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Das Fräulein von Lichtenegg

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Maximilian Schmidt <strong>Das</strong> <strong>Fräulein</strong> <strong>von</strong> <strong>Lichtenegg</strong><br />

Wirklich sahen wir in einiger Entfernung – der Mond stand gerade hoch am Himmel – eine<br />

hohe, dunkle Gestalt. Man verabredete sich, dieselbe <strong>von</strong> allen Seiten einzuschließen. Zu<br />

diesem Behufe ging ein Teil, den der Hauptmann führte, vorwärts, um dann gegen das<br />

Gespenst herzumanövrieren; Ihr Herr Vater zog sich mit einem zweiten Teile links, der Herr<br />

Pfarrer und ich waren beim dritten Häuflein, das gerade auf den Feind zusteuerte, und auf<br />

einen Pfiff des Hauptmanns sollte angegriffen werden. Aber das Gespenst hatte seinen Spuk<br />

mit uns. Es begleitete fortwährend den Hauptmann bis über die Martersäule hinaus, ebenso<br />

ihren Vater bis an den Bach, während es uns gegenüber stehen zu bleiben schien. Endlich<br />

wurde das Zeichen zum Angriff gegeben und wir setzten uns in Bewegung. <strong>Das</strong> Gespenst<br />

schien uns ruhig zu erwarten. Da wurde mir’s denn doch etwas unheimlich und ich fragte den<br />

Herrn Pfarrer, ob er etwas Geweihtes bei sich hätte; nachdem mir’s Hochwürden bejaht,<br />

verlor ich alle Furcht und der erste voran schwang ich meinen alten verrosteten Säbel. Bitt um<br />

Entschuldigung, der erste waren der Herr Pfarrer, aber dann kam gleich ich. Wir schlossen die<br />

Gestalt jetzt immer enger ein. Ungefähr noch fünfzig Schritte da<strong>von</strong> entfernt, sahen wir<br />

ziemlich deutlich die Figur eines langen, hageren, kopflosen Mannes – hu, ein unheimlicher<br />

Anblick! – Aber schon schrie man: „Vorwärts!“ und mit einem „Hurra“ liefen wir vor! Da<br />

blieb die Erscheinung wie angewurzelt stehen, und als wir ganz nahe daran kamen, was sahen<br />

wir? – ein junges Eichenbäumchen!“<br />

Ortolf und Adalbert lachten über diese Enttäuschung laut auf.<br />

„Halten zu Gnaden,“ fing der Meßner ernsthaft an, „mit dem Bäumchen war’s nicht recht<br />

richtig, denn erst seit dieser Stunde stand es auf einmal da, ohne <strong>von</strong> jemand eingepflanzt<br />

worden zu sein, und daß sich das Gespenst in einen Baum verwandelte, lasse ich mir nicht<br />

nehmen.“<br />

„Nun das Bäumchen verschwand wohl wieder?“ fragte Adalbert.<br />

„Gott bewahre! Es blieb fest stehen; kein Mensch getraute sich’s abzusägen, weil man sonst<br />

den Spuk <strong>von</strong> neuem fürchtete. So steht es noch heute, aber als großer Baum, und jeder<br />

nächtliche Wanderer erhält <strong>von</strong> ihm eine Viertelstunde Weges das Geleite. Man hat sich<br />

schon daran gewöhnt; aber den Fremden wird es doch immer etwas unheimlich zu Mute.“<br />

„Ich habe mich als Knabe oft davor gefürchtet,“ sagte Ortolf. „Wir werden während unseres<br />

Hierseins wohl Gelegenheit finden, uns <strong>von</strong> dem Baume begleiten zu lassen, Adalbert, und du<br />

wirst staunen über diese sonderbare Erscheinung, welche um so unerklärlicher ist, als die<br />

Straße nicht etwa einen Bogen macht, dessen Zentrum der Baum ist, obwohl ich nicht<br />

bezweifle, daß irgend eine optische Täuschung hier im Spiele ist. Des wilden Steffeljägers<br />

erinnere ich mich auch noch gar wohl, wie er aus dem Zuchthause entlassen wurde; ich hatte<br />

immer eine grenzenlose Furcht vor ihm und ging ihm schon <strong>von</strong> weitem aus dem Wege.“<br />

„Und ich,“ sagte der Kantor, „bin ihm erst vor kurzer Zeit aus dem Wege gelaufen. Hab<br />

mich im Neukirchner Bräustübchen etwas verspätet, und ging erst in der Nacht nach<br />

Eschlkam zurück. Als ich an der Stachesrieder Kapelle vorüberkam, in deren Nähe der<br />

Federkielbaum seine unberufene Begleitung beginnt, mußte ich fortwährend an die<br />

Geschichte denken, welche ich Ihnen soeben erzählte, und harmlos so weitergehend, sehe ich<br />

an der Martersäule des Federkiels einen langen Menschen. Mir war nicht anders zu Mute, als<br />

sähe ich den Federkiel selbst, und blieb wie angewurzelt stehen. Die Gestalt aber kam mir<br />

näher und ich erkenne in derselben nicht ohne Grausen den Steffeljäger, der den Federkiel mit<br />

hat erschlagen helfen. Ich wollte an ihm vorübergehen, als er mich ansprach. „Wer ist denn<br />

das dort unten?“ fragte er, nach dem Baume deutend, „der geht immer mit mir und nickt mir<br />

zu. Seht Ihr nichts?“<br />

„<strong>Das</strong> ist der Federkiel,“ antwortete ich dem unheimlichen Menschen.<br />

„Der Federkiel!“ rief dieser, „der Federkiel? Kommt er jetzt nicht herauf?“<br />

„Ja,“ sagte ich unwillkürlich; da stieß der Steffeljäger einen Schrei aus und lief, was er<br />

konnte, gegen Stachesried zu. Mir schauderte, und indem ich mir weder rückwärts noch<br />

seitwärts zu schauen traute, ging ich raschen Schrittes weiter, jeden Augenblick befürchtend,<br />

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