteren, unerwarteten Todesfall<br />

raubte dem braven, 17jährigen Mädchen den Verstand.“<br />

„Dies unglückliche Kind! Es leidet doch keinen Mangel?“<br />

„Im Gegenteile, der ganze Markt unterstützt sie, besonders aber das Rittermargerl, dessen<br />

Liebling sie ist. Sie wohnt im Huthause, hat aber ein gut eingerichtetes Zimmer. Im Anfange<br />

ihres Irrseins mußte man sie in strengem Verwahr halten und man brachte sie deshalb im<br />

Huthause hinter Schloß und Riegel. In neuerer Zeit, – ihr Irsinn währt bereits über ein Jahr –<br />

ist sie ruhiger geworden, darf fast ohne Aufsicht leben und man will sogar schon einige<br />

Zeichen der Wiederkehr ihres Verstandes bemerkt haben. Ihre Eltern liegen neben deinem<br />

Schwesterchen begraben; die Irre verbringt da manche Stunde und so erklärt sich wohl euer<br />

Wiedersehen an dortiger Stelle.“<br />

„<strong>Das</strong> unglückliche Mädchen,“ sagte Adalbert, „hat mich schon sehr erschreckt. Es hat eine<br />

auffallende Aehnlichkeit mit einer längst verstorbenen, mir teuren Freundin. Beim Anblicke<br />

der Irren glaubte ich jene wieder vor mir zu schauen, so täuschend ähnlich sind sich beide.<br />

Bei dem Totengräber erkundigte ich mich nach der Irren, und der erzählte mir einen wahren<br />

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