CHECK Magazin - Gesundheitsmagazin für Männer No.5

Beratungs- und Anlaufstellen für Drogennutzer*innen und Abhängige sehen sich einem besonderen Dilemma ausgesetzt. Die meisten Fachkräfte aus dem Bereich der Drogenprävention wissen, dass die Ansage: „Nehmt keine Drogen, weil sie illegal und ungesund sind“, die Menschen nicht vom Konsum abhält. Die Kunst ist hier, Konsum-Strategien zu vermitteln und bei Drogenmissbrauch individuelle Schadensbegrenzung vorzunehmen, etwa in Form von Safer Use. Beratungs- und Anlaufstellen für Drogennutzer*innen und Abhängige sehen sich einem besonderen Dilemma ausgesetzt. Die meisten Fachkräfte aus dem Bereich der Drogenprävention wissen, dass die Ansage: „Nehmt keine Drogen, weil sie illegal und ungesund sind“, die Menschen nicht vom Konsum abhält. Die Kunst ist hier, Konsum-Strategien zu vermitteln und bei Drogenmissbrauch individuelle Schadensbegrenzung vorzunehmen, etwa in Form von Safer Use.

19.09.2022 Aufrufe

GESELLSCHAFT LEGAL VS. ILLEGAL Bewusstseinserweiterung, mit Gott sprechen, inneren Frieden finden, einfach mal high sein, sexuelle Erlebnisse anreichern, augenblicklichen Schmerz betäuben. Die Liste der Gründe, warum Drogen in fast jeder Kultur der Welt auftauchen, ist lang. Selbst in der westlichen Kirchenkultur kamen sie zum Einsatz. In Weihrauch etwa ist der Wirkstoff Incensol enthalten. Auf Wildmäuse hat er einen ähnlichen Effekt wie Antidepressiva und Anxiolytika. Im Harz der Weihrauch-Spezies Boswellia papyrifera können Incensol und sein Acetat sogar einen Gesamtgehalt von bis zu 10 Prozent und mehr ausmachen. Das ist ziemlich potent. Millionen von Christ*innen gehen also regelmäßig sediert aus der Sonntagsmesse, was man dann fromm nennt. Und Millionen von Kiffer*innen haben Angst davor, berauscht von der Polizei erwischt zu werden. Weil man das kriminell nennt. Doch Scherz beiseite: Eine nicht-wissenschaftlich basierte Drogenpolitik birgt ganz reale Gefahren: für unsere Gesundheit wie auch für unsere Gesellschaft. DRUG-CHECKING Der Körper einer sechzehnjährigen Ballerina reagiert auf eine Ecstasy-Tablette anders als der Körper eines vierzigjährigen Sumo- Ringers. Trotzdem kaufen beide am selben Abend in einem Club bei einer Dealer*in eine Pille und nehmen sie. Haben sie vorher ihre Ärzt*innen konsultiert? Wohl kaum. Gehen sie beide ein Risiko ein, das eventuell ihre Gesundheit enorm gefährdet? Ganz sicher. Denn die Chance, dass vor Ort, im Club, ein sogenanntes Drug-Checking angeboten wird, ist gering. Beim Drug-Checking kann man illegal erworbene Substanzen vor dem Konsum auf ihre Inhaltsstoffe prüfen lassen. Vor mehr als 25 Jahren wurde in den Niederlanden das erste Angebot dafür eingerichtet. Inzwischen wird es in Österreich, der Schweiz, Spanien, Frankreich und anderen Ländern offiziell angeboten. Der Psychiater Dr. med. Felix Betzler, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité in Berlin, erklärte gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt: „Aus medizinischer Sicht ist Drug- Checking unbedingt sinnvoll, weil wir wissen, dass der Konsum ohnehin stattfindet. Unser Interesse im Sinne der Harm Reduction ist dann natürlich, dass die Konsumenten möglichst viel über die Risiken wissen.“ SAFETY FIRST! Auf globaler Ebene hat sich in den letzten Jahren eine Bewegung Gehör verschafft, die sehr konkrete Forderungen stellt. Die Global Commission on Drug Policy wurde im Januar 2011 von einer Gruppe von Persönlichkeiten aus Amerika und Europa gegründet. Darunter befinden sich ehemalige Staats- und Regierungschefs wie etwa César Gaviria, ehemaliger Präsident von Kolumbien, Ruth Dreifuss, die ehemalige Bundespräsidenten der Schweiz sowie der Friedensnobelpreisträger Kofi Annan (1938-2018). Die Organisation fordert eine weltweite neue Drogenpolitik, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basiert und die Mitgefühl, Gesundheit und auch die Menschenrechte berücksichtigt. 38 CHECK BERLIN/BRANDENBURG #5

GESELLSCHAFT FÜNF PRAKTISCHE ANSÄTZE FÜR EINE WISSENSCHAFTLICH BEGRÜNDETE DROGENPOLITIK, EMPFOHLEN VON DER GLOBAL COMMISSION ON DRUG POLICY: 1. Die GESUNDHEIT UND SICHERHEIT der Menschen muss oberste Priorität haben. 2. Der KONTROLLIERTE ZUGANG ZU ESSENTIELLER MEDIZIN muss gewährleistet sein, vor allem Schmerzmittel in der Palliativ-Medizin. Foto: Tingey Injury Law Firm_unsplash.com 3. Die KRIMINALISIERUNG UND INHAFTIERUNG von Menschen, die Drogen benutzen, soll BEENDET werden. Es ändert nichts an der Drogenproblematik der Inhaftierten und zerstört weltweit Leben. 4. Ein UMDENKEN IM UMGANG MIT DER STRAFRECHTLICHEN VERFOLGUNG von Drogenschmuggler*innen und organisiertem Verbrechen muss stattfinden. Die Energie, die in die Verfolgung und Bestrafung der Konsument*innen gesteckt wird, sollte darauf verwandt werden, mächtige und gut vernetzte kriminelle Organisationen zur Strecke zu bringen. 5. Die DROGENMÄRKTE sollten REGULIERT und den Regierungen die Kontrolle übergeben werden. Regierungen sollen dafür Verantwortung übernehmen, dass potenziell gefährliche Drogen kontrolliert an Konsument*innen verteilt werden, anstatt den Drogenhandel organisierten kriminellen Gruppen zu überlassen. KULTUR-PHÄNOMEN Zudem schlägt die Global Commission on Drug Policy vor, dass psychoaktive Substanzen hinsichtlich ihres Abhängigkeitspotenzials und anderer Auswirkungen auf den Körper klassifiziert werden sollten. Dies ist bis heute nicht der Fall: Einige Substanzen sind legal verfügbar, weil sie als nützlich (Medikamente) oder kulturell wichtig (Alkohol) angesehen werden, während andere als destruktiv angesehen werden und strengstens verboten sind. Etwas radikaler, doch auch humorvoller, drückt sich der Aktivist und Gründer der Drug Policy Alliance, Dr. phil. Ethan Nadelmann, aus: „WENN ALTE WEISSE MÄNNER MIT KOKAIN EXPERIMENTIEREN WÜRDEN UND JUGENDLI- CHE REGELMÄSSIG MIT VIAGRA, DANN WÜRDE ES KOKS BEREITS AUF REZEPT GEBEN.“ PORTUGAL ALS GUTES BEISPIEL? Im Juli 2001 hat Portugal ein Gesetz verabschiedet, das den Besitz von Drogen, egal ob Cannabis, Ecstasy oder Heroin, entkriminalisierte. Der Besitz ist seither keine Straftat mehr, sondern nur noch eine Ordnungswidrigkeit wie etwa Falschparken. 2015 war die drogeninduzierte Sterblichkeitsrate in Portugal um ein fünffaches geringer als der E.U.- Durchschnitt. Im selben Jahr wurde bestätigt, dass die Sozialausgaben wegen Drogenmissbrauchs seit 1999 pro Kopf um 18% gesunken sind. Die Zahl der HIV-Infektionen durch das Spritzen von Drogen konnte auf 18 Fälle pro Jahr reduziert werden. (ts) CHECK BERLIN/BRANDENBURG #5 39

GESELLSCHAFT<br />

FÜNF PRAKTISCHE ANSÄTZE<br />

FÜR EINE WISSENSCHAFTLICH BEGRÜNDETE DROGENPOLITIK, EMPFOHLEN<br />

VON DER GLOBAL COMMISSION ON DRUG POLICY:<br />

1.<br />

Die GESUNDHEIT UND SICHERHEIT der Menschen muss oberste Priorität haben.<br />

2.<br />

Der KONTROLLIERTE ZUGANG ZU ESSENTIELLER MEDIZIN muss gewährleistet sein, vor<br />

allem Schmerzmittel in der Palliativ-Medizin.<br />

Foto: Tingey Injury Law Firm_unsplash.com<br />

3.<br />

Die KRIMINALISIERUNG UND INHAFTIERUNG von Menschen, die Drogen benutzen, soll<br />

BEENDET werden. Es ändert nichts an der Drogenproblematik der Inhaftierten und zerstört<br />

weltweit Leben.<br />

4.<br />

Ein UMDENKEN IM UMGANG MIT DER STRAFRECHTLICHEN VERFOLGUNG von Drogenschmuggler*innen<br />

und organisiertem Verbrechen muss stattfinden. Die Energie, die in die<br />

Verfolgung und Bestrafung der Konsument*innen gesteckt wird, sollte darauf verwandt<br />

werden, mächtige und gut vernetzte kriminelle Organisationen zur Strecke zu bringen.<br />

5.<br />

Die DROGENMÄRKTE sollten REGULIERT und den Regierungen die Kontrolle übergeben<br />

werden. Regierungen sollen da<strong>für</strong> Verantwortung übernehmen, dass potenziell gefährliche<br />

Drogen kontrolliert an Konsument*innen verteilt werden, anstatt den Drogenhandel<br />

organisierten kriminellen Gruppen zu überlassen.<br />

KULTUR-PHÄNOMEN<br />

Zudem schlägt die Global Commission on<br />

Drug Policy vor, dass psychoaktive Substanzen<br />

hinsichtlich ihres Abhängigkeitspotenzials<br />

und anderer Auswirkungen auf den Körper<br />

klassifiziert werden sollten. Dies ist bis heute<br />

nicht der Fall: Einige Substanzen sind legal<br />

verfügbar, weil sie als nützlich (Medikamente)<br />

oder kulturell wichtig (Alkohol) angesehen<br />

werden, während andere als destruktiv angesehen<br />

werden und strengstens verboten sind.<br />

Etwas radikaler, doch auch humorvoller,<br />

drückt sich der Aktivist und Gründer der Drug<br />

Policy Alliance, Dr. phil. Ethan Nadelmann, aus:<br />

„WENN ALTE WEISSE MÄNNER MIT KOKAIN<br />

EXPERIMENTIEREN WÜRDEN UND JUGENDLI-<br />

CHE REGELMÄSSIG MIT VIAGRA, DANN WÜRDE<br />

ES KOKS BEREITS AUF REZEPT GEBEN.“<br />

PORTUGAL ALS GUTES BEISPIEL?<br />

Im Juli 2001 hat Portugal ein Gesetz verabschiedet,<br />

das den Besitz von Drogen, egal ob<br />

Cannabis, Ecstasy oder Heroin, entkriminalisierte.<br />

Der Besitz ist seither keine Straftat<br />

mehr, sondern nur noch eine Ordnungswidrigkeit<br />

wie etwa Falschparken. 2015 war die drogeninduzierte<br />

Sterblichkeitsrate in Portugal<br />

um ein fünffaches geringer als der E.U.-<br />

Durchschnitt. Im selben Jahr wurde bestätigt,<br />

dass die Sozialausgaben wegen Drogenmissbrauchs<br />

seit 1999 pro Kopf um 18% gesunken<br />

sind. Die Zahl der HIV-Infektionen durch das<br />

Spritzen von Drogen konnte auf 18 Fälle pro<br />

Jahr reduziert werden. (ts)<br />

<strong>CHECK</strong> BERLIN/BRANDENBURG #5<br />

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